Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

der List gern den Vorzug. Jetzt drängte ihn die Noth zu
einem kühnen Entschlusse. Ohne etwas zuzugestehen, fragte
er einen Vertrauten um Rath. Dieser rieth, schleunig sich
auf das Stadthaus zu verfügen, dort kecklich zu erklären,
was falsch ist, ihm sey Alles fremd, was den Favras an-
gehe. Auch bei Mirabeau wird angefragt. Dieser billigt
zwar jenen Rath, allein es dünkt ihm nicht genug damit
gethan. Monsieur soll auf dem Stadthause erklären, und
Mirabeau schreibt für ihn die Phrase auf: "seit dem
Tage, da er in den Notabeln für die Verdoppelung des
dritten Standes sich ausgesprochen, habe er auch erkannt
daß eine gewaltige Umwälzung vor der Thüre und der
König berufen sey sich an ihre Spitze als Gründer der
Freiheit zu stellen." Dieses Bekenntniß legte Monsieur
auf dem Stadthause ab, und der Maire antwortete mitDec. 26.
Bezeugungen der ehrfurchtsvollsten Ergebenheit. Aber
Favras liebte das Leben. Schon hatte er im Gefängnisse
eine schriftliche Erklärung aufgesetzt, deren umständliche
Aufrichtigkeit den Bruder des Königs und die Königin un-
fehlbar zu Grunde gerichtet hätte; er ließ den Civillieute-
nant des pariser Stadtgerichtes, welches von seinem Sitze
im alten Kastell an der Wechsler-Brücke, die zur Cite
führt, den Namen Chatelet trägt, zu sich laden, damit
dieser sein Geständniß empfange. Allein Talon, so hieß
der Mann, gab ihm zu bedenken, welch ein unermeßliches
Unglück er durch diesen Schritt verschulde, ohne Hoffnung
sich selbst zu retten, dahingegen die Geretteten dankbare

Französische Revolution. 20

der Liſt gern den Vorzug. Jetzt drängte ihn die Noth zu
einem kühnen Entſchluſſe. Ohne etwas zuzugeſtehen, fragte
er einen Vertrauten um Rath. Dieſer rieth, ſchleunig ſich
auf das Stadthaus zu verfügen, dort kecklich zu erklären,
was falſch iſt, ihm ſey Alles fremd, was den Favras an-
gehe. Auch bei Mirabeau wird angefragt. Dieſer billigt
zwar jenen Rath, allein es dünkt ihm nicht genug damit
gethan. Monſieur ſoll auf dem Stadthauſe erklären, und
Mirabeau ſchreibt für ihn die Phraſe auf: „ſeit dem
Tage, da er in den Notabeln für die Verdoppelung des
dritten Standes ſich ausgeſprochen, habe er auch erkannt
daß eine gewaltige Umwälzung vor der Thüre und der
König berufen ſey ſich an ihre Spitze als Gründer der
Freiheit zu ſtellen.“ Dieſes Bekenntniß legte Monſieur
auf dem Stadthauſe ab, und der Maire antwortete mitDec. 26.
Bezeugungen der ehrfurchtsvollſten Ergebenheit. Aber
Favras liebte das Leben. Schon hatte er im Gefängniſſe
eine ſchriftliche Erklärung aufgeſetzt, deren umſtändliche
Aufrichtigkeit den Bruder des Königs und die Königin un-
fehlbar zu Grunde gerichtet hätte; er ließ den Civillieute-
nant des pariſer Stadtgerichtes, welches von ſeinem Sitze
im alten Kaſtell an der Wechsler-Brücke, die zur Cité
führt, den Namen Chatelet trägt, zu ſich laden, damit
dieſer ſein Geſtändniß empfange. Allein Talon, ſo hieß
der Mann, gab ihm zu bedenken, welch ein unermeßliches
Unglück er durch dieſen Schritt verſchulde, ohne Hoffnung
ſich ſelbſt zu retten, dahingegen die Geretteten dankbare

