gen Schriften fest und sie lag in den Händen der Geist- lichkeit. Was der Staat einheitlich vollbrachte, schien im Fürsten enthalten.
226. Von äußeren Erfolgen solcher stillen Bemühun- gen um den Staat im Sinne seines Standes zur Mensch- heit bemerkte sich freilich auf der Oberfläche des Lebens wenig. Die Stimme des Tags, der den Staat, wie er vorliegt, thätig zu behandeln und seine Zwecke zu fördern hat, tönt zu laut in der Geschichte. Seit indeß die Re- formation die feinsten Fragen praktisch gemacht hatte, so entscheidend daß seitdem vergeblich alles Bemühn ist sie ins Mysterium zurückzuspinnen, stellte sich neben den Schrift- stellern, welche den Staat der äußeren Erfolge, der Stärke der Herrschaft, daher des Reichthums wollten, die lange Reihe derjenigen auf, die nicht müde wurden das in christli- cher Zeit doppelt schwierige Verhältniß des Individuums zum Staate zu erörtern, welches sich in der Frage ausspricht: Wie soll Sittlichkeit mit dem Recht, das innere Gesetz der Freiheit mit dem äußeren des Zwangs bestehen? wer von beiden soll nachgeben ohne doch sich aufzugeben? ist in die- ser Gebrechlichkeit der menschlichen Dinge eine Versöhnung überhaupt nur möglich?
227. Den unfruchtbarsten Pfad schlugen wohl dieje- nigen ein, welche in Form der Alten ohne den Boden der Alten ein Ideal des Staats in die Luft zu malen such- ten, mochte es nun Utopia oder Oceana heißen. Die wilden Monarchomachen aber durchschnitten mit Schwert und Dolch den Knoten, den sie nicht zu lösen wußten. Besonders unhold steht Mariana's Jesuitische Volks-Souveränität da, die den tyrannischen König zu Gericht und Hinrichtung
Neuntes Capitel.
gen Schriften feſt und ſie lag in den Haͤnden der Geiſt- lichkeit. Was der Staat einheitlich vollbrachte, ſchien im Fuͤrſten enthalten.
226. Von aͤußeren Erfolgen ſolcher ſtillen Bemuͤhun- gen um den Staat im Sinne ſeines Standes zur Menſch- heit bemerkte ſich freilich auf der Oberflaͤche des Lebens wenig. Die Stimme des Tags, der den Staat, wie er vorliegt, thaͤtig zu behandeln und ſeine Zwecke zu foͤrdern hat, toͤnt zu laut in der Geſchichte. Seit indeß die Re- formation die feinſten Fragen praktiſch gemacht hatte, ſo entſcheidend daß ſeitdem vergeblich alles Bemuͤhn iſt ſie ins Myſterium zuruͤckzuſpinnen, ſtellte ſich neben den Schrift- ſtellern, welche den Staat der aͤußeren Erfolge, der Staͤrke der Herrſchaft, daher des Reichthums wollten, die lange Reihe derjenigen auf, die nicht muͤde wurden das in chriſtli- cher Zeit doppelt ſchwierige Verhaͤltniß des Individuums zum Staate zu eroͤrtern, welches ſich in der Frage ausſpricht: Wie ſoll Sittlichkeit mit dem Recht, das innere Geſetz der Freiheit mit dem aͤußeren des Zwangs beſtehen? wer von beiden ſoll nachgeben ohne doch ſich aufzugeben? iſt in die- ſer Gebrechlichkeit der menſchlichen Dinge eine Verſoͤhnung uͤberhaupt nur moͤglich?
227. Den unfruchtbarſten Pfad ſchlugen wohl dieje- nigen ein, welche in Form der Alten ohne den Boden der Alten ein Ideal des Staats in die Luft zu malen ſuch- ten, mochte es nun Utopia oder Oceana heißen. Die wilden Monarchomachen aber durchſchnitten mit Schwert und Dolch den Knoten, den ſie nicht zu loͤſen wußten. Beſonders unhold ſteht Mariana’s Jeſuitiſche Volks-Souveraͤnitaͤt da, die den tyranniſchen Koͤnig zu Gericht und Hinrichtung
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Neuntes Capitel.
gen Schriften feſt und ſie lag in den Haͤnden der Geiſt-
lichkeit. Was der Staat einheitlich vollbrachte, ſchien im
Fuͤrſten enthalten.
226. Von aͤußeren Erfolgen ſolcher ſtillen Bemuͤhun-
gen um den Staat im Sinne ſeines Standes zur Menſch-
heit bemerkte ſich freilich auf der Oberflaͤche des Lebens
wenig. Die Stimme des Tags, der den Staat, wie er
vorliegt, thaͤtig zu behandeln und ſeine Zwecke zu foͤrdern
hat, toͤnt zu laut in der Geſchichte. Seit indeß die Re-
formation die feinſten Fragen praktiſch gemacht hatte, ſo
entſcheidend daß ſeitdem vergeblich alles Bemuͤhn iſt ſie
ins Myſterium zuruͤckzuſpinnen, ſtellte ſich neben den Schrift-
ſtellern, welche den Staat der aͤußeren Erfolge, der Staͤrke
der Herrſchaft, daher des Reichthums wollten, die lange
Reihe derjenigen auf, die nicht muͤde wurden das in chriſtli-
cher Zeit doppelt ſchwierige Verhaͤltniß des Individuums zum
Staate zu eroͤrtern, welches ſich in der Frage ausſpricht:
Wie ſoll Sittlichkeit mit dem Recht, das innere Geſetz der
Freiheit mit dem aͤußeren des Zwangs beſtehen? wer von
beiden ſoll nachgeben ohne doch ſich aufzugeben? iſt in die-
ſer Gebrechlichkeit der menſchlichen Dinge eine Verſoͤhnung
uͤberhaupt nur moͤglich?
227. Den unfruchtbarſten Pfad ſchlugen wohl dieje-
nigen ein, welche in Form der Alten ohne den Boden der
Alten ein Ideal des Staats in die Luft zu malen ſuch-
ten, mochte es nun Utopia oder Oceana heißen. Die wilden
Monarchomachen aber durchſchnitten mit Schwert und Dolch
den Knoten, den ſie nicht zu loͤſen wußten. Beſonders
unhold ſteht Mariana’s Jeſuitiſche Volks-Souveraͤnitaͤt da,
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/208>, abgerufen am 20.07.2024.
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