Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Bildung der zweiten Kammer. dadurch die Entscheidung aus der Hand der Leidenschaftin die der Gleichgültigkeit und schließlich in die der Intri- gue. Weil man die lärmende Unordnung vermieden hat und reinliche Wahlprotocolle zu lesen bekommt, bildet man bequem sich ein, es gehe Alles mit rechten Dingen unter den Wählern zu, aus deren engem Kreise mehrentheils doch auch gewählt wird. Außerdem hat Burke recht: "Un- ter den Befugnissen, die sich nicht auf andere übertragen lassen, giebt es keine, die so ungeschickt dazu wäre als die Befugniß, eine persönliche Wahl anzustellen. Handelt der Abgeordnete den Rechten und Vortheilen seiner Constituen- ten zuwider, so können sich diese nie an ihn, sondern nur an die Versammlung der Wähler halten, die sie gewählt hatten, um ihn zu wählen". Der an sich ungerechte Vorwurf, daß das Repräsentativ-System Bildung der zweiten Kammer. dadurch die Entſcheidung aus der Hand der Leidenſchaftin die der Gleichguͤltigkeit und ſchließlich in die der Intri- gue. Weil man die laͤrmende Unordnung vermieden hat und reinliche Wahlprotocolle zu leſen bekommt, bildet man bequem ſich ein, es gehe Alles mit rechten Dingen unter den Waͤhlern zu, aus deren engem Kreiſe mehrentheils doch auch gewaͤhlt wird. Außerdem hat Burke recht: „Un- ter den Befugniſſen, die ſich nicht auf andere uͤbertragen laſſen, giebt es keine, die ſo ungeſchickt dazu waͤre als die Befugniß, eine perſoͤnliche Wahl anzuſtellen. Handelt der Abgeordnete den Rechten und Vortheilen ſeiner Conſtituen- ten zuwider, ſo koͤnnen ſich dieſe nie an ihn, ſondern nur an die Verſammlung der Waͤhler halten, die ſie gewaͤhlt hatten, um ihn zu waͤhlen“. Der an ſich ungerechte Vorwurf, daß das Repraͤſentativ-Syſtem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0145" n="133"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Bildung der zweiten Kammer</hi>.</fw><lb/> dadurch die Entſcheidung aus der Hand der Leidenſchaft<lb/> in die der Gleichguͤltigkeit und ſchließlich in die der Intri-<lb/> gue. Weil man die laͤrmende Unordnung vermieden hat<lb/> und reinliche Wahlprotocolle zu leſen bekommt, bildet man<lb/> bequem ſich ein, es gehe Alles mit rechten Dingen unter<lb/> den Waͤhlern zu, aus deren engem Kreiſe mehrentheils doch<lb/> auch gewaͤhlt wird. Außerdem hat <hi rendition="#g">Burke</hi> recht: „Un-<lb/> ter den Befugniſſen, die ſich nicht auf andere uͤbertragen<lb/> laſſen, giebt es keine, die ſo ungeſchickt dazu waͤre als die<lb/> Befugniß, eine perſoͤnliche Wahl anzuſtellen. Handelt der<lb/> Abgeordnete den Rechten und Vortheilen ſeiner Conſtituen-<lb/> ten zuwider, ſo koͤnnen ſich dieſe nie an ihn, ſondern nur<lb/> an die Verſammlung der Waͤhler halten, die ſie gewaͤhlt<lb/> hatten, um ihn zu waͤhlen“.