zehnten Monat nach jener Festhochzeit geboren sind, werden demnach von allen damahls Verbundenen als gemeinsame Kinder betrachtet und als solche weiter erzogen. Mit die- sen nun dürfen sich die Gesammt-Ältern zwar nicht ver- ehlichen, allein die Gesammt-Kinder, die sich Brüder und Schwestern nennen, dürfen es, wenn Apollon nichts da- wider hat (V, p. 461.).
214. So bringt Platon der Gottheit des Staats die höchsten nur denkbaren Opfer, das Opfer der Familie, des Hauswesens, der individuellen Bildung, und persönlichen Freiheit, indem über jede menschliche Anlage von Staats- wegen in Erziehung und Anwendung verfügt wird, der Hauswirthschaft, der im Reichthum enthaltenen Bildungs- mittel und Genüsse, der freien Bewegung der Künste, insbesondere der Dichtkunst, er scheint selbst einige Natur- gesetze zu opfern, und alles Dieses, um ein Gemeinwe- sen zu gründen, welches von irgend einem der allein- Weisen, welcher widerwillig für kurze Zeit sich dazu her- ablässet, unumschränkt beherrscht wird; und außerdem alles Dieses nicht für einen Staat der reinen, einfachen allge- meinen Menschlichkeit, sondern für einen Staat von Hel- lenen, denen alle Nicht-Hellenen Gefäße der Unehren sind. Würde die Gottheit (Apollon), von welcher der Staat seine Religion erwarten soll, diese Mittel für diese Zwecke gutheißen? Steht denn wirklich das Gut-Seyn des Staats höher noch als das Gut-Seyn seiner Besten, da sie durch Trug (in den Ehe-Loosen), also durch einen Abfall vom Guten diese höchste Ausbildung des Staats-Kunstwerks, welches seinen Zweck in sich selber hätte, erkaufen sollen? Wäre da nicht besser ein weniger guter Staat, aber mit besseren Bewohnern?
Neuntes Capitel.
zehnten Monat nach jener Feſthochzeit geboren ſind, werden demnach von allen damahls Verbundenen als gemeinſame Kinder betrachtet und als ſolche weiter erzogen. Mit die- ſen nun duͤrfen ſich die Geſammt-Ältern zwar nicht ver- ehlichen, allein die Geſammt-Kinder, die ſich Bruͤder und Schweſtern nennen, duͤrfen es, wenn Apollon nichts da- wider hat (V, p. 461.).
214. So bringt Platon der Gottheit des Staats die hoͤchſten nur denkbaren Opfer, das Opfer der Familie, des Hausweſens, der individuellen Bildung, und perſoͤnlichen Freiheit, indem uͤber jede menſchliche Anlage von Staats- wegen in Erziehung und Anwendung verfuͤgt wird, der Hauswirthſchaft, der im Reichthum enthaltenen Bildungs- mittel und Genuͤſſe, der freien Bewegung der Kuͤnſte, insbeſondere der Dichtkunſt, er ſcheint ſelbſt einige Natur- geſetze zu opfern, und alles Dieſes, um ein Gemeinwe- ſen zu gruͤnden, welches von irgend einem der allein- Weiſen, welcher widerwillig fuͤr kurze Zeit ſich dazu her- ablaͤſſet, unumſchraͤnkt beherrſcht wird; und außerdem alles Dieſes nicht fuͤr einen Staat der reinen, einfachen allge- meinen Menſchlichkeit, ſondern fuͤr einen Staat von Hel- lenen, denen alle Nicht-Hellenen Gefaͤße der Unehren ſind. Wuͤrde die Gottheit (Apollon), von welcher der Staat ſeine Religion erwarten ſoll, dieſe Mittel fuͤr dieſe Zwecke gutheißen? Steht denn wirklich das Gut-Seyn des Staats hoͤher noch als das Gut-Seyn ſeiner Beſten, da ſie durch Trug (in den Ehe-Looſen), alſo durch einen Abfall vom Guten dieſe hoͤchſte Ausbildung des Staats-Kunſtwerks, welches ſeinen Zweck in ſich ſelber haͤtte, erkaufen ſollen? Waͤre da nicht beſſer ein weniger guter Staat, aber mit beſſeren Bewohnern?
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Neuntes Capitel.
zehnten Monat nach jener Feſthochzeit geboren ſind, werden
demnach von allen damahls Verbundenen als gemeinſame
Kinder betrachtet und als ſolche weiter erzogen. Mit die-
ſen nun duͤrfen ſich die Geſammt-Ältern zwar nicht ver-
ehlichen, allein die Geſammt-Kinder, die ſich Bruͤder und
Schweſtern nennen, duͤrfen es, wenn Apollon nichts da-
wider hat (V, p. 461.).
214. So bringt Platon der Gottheit des Staats die
hoͤchſten nur denkbaren Opfer, das Opfer der Familie, des
Hausweſens, der individuellen Bildung, und perſoͤnlichen
Freiheit, indem uͤber jede menſchliche Anlage von Staats-
wegen in Erziehung und Anwendung verfuͤgt wird, der
Hauswirthſchaft, der im Reichthum enthaltenen Bildungs-
mittel und Genuͤſſe, der freien Bewegung der Kuͤnſte,
insbeſondere der Dichtkunſt, er ſcheint ſelbſt einige Natur-
geſetze zu opfern, und alles Dieſes, um ein Gemeinwe-
ſen zu gruͤnden, welches von irgend einem der allein-
Weiſen, welcher widerwillig fuͤr kurze Zeit ſich dazu her-
ablaͤſſet, unumſchraͤnkt beherrſcht wird; und außerdem alles
Dieſes nicht fuͤr einen Staat der reinen, einfachen allge-
meinen Menſchlichkeit, ſondern fuͤr einen Staat von Hel-
lenen, denen alle Nicht-Hellenen Gefaͤße der Unehren ſind.
Wuͤrde die Gottheit (Apollon), von welcher der Staat
ſeine Religion erwarten ſoll, dieſe Mittel fuͤr dieſe Zwecke
gutheißen? Steht denn wirklich das Gut-Seyn des Staats
hoͤher noch als das Gut-Seyn ſeiner Beſten, da ſie durch
Trug (in den Ehe-Looſen), alſo durch einen Abfall vom
Guten dieſe hoͤchſte Ausbildung des Staats-Kunſtwerks,
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/200>, abgerufen am 20.07.2024.
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