Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Die Menschheit und der Staat. Lebenserfahrungen, geben eine glückliche Naturausstattungauf dem Wege zur Staatsausbildung. Aber die Geschichte hat von jeher häufig die stille Ur-Bildung der Natur unterbrochen, verschiedenartige Stämme und Volksthümlich- keiten über einander geschichtet und aus der Vermischung manchmal eine zweite gelungenere Natur und gediegene Staatsbildungen gewonnen. Aus Pelasgern, Thrakern, Achäern, Joniern erwuchs das lebensvolle Volk von Attika und seit das Christenthum unserm Welttheile Einheit der Religion gab, konnte selbst Britten, Römern, Sachsen, Normannen, nachdem die furchtbaren Krisen des ersten Zusammentreffens überwunden waren, der Staat von England gelingen. Tritt so das Band der ursprünglichsten Blutsverwandtschaft allmählig zurück, so verstärkt sich da- gegen das Band des örtlichen Zusammenseyns mit dem Wachsthum der Bildung. Das unbestimmte Heimathsge- fühl der Natur-Völker, welches hauptsächlich Liebe zu den Genossen und zu gewissen Lebensarten ist, steigert sich mit dem Fortrücken der Bildung und namentlich durch Werke der bildenden Kunst zur örtlichsten Vaterlandsliebe. Völker- wanderungen hören auf. 8. Die übermächtige weltliche Ordnung, welche den Die Menſchheit und der Staat. Lebenserfahrungen, geben eine gluͤckliche Naturausſtattungauf dem Wege zur Staatsausbildung. Aber die Geſchichte hat von jeher haͤufig die ſtille Ur-Bildung der Natur unterbrochen, verſchiedenartige Staͤmme und Volksthuͤmlich- keiten uͤber einander geſchichtet und aus der Vermiſchung manchmal eine zweite gelungenere Natur und gediegene Staatsbildungen gewonnen. Aus Pelasgern, Thrakern, Achaͤern, Joniern erwuchs das lebensvolle Volk von Attika und ſeit das Chriſtenthum unſerm Welttheile Einheit der Religion gab, konnte ſelbſt Britten, Roͤmern, Sachſen, Normannen, nachdem die furchtbaren Kriſen des erſten Zuſammentreffens uͤberwunden waren, der Staat von England gelingen. Tritt ſo das Band der urſpruͤnglichſten Blutsverwandtſchaft allmaͤhlig zuruͤck, ſo verſtaͤrkt ſich da- gegen das Band des oͤrtlichen Zuſammenſeyns mit dem Wachsthum der Bildung. Das unbeſtimmte Heimathsge- fuͤhl der Natur-Voͤlker, welches hauptſaͤchlich Liebe zu den Genoſſen und zu gewiſſen Lebensarten iſt, ſteigert ſich mit dem Fortruͤcken der Bildung und namentlich durch Werke der bildenden Kunſt zur oͤrtlichſten Vaterlandsliebe. Voͤlker- wanderungen hoͤren auf. 8. Die uͤbermaͤchtige weltliche Ordnung, welche den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0017" n="5"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Menſchheit und der Staat</hi>.</fw><lb/> Lebenserfahrungen, geben eine gluͤckliche Naturausſtattung<lb/> auf dem Wege zur Staatsausbildung. Aber die Geſchichte<lb/> hat von jeher haͤufig die ſtille Ur-Bildung der Natur<lb/> unterbrochen, verſchiedenartige Staͤmme und Volksthuͤmlich-<lb/> keiten uͤber einander geſchichtet und aus der Vermiſchung<lb/> manchmal eine zweite gelungenere Natur und gediegene<lb/> Staatsbildungen gewonnen. Aus Pelasgern, Thrakern,<lb/> Achaͤern, Joniern erwuchs das lebensvolle Volk von Attika<lb/> und ſeit das Chriſtenthum unſerm Welttheile Einheit