187. Die Mitglieder der Kammern sind auf ihrer Reise zur Stände-Versammlung 1) und während der Dauer ihrer jedesmahligen Versammlungsperiode frei von Civil-Ver- haft. Decrete der eigenen Unverletzlichkeit sind eine An- maaßung der Souveränität, an welcher weder das Mit- glied, noch die Körperschaft Theil hat.
1) Die Unsicherheit der Wege im Mittelalter war der natürliche Grund, auf die Verletzung der Abgeordneten beim Hin- und Herreisen die schwersten Strafen zu setzen. Die Schwedische Si- cherheitsacte vom J. 1772. Art. 51. erklärt dergleichen noch für Staatsverbrechen, die Verf. von 1809. §. 111. für Hochverrath.
188. Den Mitgliedern der Wahlkammer und den nicht- erblichen Mitgliedern der ersten Kammer werden Tagegel- der und Reisegelder gezahlt. Die Einführung der Diäten in die Wahlkammer mag man eher ein Landes-Recht als ein ständisches heißen. Sie verbürgen dem Volk, daß seine Wahlkammer dem bürgerlichen Verdienst auch ohne das Geleit des Reichthums offen steht. Sie werden aus der Staats- casse entrichtet. Mögen sie diesen und jenen Untüchtigen anlocken; viel schlimmer doch, wenn, in Ermangelung der- selben, am Ende der mindestfordernde zum Abgeordneten gewählt würde.
In England erhielt zu König Eduards III. Zeit ein Ritter 4, ein Bürger 2 Schilling Diäten. Die Diäten wurden nach der Heim- kehr für die Dauer der Abwesenheit ausbezahlt und zwar von den Committenten. Die Lords und ihre Leibeigenen trugen nichts dazu bei (Lingard, Übers. v. Salis IV., 140. vgl. 147.). Ein- zig in seiner Art mag wol der Vorgang in Frankreich auf dem Reichstage zu Tours 1483 seyn, wo die beiden ersten Stände dem dritten sämmtliche Reichstagskosten, auch den Sold für ihre eigenen Deputirten aufbürden wollten, weil, wie sie behaupteten, der dritte Stand zur Ernährung der beiden an-
Sechstes Capitel.
187. Die Mitglieder der Kammern ſind auf ihrer Reiſe zur Staͤnde-Verſammlung 1) und waͤhrend der Dauer ihrer jedesmahligen Verſammlungsperiode frei von Civil-Ver- haft. Decrete der eigenen Unverletzlichkeit ſind eine An- maaßung der Souveraͤnitaͤt, an welcher weder das Mit- glied, noch die Koͤrperſchaft Theil hat.
1) Die Unſicherheit der Wege im Mittelalter war der natuͤrliche Grund, auf die Verletzung der Abgeordneten beim Hin- und Herreiſen die ſchwerſten Strafen zu ſetzen. Die Schwediſche Si- cherheitsacte vom J. 1772. Art. 51. erklaͤrt dergleichen noch fuͤr Staatsverbrechen, die Verf. von 1809. §. 111. fuͤr Hochverrath.
188. Den Mitgliedern der Wahlkammer und den nicht- erblichen Mitgliedern der erſten Kammer werden Tagegel- der und Reiſegelder gezahlt. Die Einfuͤhrung der Diaͤten in die Wahlkammer mag man eher ein Landes-Recht als ein ſtaͤndiſches heißen. Sie verbuͤrgen dem Volk, daß ſeine Wahlkammer dem buͤrgerlichen Verdienſt auch ohne das Geleit des Reichthums offen ſteht. Sie werden aus der Staats- caſſe entrichtet. Moͤgen ſie dieſen und jenen Untuͤchtigen anlocken; viel ſchlimmer doch, wenn, in Ermangelung der- ſelben, am Ende der mindeſtfordernde zum Abgeordneten gewaͤhlt wuͤrde.
In England erhielt zu Koͤnig Eduards III. Zeit ein Ritter 4, ein Buͤrger 2 Schilling Diaͤten. Die Diaͤten wurden nach der Heim- kehr fuͤr die Dauer der Abweſenheit ausbezahlt und zwar von den Committenten. Die Lords und ihre Leibeigenen trugen nichts dazu bei (Lingard, Überſ. v. Salis IV., 140. vgl. 147.). Ein- zig in ſeiner Art mag wol der Vorgang in Frankreich auf dem Reichstage zu Tours 1483 ſeyn, wo die beiden erſten Staͤnde dem dritten ſaͤmmtliche Reichstagskoſten, auch den Sold fuͤr ihre eigenen Deputirten aufbuͤrden wollten, weil, wie ſie behaupteten, der dritte Stand zur Ernaͤhrung der beiden an-
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Sechstes Capitel.
187. Die Mitglieder der Kammern ſind auf ihrer Reiſe
zur Staͤnde-Verſammlung 1) und waͤhrend der Dauer ihrer
jedesmahligen Verſammlungsperiode frei von Civil-Ver-
haft. Decrete der eigenen Unverletzlichkeit ſind eine An-
maaßung der Souveraͤnitaͤt, an welcher weder das Mit-
glied, noch die Koͤrperſchaft Theil hat.
¹⁾ Die Unſicherheit der Wege im Mittelalter war der natuͤrliche
Grund, auf die Verletzung der Abgeordneten beim Hin- und
Herreiſen die ſchwerſten Strafen zu ſetzen. Die Schwediſche Si-
cherheitsacte vom J. 1772. Art. 51. erklaͤrt dergleichen noch fuͤr
Staatsverbrechen, die Verf. von 1809. §. 111. fuͤr Hochverrath.
188. Den Mitgliedern der Wahlkammer und den nicht-
erblichen Mitgliedern der erſten Kammer werden Tagegel-
der und Reiſegelder gezahlt. Die Einfuͤhrung der Diaͤten
in die Wahlkammer mag man eher ein Landes-Recht als
ein ſtaͤndiſches heißen. Sie verbuͤrgen dem Volk, daß ſeine
Wahlkammer dem buͤrgerlichen Verdienſt auch ohne das Geleit
des Reichthums offen ſteht. Sie werden aus der Staats-
caſſe entrichtet. Moͤgen ſie dieſen und jenen Untuͤchtigen
anlocken; viel ſchlimmer doch, wenn, in Ermangelung der-
ſelben, am Ende der mindeſtfordernde zum Abgeordneten
gewaͤhlt wuͤrde.
In England erhielt zu Koͤnig Eduards III. Zeit ein Ritter 4, ein
Buͤrger 2 Schilling Diaͤten. Die Diaͤten wurden nach der Heim-
kehr fuͤr die Dauer der Abweſenheit ausbezahlt und zwar von
den Committenten. Die Lords und ihre Leibeigenen trugen nichts
dazu bei (Lingard, Überſ. v. Salis IV., 140. vgl. 147.). Ein-
zig in ſeiner Art mag wol der Vorgang in Frankreich auf dem
Reichstage zu Tours 1483 ſeyn, wo die beiden erſten Staͤnde
dem dritten ſaͤmmtliche Reichstagskoſten, auch den Sold fuͤr
ihre eigenen Deputirten aufbuͤrden wollten, weil, wie
ſie behaupteten, der dritte Stand zur Ernaͤhrung der beiden an-
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/166>, abgerufen am 22.07.2024.
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