</p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Der an ſich ungerechte Vorwurf, daß das Repraͤſentativ-Syſtem<lb/> auf Mechanik, Taͤuſchung, Zufall beruhe, trifft gar ſehr die<lb/> Wahlcollegien, welche man ſo unbeſehens in unſere Deutſchen<lb/> Wahlgeſetze aufgenommen und ſelbſt bis zu dreifachen Wahlen ver-<lb/> feinert ſieht. Frankreich hatte ſeine Commuͤnen zerriſſen, und Frei-<lb/> heit und Gleichheit verſprochen; nun fuͤrchtete man Poͤbelwahlen<lb/> und erfand die Wahlcollegien. Deutſchland kann durch ein tuͤch-<lb/> tiges Gemeindeweſen directe Wahlen gewinnen, die nicht Poͤbel-<lb/> wahlen ſind. (Eine loͤbliche Ausnahme bildet in dieſer Beziehung<lb/> die Verordnung wegen naͤherer Regulirung der ſtaͤndiſchen Ver-<lb/> haͤltniſſe in dem Herzogthum <hi rendition="#g">Holſtein</hi> vom 15. May 1834.,<lb/> welche directe Wahlen anordnet, aber freilich auf Beſitz von<lb/> Grundeigenthum, ſelbſt in Staͤdten, Waͤhlerrecht und Waͤhlbar-<lb/> keit beſchraͤnkt, und, weil das Gemeindeweſen fehlt, doch am<lb/> Ende nur nach dem Cenſus.) Wer moͤchte es unbedenklich finden,<lb/> daß das Engliſche Unterhaus durch die Reformacte 800,000<lb/> Waͤhler erhalten hat? und wer ſollte nicht wuͤnſchen, daß, wenn<lb/> die Verbeſſerung des Brittiſchen Gemeindeweſens gelingt, es moͤg-<lb/> lich ſeyn moͤge, ein aͤchteres Princip der Wahlberechtigung einzu-<lb/> fuͤhren? Nur ja nicht das der Franzoͤſiſchen Reſtauration, die, als ſie</hi><lb/> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [133/0145]
Bildung der zweiten Kammer.
dadurch die Entſcheidung aus der Hand der Leidenſchaft
in die der Gleichguͤltigkeit und ſchließlich in die der Intri-
gue. Weil man die laͤrmende Unordnung vermieden hat
und reinliche Wahlprotocolle zu leſen bekommt, bildet man
bequem ſich ein, es gehe Alles mit rechten Dingen unter
den Waͤhlern zu, aus deren engem Kreiſe mehrentheils doch
auch gewaͤhlt wird. Außerdem hat Burke recht: „Un-
ter den Befugniſſen, die ſich nicht auf andere uͤbertragen
laſſen, giebt es keine, die ſo ungeſchickt dazu waͤre als die
Befugniß, eine perſoͤnliche Wahl anzuſtellen. Handelt der
Abgeordnete den Rechten und Vortheilen ſeiner Conſtituen-
ten zuwider, ſo koͤnnen ſich dieſe nie an ihn, ſondern nur
an die Verſammlung der Waͤhler halten, die ſie gewaͤhlt
hatten, um ihn zu waͤhlen“.
Der an ſich ungerechte Vorwurf, daß das Repraͤſentativ-Syſtem
auf Mechanik, Taͤuſchung, Zufall beruhe, trifft gar ſehr die
Wahlcollegien, welche man ſo unbeſehens in unſere Deutſchen
Wahlgeſetze aufgenommen und ſelbſt bis zu dreifachen Wahlen ver-
feinert ſieht. Frankreich hatte ſeine Commuͤnen zerriſſen, und Frei-
heit und Gleichheit verſprochen; nun fuͤrchtete man Poͤbelwahlen
und erfand die Wahlcollegien. Deutſchland kann durch ein tuͤch-
tiges Gemeindeweſen directe Wahlen gewinnen, die nicht Poͤbel-
wahlen ſind. (Eine loͤbliche Ausnahme bildet in dieſer Beziehung
die Verordnung wegen naͤherer Regulirung der ſtaͤndiſchen Ver-
haͤltniſſe in dem Herzogthum Holſtein vom 15. May 1834.,
welche directe Wahlen anordnet, aber freilich auf Beſitz von
Grundeigenthum, ſelbſt in Staͤdten, Waͤhlerrecht und Waͤhlbar-
keit beſchraͤnkt, und, weil das Gemeindeweſen fehlt, doch am
Ende nur nach dem Cenſus.) Wer moͤchte es unbedenklich finden,
daß das Engliſche Unterhaus durch die Reformacte 800,000
Waͤhler erhalten hat? und wer ſollte nicht wuͤnſchen, daß, wenn
die Verbeſſerung des Brittiſchen Gemeindeweſens gelingt, es moͤg-
lich ſeyn moͤge, ein aͤchteres Princip der Wahlberechtigung einzu-
fuͤhren? Nur ja nicht das der Franzoͤſiſchen Reſtauration, die, als ſie
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