der<lb/> Religion gab, konnte ſelbſt Britten, Roͤmern, Sachſen,<lb/> Normannen, nachdem die furchtbaren Kriſen des erſten<lb/> Zuſammentreffens uͤberwunden waren, der Staat von<lb/> England gelingen. Tritt ſo das Band der urſpruͤnglichſten<lb/> Blutsverwandtſchaft allmaͤhlig zuruͤck, ſo verſtaͤrkt ſich da-<lb/> gegen das Band des oͤrtlichen Zuſammenſeyns mit dem<lb/> Wachsthum der Bildung. Das unbeſtimmte Heimathsge-<lb/> fuͤhl der Natur-Voͤlker, welches hauptſaͤchlich Liebe zu den<lb/> Genoſſen und zu gewiſſen Lebensarten iſt, ſteigert ſich mit<lb/> dem Fortruͤcken der Bildung und namentlich durch Werke<lb/> der bildenden Kunſt zur oͤrtlichſten Vaterlandsliebe. Voͤlker-<lb/> wanderungen hoͤren auf.</p><lb/> <p>8. Die uͤbermaͤchtige weltliche Ordnung, welche den<lb/> Menſchen in ein Volk ſetzt, indem ſie ihn in einer Familie<lb/> geboren werden laͤßt, nimmt aber ihre Macht nicht aus<lb/> ſich ſelber und hat ihren letzten Zweck nicht in ſich. Sie<lb/> dient vielmehr einer hoͤher ſtehenden Ordnung, welche jedem<lb/> einzelnen Staate und allen Staaten mit einander uͤberlegen<lb/> iſt. Wir glauben an ein großes gemeinſames Werk der<lb/> Menſchheit, zu welchem das einzelne Staaten-Leben nur<lb/> die Vorarbeiten liefert, an eine auch aͤußerliche Vollendung<lb/> der menſchlichen Dinge am Ende der Geſchichte. Das<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [5/0017]
Die Menſchheit und der Staat.
Lebenserfahrungen, geben eine gluͤckliche Naturausſtattung
auf dem Wege zur Staatsausbildung. Aber die Geſchichte
hat von jeher haͤufig die ſtille Ur-Bildung der Natur
unterbrochen, verſchiedenartige Staͤmme und Volksthuͤmlich-
keiten uͤber einander geſchichtet und aus der Vermiſchung
manchmal eine zweite gelungenere Natur und gediegene
Staatsbildungen gewonnen. Aus Pelasgern, Thrakern,
Achaͤern, Joniern erwuchs das lebensvolle Volk von Attika
und ſeit das Chriſtenthum unſerm Welttheile Einheit der
Religion gab, konnte ſelbſt Britten, Roͤmern, Sachſen,
Normannen, nachdem die furchtbaren Kriſen des erſten
Zuſammentreffens uͤberwunden waren, der Staat von
England gelingen. Tritt ſo das Band der urſpruͤnglichſten
Blutsverwandtſchaft allmaͤhlig zuruͤck, ſo verſtaͤrkt ſich da-
gegen das Band des oͤrtlichen Zuſammenſeyns mit dem
Wachsthum der Bildung. Das unbeſtimmte Heimathsge-
fuͤhl der Natur-Voͤlker, welches hauptſaͤchlich Liebe zu den
Genoſſen und zu gewiſſen Lebensarten iſt, ſteigert ſich mit
dem Fortruͤcken der Bildung und namentlich durch Werke
der bildenden Kunſt zur oͤrtlichſten Vaterlandsliebe. Voͤlker-
wanderungen hoͤren auf.
8. Die uͤbermaͤchtige weltliche Ordnung, welche den
Menſchen in ein Volk ſetzt, indem ſie ihn in einer Familie
geboren werden laͤßt, nimmt aber ihre Macht nicht aus
ſich ſelber und hat ihren letzten Zweck nicht in ſich. Sie
dient vielmehr einer hoͤher ſtehenden Ordnung, welche jedem
einzelnen Staate und allen Staaten mit einander uͤberlegen
iſt. Wir glauben an ein großes gemeinſames Werk der
Menſchheit, zu welchem das einzelne Staaten-Leben nur
die Vorarbeiten liefert, an eine auch aͤußerliche Vollendung
der menſchlichen Dinge am Ende der Geſchichte. Das
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