Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

aber er sank in plötzlicher Ohnmacht zurück und wäre auf
den Boden gestürzt ohne die Unterstützung seiner Freunde.
Da strömten alle Lords um ihn zusammen, keine Sitzung
mehr, jedermann befliß sich Chathams jüngstem siebzehn-
jährigen Sohne beizustehen, daß er den Vater nur weg-
bringe. Noch einen Monat schleppte sich sein Kampf hin,
bis der 11. Mai ihn hinwegnahm. Hier aber offenbarte
sich der Segen höherer Sitte, welcher aus den Grund-
sätzen ächter Freiheit quillt. Über die kleinliche Wuth des
Hofes, über den beschränkten Widerwillen des Königs
Georg III. gegen Chatham, den er die Aufruhrstrompete
nannte, trug die Meinung eines dankbaren Landes den
glänzendsten Sieg davon. Seine Leiche ward in der West-
minsterabtei bestattet und eben daselbst ihm ein Denkmal
gesetzt, welches den Staatsmann zeigt, "unter dessen
Amtsführung die göttliche Vorsehung Großbritannien er-
hob zu einer jedem früheren Zeitalter unbekannten Höhe
der Wohlfahrt und des Ruhmes;" denn das sind die
Worte der Inschrift.

Den Charakter Chathams besitzen wäre in Frankreich
Hochverrath gewesen. Hier konnte das Ungemeine nur im
Versteck aufgehen, ungesetzlich groß werden, wie ein küh-
ner Strauch die Felswand durchbricht. Als noch Alles in
Versailles in der Schwebe stand, ob man den Krieg auch
wolle, den man drohte, brachen die Zeichen der Zeit wie
Zähne in einem jungen Kopfe durch. Der Marquis von
Lafayette verließ zwanzigjährig Frau und Kind, die Ge-

aber er ſank in plötzlicher Ohnmacht zurück und wäre auf
den Boden geſtürzt ohne die Unterſtützung ſeiner Freunde.
Da ſtrömten alle Lords um ihn zuſammen, keine Sitzung
mehr, jedermann befliß ſich Chathams jüngſtem ſiebzehn-
jährigen Sohne beizuſtehen, daß er den Vater nur weg-
bringe. Noch einen Monat ſchleppte ſich ſein Kampf hin,
bis der 11. Mai ihn hinwegnahm. Hier aber offenbarte
ſich der Segen höherer Sitte, welcher aus den Grund-
ſätzen ächter Freiheit quillt. Über die kleinliche Wuth des
Hofes, über den beſchränkten Widerwillen des Königs
Georg III. gegen Chatham, den er die Aufruhrstrompete
nannte, trug die Meinung eines dankbaren Landes den
glänzendſten Sieg davon. Seine Leiche ward in der Weſt-
minſterabtei beſtattet und eben daſelbſt ihm ein Denkmal
geſetzt, welches den Staatsmann zeigt, „unter deſſen
Amtsführung die göttliche Vorſehung Großbritannien er-
hob zu einer jedem früheren Zeitalter unbekannten Höhe
der Wohlfahrt und des Ruhmes;“ denn das ſind die
Worte der Inſchrift.