Franzöſiſche Revolution. 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0315" n="305"/>
der Li&#x017F;t gern den Vorzug. Jetzt drängte ihn die Noth zu<lb/>
einem kühnen Ent&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e. Ohne etwas zuzuge&#x017F;tehen, fragte<lb/>
er einen Vertrauten um Rath. Die&#x017F;er rieth, &#x017F;chleunig &#x017F;ich<lb/>
auf das Stadthaus zu verfügen, dort kecklich zu erklären,<lb/>
was fal&#x017F;ch i&#x017F;t, ihm &#x017F;ey Alles fremd, was den Favras an-<lb/>
gehe. Auch bei Mirabeau wird angefragt. Die&#x017F;er billigt<lb/>
zwar jenen Rath, allein es dünkt ihm nicht genug damit<lb/>
gethan. Mon&#x017F;ieur &#x017F;oll auf dem Stadthau&#x017F;e erklären, und<lb/>
Mirabeau &#x017F;chreibt für ihn die Phra&#x017F;e auf: &#x201E;&#x017F;eit dem<lb/>
Tage, da er in den Notabeln für die Verdoppelung des<lb/>
dritten Standes &#x017F;ich ausge&#x017F;prochen, habe er auch erkannt<lb/>
daß eine gewaltige Umwälzung vor der Thüre und der<lb/>
König berufen &#x017F;ey &#x017F;ich an ihre Spitze als Gründer der<lb/>
Freiheit zu &#x017F;tellen.&#x201C; Die&#x017F;es Bekenntniß legte Mon&#x017F;ieur<lb/>
auf dem Stadthau&#x017F;e ab, und der Maire antwortete mit<note place="right">Dec. 26.</note><lb/>
Bezeugungen der ehrfurchtsvoll&#x017F;ten Ergebenheit. Aber<lb/>
Favras liebte das Leben. Schon hatte er im Gefängni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
eine &#x017F;chriftliche Erklärung aufge&#x017F;etzt, deren um&#x017F;tändliche<lb/>
Aufrichtigkeit den Bruder des Königs und die Königin un-<lb/>
fehlbar zu Grunde gerichtet hätte; er ließ den Civillieute-<lb/>
nant des pari&#x017F;er Stadtgerichtes, welches von &#x017F;einem Sitze<lb/>
im alten Ka&#x017F;tell an der Wechsler-Brücke, die zur Cité<lb/>
führt, den Namen Chatelet trägt, zu &#x017F;ich laden, damit<lb/>
die&#x017F;er &#x017F;ein Ge&#x017F;tändniß empfange. Allein Talon, &#x017F;o hieß<lb/>
der Mann, gab ihm zu bedenken, welch ein unermeßliches<lb/>
Unglück er durch die&#x017F;en Schritt ver&#x017F;chulde, ohne Hoffnung<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu retten, dahingegen die Geretteten dankbare<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Franzö&#x017F;i&#x017F;che Revolution. 20</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0315] der Liſt gern den Vorzug. Jetzt drängte ihn die Noth zu einem kühnen Entſchluſſe. Ohne etwas zuzugeſtehen, fragte er einen Vertrauten um Rath. Dieſer rieth, ſchleunig ſich auf das Stadthaus zu verfügen, dort kecklich zu erklären, was falſch iſt, ihm ſey Alles fremd, was den Favras an- gehe. Auch bei Mirabeau wird angefragt. Dieſer billigt zwar jenen Rath, allein es dünkt ihm nicht genug damit gethan. Monſieur ſoll auf dem Stadthauſe erklären, und Mirabeau ſchreibt für ihn die Phraſe auf: „ſeit dem Tage, da er in den Notabeln für die Verdoppelung des dritten Standes ſich ausgeſprochen, habe er auch erkannt daß eine gewaltige Umwälzung vor der Thüre und der König berufen ſey ſich an ihre Spitze als Gründer der Freiheit zu ſtellen.“ Dieſes Bekenntniß legte Monſieur auf dem Stadthauſe ab, und der Maire antwortete mit Bezeugungen der ehrfurchtsvollſten Ergebenheit. Aber Favras liebte das Leben. Schon hatte er im Gefängniſſe eine ſchriftliche Erklärung aufgeſetzt, deren umſtändliche Aufrichtigkeit den Bruder des Königs und die Königin un- fehlbar zu Grunde gerichtet hätte; er ließ den Civillieute- nant des pariſer Stadtgerichtes, welches von ſeinem Sitze im alten Kaſtell an der Wechsler-Brücke, die zur Cité führt, den Namen Chatelet trägt, zu ſich laden, damit dieſer ſein Geſtändniß empfange. Allein Talon, ſo hieß der Mann, gab ihm zu bedenken, welch ein unermeßliches Unglück er durch dieſen Schritt verſchulde, ohne Hoffnung ſich ſelbſt zu retten, dahingegen die Geretteten dankbare Dec. 26. Franzöſiſche Revolution. 20

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/315
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/315>, abgerufen am 28.11.2024.