sollten, daß ferner der bisherige Adel nun in die zweite Kammer rückte. Man sah hierin eine doppelte Repräsentation des Adels.
148. Je ärmer eine erste Kammer an politischem Gewichte ist, um so mehr fragt die öffentliche Meinung nach der Einsicht und Würde der Mitglieder dieses ständi- schen Senats. Fehlt die Schwerkraft des Vermögens, so stände theoretisch nichts im Wege, das Steuergesetz ledig- lich von der Bewilligung der zweiten Kammer abhängig zu machen, und gut, wenn die Sache factisch sich so stellt. Nicht rathsam jedoch, eine solche Gefährdung des Gleich- gewichts beider Arme der Gesetzgebung anzuordnen, zu- mahl es sich heut zu Tage gewöhnlich weniger um die Höhe der auf der Steuerkraft basirten Steuern, als um deren geschickte Anordnung handelt, wobei die Einsicht einer nicht verheimlichten Berathung das Beste thut.
149. In einem Staate von sehr schwacher Bevölke- rung trachte man nach zwei Kammern nicht. Hier ist die Hauptsache die Vereinigung der gesammten geistigen Kraft, damit es an einer tüchtigen Discussion der Gesetze nicht mangle. "In einem Theetopfe kann man kein Bier brauen." Aber eben hier, wo das Gefühl der politischen Bedeutsamkeit verloren geht, wird der Einzel-Bildung mehr Raum vergönnt werden können. Eine Vor-Bera- thung nach Standes-Curien, der großen und der kleinen Grundbesitzer, und der Städter kann hier stattfinden; die Schluß-Berathung und Abstimmung falle in die all- gemeine Versammlung, doch muß in gewissen Fällen der Einspruch einer Curie Geltung haben. So dürfte über Verhältnisse zwischen Stadt und Land nicht gegen den Einspruch aller Städte entschieden werden.
Bildung des Ober-Hauſes.
ſollten, daß ferner der bisherige Adel nun in die zweite Kammer ruͤckte. Man ſah hierin eine doppelte Repraͤſentation des Adels.
148. Je aͤrmer eine erſte Kammer an politiſchem Gewichte iſt, um ſo mehr fragt die oͤffentliche Meinung nach der Einſicht und Wuͤrde der Mitglieder dieſes ſtaͤndi- ſchen Senats. Fehlt die Schwerkraft des Vermoͤgens, ſo ſtaͤnde theoretiſch nichts im Wege, das Steuergeſetz ledig- lich von der Bewilligung der zweiten Kammer abhaͤngig zu machen, und gut, wenn die Sache factiſch ſich ſo ſtellt. Nicht rathſam jedoch, eine ſolche Gefaͤhrdung des Gleich- gewichts beider Arme der Geſetzgebung anzuordnen, zu- mahl es ſich heut zu Tage gewoͤhnlich weniger um die Hoͤhe der auf der Steuerkraft baſirten Steuern, als um deren geſchickte Anordnung handelt, wobei die Einſicht einer nicht verheimlichten Berathung das Beſte thut.
149. In einem Staate von ſehr ſchwacher Bevoͤlke- rung trachte man nach zwei Kammern nicht. Hier iſt die Hauptſache die Vereinigung der geſammten geiſtigen Kraft, damit es an einer tuͤchtigen Discuſſion der Geſetze nicht mangle. „In einem Theetopfe kann man kein Bier brauen.“ Aber eben hier, wo das Gefuͤhl der politiſchen Bedeutſamkeit verloren geht, wird der Einzel-Bildung mehr Raum vergoͤnnt werden koͤnnen. Eine Vor-Bera- thung nach Standes-Curien, der großen und der kleinen Grundbeſitzer, und der Staͤdter kann hier ſtattfinden; die Schluß-Berathung und Abſtimmung falle in die all- gemeine Verſammlung, doch muß in gewiſſen Faͤllen der Einſpruch einer Curie Geltung haben. So duͤrfte uͤber Verhaͤltniſſe zwiſchen Stadt und Land nicht gegen den Einſpruch aller Staͤdte entſchieden werden.
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Bildung des Ober-Hauſes.
ſollten, daß ferner der bisherige Adel nun in die zweite Kammer
ruͤckte. Man ſah hierin eine doppelte Repraͤſentation des Adels.
148. Je aͤrmer eine erſte Kammer an politiſchem
Gewichte iſt, um ſo mehr fragt die oͤffentliche Meinung
nach der Einſicht und Wuͤrde der Mitglieder dieſes ſtaͤndi-
ſchen Senats. Fehlt die Schwerkraft des Vermoͤgens, ſo
ſtaͤnde theoretiſch nichts im Wege, das Steuergeſetz ledig-
lich von der Bewilligung der zweiten Kammer abhaͤngig
zu machen, und gut, wenn die Sache factiſch ſich ſo ſtellt.
Nicht rathſam jedoch, eine ſolche Gefaͤhrdung des Gleich-
gewichts beider Arme der Geſetzgebung anzuordnen, zu-
mahl es ſich heut zu Tage gewoͤhnlich weniger um die
Hoͤhe der auf der Steuerkraft baſirten Steuern, als um
deren geſchickte Anordnung handelt, wobei die Einſicht
einer nicht verheimlichten Berathung das Beſte thut.
149. In einem Staate von ſehr ſchwacher Bevoͤlke-
rung trachte man nach zwei Kammern nicht. Hier iſt die
Hauptſache die Vereinigung der geſammten geiſtigen Kraft,
damit es an einer tuͤchtigen Discuſſion der Geſetze nicht
mangle. „In einem Theetopfe kann man kein Bier
brauen.“ Aber eben hier, wo das Gefuͤhl der politiſchen
Bedeutſamkeit verloren geht, wird der Einzel-Bildung
mehr Raum vergoͤnnt werden koͤnnen. Eine Vor-Bera-
thung nach Standes-Curien, der großen und der kleinen
Grundbeſitzer, und der Staͤdter kann hier ſtattfinden;
die Schluß-Berathung und Abſtimmung falle in die all-
gemeine Verſammlung, doch muß in gewiſſen Faͤllen der
Einſpruch einer Curie Geltung haben. So duͤrfte uͤber
Verhaͤltniſſe zwiſchen Stadt und Land nicht gegen den
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/139>, abgerufen am 19.07.2024.
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