Den Charakter Chathams beſitzen wäre in Frankreich
Hochverrath geweſen. Hier konnte das Ungemeine nur im
Verſteck aufgehen, ungeſetzlich groß werden, wie ein küh-
ner Strauch die Felswand durchbricht. Als noch Alles in
Verſailles in der Schwebe ſtand, ob man den Krieg auch
wolle, den man drohte, brachen die Zeichen der Zeit wie
Zähne in einem jungen Kopfe durch. Der Marquis von
Lafayette verließ zwanzigjährig Frau und Kind, die Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0085" n="75"/>
aber er &#x017F;ank in plötzlicher Ohnmacht zurück und wäre auf<lb/>
den Boden ge&#x017F;türzt ohne die Unter&#x017F;tützung &#x017F;einer Freunde.<lb/>
Da &#x017F;trömten alle Lords um ihn zu&#x017F;ammen, keine Sitzung<lb/>
mehr, jedermann befliß &#x017F;ich Chathams jüng&#x017F;tem &#x017F;iebzehn-<lb/>
jährigen Sohne beizu&#x017F;tehen, daß er den Vater nur weg-<lb/>
bringe. Noch einen Monat &#x017F;chleppte &#x017F;ich &#x017F;ein Kampf hin,<lb/>
bis der 11. Mai ihn hinwegnahm. Hier aber offenbarte<lb/>
&#x017F;ich der Segen höherer Sitte, welcher aus den Grund-<lb/>
&#x017F;ätzen ächter Freiheit quillt. Über die kleinliche Wuth des<lb/>
Hofes, über den be&#x017F;chränkten Widerwillen des Königs<lb/>
Georg <hi rendition="#aq">III.</hi> gegen Chatham, den er die Aufruhrstrompete<lb/>
nannte, trug die Meinung eines dankbaren Landes den<lb/>
glänzend&#x017F;ten Sieg davon. Seine Leiche ward in der We&#x017F;t-<lb/>
min&#x017F;terabtei be&#x017F;tattet und eben da&#x017F;elb&#x017F;t ihm ein Denkmal<lb/>
ge&#x017F;etzt, welches den Staatsmann zeigt, &#x201E;unter de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Amtsführung die göttliche Vor&#x017F;ehung Großbritannien er-<lb/>
hob zu einer jedem früheren Zeitalter unbekannten Höhe<lb/>
der Wohlfahrt und des Ruhmes;&#x201C; denn das &#x017F;ind die<lb/>
Worte der In&#x017F;chrift.</p><lb/>
          <p>Den Charakter Chathams be&#x017F;itzen wäre in Frankreich<lb/>
Hochverrath gewe&#x017F;en. Hier konnte das Ungemeine nur im<lb/>
Ver&#x017F;teck aufgehen, unge&#x017F;etzlich groß werden, wie ein küh-<lb/>
ner Strauch die Felswand durchbricht. Als noch Alles in<lb/>
Ver&#x017F;ailles in der Schwebe &#x017F;tand, ob man den Krieg auch<lb/>
wolle, den man drohte, brachen die Zeichen der Zeit wie<lb/>
Zähne in einem jungen Kopfe durch. Der Marquis von<lb/>
Lafayette verließ zwanzigjährig Frau und Kind, die Ge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0085] aber er ſank in plötzlicher Ohnmacht zurück und wäre auf den Boden geſtürzt ohne die Unterſtützung ſeiner Freunde. Da ſtrömten alle Lords um ihn zuſammen, keine Sitzung mehr, jedermann befliß ſich Chathams jüngſtem ſiebzehn- jährigen Sohne beizuſtehen, daß er den Vater nur weg- bringe. Noch einen Monat ſchleppte ſich ſein Kampf hin, bis der 11. Mai ihn hinwegnahm. Hier aber offenbarte ſich der Segen höherer Sitte, welcher aus den Grund- ſätzen ächter Freiheit quillt. Über die kleinliche Wuth des Hofes, über den beſchränkten Widerwillen des Königs Georg III. gegen Chatham, den er die Aufruhrstrompete nannte, trug die Meinung eines dankbaren Landes den glänzendſten Sieg davon. Seine Leiche ward in der Weſt- minſterabtei beſtattet und eben daſelbſt ihm ein Denkmal geſetzt, welches den Staatsmann zeigt, „unter deſſen Amtsführung die göttliche Vorſehung Großbritannien er- hob zu einer jedem früheren Zeitalter unbekannten Höhe der Wohlfahrt und des Ruhmes;“ denn das ſind die Worte der Inſchrift. Den Charakter Chathams beſitzen wäre in Frankreich Hochverrath geweſen. Hier konnte das Ungemeine nur im Verſteck aufgehen, ungeſetzlich groß werden, wie ein küh- ner Strauch die Felswand durchbricht. Als noch Alles in Verſailles in der Schwebe ſtand, ob man den Krieg auch wolle, den man drohte, brachen die Zeichen der Zeit wie Zähne in einem jungen Kopfe durch. Der Marquis von Lafayette verließ zwanzigjährig Frau und Kind, die Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/85
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/85>, abgerufen am 28.11.2024.