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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Von d. Rechte d. Staates üb. Erzieh. u. Unterricht.
nahmen die Spartaner den Müttern die Kinder und über-
gaben sie Staatserziehern und so zu thun empfehlen un-
verkennbar nach Dorischem Muster Platon und Fichte 1).
Kann nur die Rede davon seyn, ob die Spartaner recht
daran thaten? Das Kind, wenn überhaupt der Auferzie-
hung werth geachtet, gehörte nach ihrem Glauben dem
Staate zu. Nur sechs Jahre blieben ihre Knaben in der
Finsterniß des Hauses (skotioi), mit dem siebenten be-
gann die öffentliche Erziehung des Bürgers, von nun
an gehörte er einer Schaar der Staatsjugend an, mit
dem achtzehnten Jüngling, war er doch nicht auserzogen,
man zog ihn nur um so strenger, er trat als dienendes
Glied zu den Syssitien der Männer, übte zugleich die Re-
gel der Zucht an den jüngeren Knaben und stieg so, Er-
zieher und erzogen, in festen Schranken bis zum dreißig-
jährigen Mannesalter. Warum ergriff hier der Staat den
Knaben so früh, den andere Dorer zehn Jahre länger der
Familie ließen 2)? Weil der Spartaner-Stamm seine ganze
Kraft ununterbrochen aufbieten mußte, um seine Herrschaft
gegen diejenigen zu beschützen, "welche jeden Spartiaten gern
roh verschlungen hätten" 3), gegen den Haß von neun
Zehntheilen der Bevölkerung. Darum war die Erhaltung
des Staates zunächst Zweck der Spartiaten-Ehe, die nicht
zu spät geschlossen, noch weniger unterlassen werden, am
wenigsten aber der Fortpflanzung verfehlen durfte, sonst
Entfernung der Frau, wenn nicht der Ehemann vorzog
ihr einen anderen Erzeuger zu gefallen. Demselben
Zwecke aber weiht sich die Erziehung. Die Gegenstände
derselben lagen zwischen den beiden Polen: Reli-
gion
und Leibesübung. Durch die erstere sollen die
Gewalten, die der Mensch in seiner Macht nicht hat, ge-
wonnen, geneigt erhalten werden, die Gewalten, die den

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Von d. Rechte d. Staates uͤb. Erzieh. u. Unterricht.
nahmen die Spartaner den Muͤttern die Kinder und uͤber-
gaben ſie Staatserziehern und ſo zu thun empfehlen un-
verkennbar nach Doriſchem Muſter Platon und Fichte 1).
Kann nur die Rede davon ſeyn, ob die Spartaner recht
daran thaten? Das Kind, wenn uͤberhaupt der Auferzie-
hung werth geachtet, gehoͤrte nach ihrem Glauben dem
Staate zu. Nur ſechs Jahre blieben ihre Knaben in der
Finſterniß des Hauſes (σκότιοι), mit dem ſiebenten be-
gann die oͤffentliche Erziehung des Buͤrgers, von nun
an gehoͤrte er einer Schaar der Staatsjugend an, mit
dem achtzehnten Juͤngling, war er doch nicht auserzogen,
man zog ihn nur um ſo ſtrenger, er trat als dienendes
Glied zu den Syſſitien der Maͤnner, uͤbte zugleich die Re-
gel der Zucht an den juͤngeren Knaben und ſtieg ſo, Er-
zieher und erzogen, in feſten Schranken bis zum dreißig-
jaͤhrigen Mannesalter. Warum ergriff hier der Staat den
Knaben ſo fruͤh, den andere Dorer zehn Jahre laͤnger der
Familie ließen 2)? Weil der Spartaner-Stamm ſeine ganze
Kraft ununterbrochen aufbieten mußte, um ſeine Herrſchaft
gegen diejenigen zu beſchuͤtzen, „welche jeden Spartiaten gern
roh verſchlungen haͤtten“ 3), gegen den Haß von neun
Zehntheilen der Bevoͤlkerung. Darum war die Erhaltung
des Staates zunaͤchſt Zweck der Spartiaten-Ehe, die nicht
zu ſpaͤt geſchloſſen, noch weniger unterlaſſen werden, am
wenigſten aber der Fortpflanzung verfehlen durfte, ſonſt
Entfernung der Frau, wenn nicht der Ehemann vorzog
ihr einen anderen Erzeuger zu gefallen. Demſelben
Zwecke aber weiht ſich die Erziehung. Die Gegenſtaͤnde
derſelben lagen zwiſchen den beiden Polen: Reli-
gion
und Leibesuͤbung. Durch die erſtere ſollen die
Gewalten, die der Menſch in ſeiner Macht nicht hat, ge-
wonnen, geneigt erhalten werden, die Gewalten, die den

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[257/0269] Von d. Rechte d. Staates uͤb. Erzieh. u. Unterricht. nahmen die Spartaner den Muͤttern die Kinder und uͤber- gaben ſie Staatserziehern und ſo zu thun empfehlen un- verkennbar nach Doriſchem Muſter Platon und Fichte 1). Kann nur die Rede davon ſeyn, ob die Spartaner recht daran thaten? Das Kind, wenn uͤberhaupt der Auferzie- hung werth geachtet, gehoͤrte nach ihrem Glauben dem Staate zu. Nur ſechs Jahre blieben ihre Knaben in der Finſterniß des Hauſes (σκότιοι), mit dem ſiebenten be- gann die oͤffentliche Erziehung des Buͤrgers, von nun an gehoͤrte er einer Schaar der Staatsjugend an, mit dem achtzehnten Juͤngling, war er doch nicht auserzogen, man zog ihn nur um ſo ſtrenger, er trat als dienendes Glied zu den Syſſitien der Maͤnner, uͤbte zugleich die Re- gel der Zucht an den juͤngeren Knaben und ſtieg ſo, Er- zieher und erzogen, in feſten Schranken bis zum dreißig- jaͤhrigen Mannesalter. Warum ergriff hier der Staat den Knaben ſo fruͤh, den andere Dorer zehn Jahre laͤnger der Familie ließen 2)? Weil der Spartaner-Stamm ſeine ganze Kraft ununterbrochen aufbieten mußte, um ſeine Herrſchaft gegen diejenigen zu beſchuͤtzen, „welche jeden Spartiaten gern roh verſchlungen haͤtten“ 3), gegen den Haß von neun Zehntheilen der Bevoͤlkerung. Darum war die Erhaltung des Staates zunaͤchſt Zweck der Spartiaten-Ehe, die nicht zu ſpaͤt geſchloſſen, noch weniger unterlaſſen werden, am wenigſten aber der Fortpflanzung verfehlen durfte, ſonſt Entfernung der Frau, wenn nicht der Ehemann vorzog ihr einen anderen Erzeuger zu gefallen. Demſelben Zwecke aber weiht ſich die Erziehung. Die Gegenſtaͤnde derſelben lagen zwiſchen den beiden Polen: Reli- gion und Leibesuͤbung. Durch die erſtere ſollen die Gewalten, die der Menſch in ſeiner Macht nicht hat, ge- wonnen, geneigt erhalten werden, die Gewalten, die den 17

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/269>, abgerufen am 22.11.2024.