Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Vom Universitätswesen.
früher, als bis sie ihre Universität, Genf, gefunden hatte.
Dem neuerwachten Leben des Geistes schlossen sich alle
glücklichen Talente an; wie öde ward es da, wo man es
ausschloß! Es gehört eine seltene Geisteskraft und Reinheit
dazu, sich über widerwärtige historische Erinnerungen bis
zur Unpartheilichkeit zu erheben, aber glücklicher Weise auch
die seltenste Verblendung, um erhebender zu vergessen.
Preußen ist durch die Reformation Alles geworden was es
ist; Österreich wäre durch sie zu verschiedenen Mahlen bei-
nahe untergegangen. Wie man aber über die Reformation
denkt, so denkt man über die Universitäten, die den Geist
der Reformation in sich aufgenommen haben.

1) Statut. Gotting. §. 39. vgl. sonst Meiners, Gesch. der -- ho-
hen Schulen unsers Erdtheils I, 170 ff. 207 f. Mancher dunkle
Punkt der inneren Geschichte unserer Universitäten wird sich übri-
gens gründlicher als es Meiners gelungen ist, der gerade Prag
sehr wenig berücksichtigt, erhellen lassen aus: Monumenta histo-
rica universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis. T. I.
worin
Liber Decanorum facultatis philosophicae universitatis ab a.
Chr. 1367. usque ad a. 1585. P. I. Pragae
1830. Ich hebe
einige Andeutungen hervor. Weihnachten 1366 wurden die Ho-
norare (pastus) eingerichtet; wer nicht mehr als 12 fl. jährlich
zu verzehren hat, geht frei aus. Besonders der Pariser Maas-
stab wird für die Honorare zum Grunde gelegt, für Aristoteles
Metaphysik acht Groschen und soll in einem Semester beendet
werden, eben so viel für die Physik in 3 Quartalen, de coelo 5
grossos per 4 menses, de generatione 3 grossos per 2
menses -- --, de longitudine et brevitate vitae 1
grossum per 2 septimanas -- --, algorismus 8 Hallen-
ses per 3 septimanas
. Ein Scholar, der dreimahl gekommen
ist, soll zum pastus verpflichtet seyn. Offenbar hatte also zu
Anfang jede philosophische Vorlesung ihren eigenen Verlauf, konnte
auch (bis 1367) anfangen, wann man wollte; bloß die Disputir-
Übungen waren von Anfang her halbjährig (ad a. 1379.), fin-
gen zum Sommer mit St. Georg (13 April), zum Winter mit St.

Vom Univerſitaͤtsweſen.
fruͤher, als bis ſie ihre Univerſitaͤt, Genf, gefunden hatte.
Dem neuerwachten Leben des Geiſtes ſchloſſen ſich alle
gluͤcklichen Talente an; wie oͤde ward es da, wo man es
ausſchloß! Es gehoͤrt eine ſeltene Geiſteskraft und Reinheit
dazu, ſich uͤber widerwaͤrtige hiſtoriſche Erinnerungen bis
zur Unpartheilichkeit zu erheben, aber gluͤcklicher Weiſe auch
die ſeltenſte Verblendung, um erhebender zu vergeſſen.
Preußen iſt durch die Reformation Alles geworden was es
iſt; Öſterreich waͤre durch ſie zu verſchiedenen Mahlen bei-
nahe untergegangen. Wie man aber uͤber die Reformation
denkt, ſo denkt man uͤber die Univerſitaͤten, die den Geiſt
der Reformation in ſich aufgenommen haben.

1) Statut. Gotting. §. 39. vgl. ſonſt Meiners, Geſch. der — ho-
hen Schulen unſers Erdtheils I, 170 ff. 207 f. Mancher dunkle
Punkt der inneren Geſchichte unſerer Univerſitaͤten wird ſich uͤbri-
gens gruͤndlicher als es Meiners gelungen iſt, der gerade Prag
ſehr wenig beruͤckſichtigt, erhellen laſſen aus: Monumenta histo-
rica universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis. T. I.
worin
Liber Decanorum facultatis philosophicae universitatis ab a.
Chr. 1367. usque ad a. 1585. P. I. Pragae
1830. Ich hebe
einige Andeutungen hervor. Weihnachten 1366 wurden die Ho-
norare (pastus) eingerichtet; wer nicht mehr als 12 fl. jaͤhrlich
zu verzehren hat, geht frei aus. Beſonders der Pariſer Maas-
ſtab wird fuͤr die Honorare zum Grunde gelegt, fuͤr Ariſtoteles
Metaphyſik acht Groſchen und ſoll in einem Semeſter beendet
werden, eben ſo viel fuͤr die Phyſik in 3 Quartalen, de coelo 5
grossos per 4 menses, de generatione 3 grossos per 2
menses — —, de longitudine et brevitate vitae 1
grossum per 2 septimanas — —, algorismus 8 Hallen-
ses per 3 septimanas
. Ein Scholar, der dreimahl gekommen
iſt, ſoll zum pastus verpflichtet ſeyn. Offenbar hatte alſo zu
Anfang jede philoſophiſche Vorleſung ihren eigenen Verlauf, konnte
auch (bis 1367) anfangen, wann man wollte; bloß die Disputir-
Übungen waren von Anfang her halbjaͤhrig (ad a. 1379.), fin-
gen zum Sommer mit St. Georg (13 April), zum Winter mit St.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0293" n="281"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vom Univer&#x017F;ita&#x0364;tswe&#x017F;en</hi>.</fw><lb/>
fru&#x0364;her, als bis &#x017F;ie ihre Univer&#x017F;ita&#x0364;t, Genf, gefunden hatte.<lb/>
Dem neuerwachten Leben des Gei&#x017F;tes &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich alle<lb/>
glu&#x0364;cklichen Talente an; wie o&#x0364;de ward es da, wo man es<lb/>
aus&#x017F;chloß! Es geho&#x0364;rt eine &#x017F;eltene Gei&#x017F;teskraft und Reinheit<lb/>
dazu, &#x017F;ich u&#x0364;ber widerwa&#x0364;rtige hi&#x017F;tori&#x017F;che Erinnerungen bis<lb/>
zur Unpartheilichkeit zu erheben, aber glu&#x0364;cklicher Wei&#x017F;e auch<lb/>
die &#x017F;elten&#x017F;te Verblendung, um erhebender zu verge&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Preußen i&#x017F;t durch die Reformation Alles geworden was es<lb/>
i&#x017F;t; Ö&#x017F;terreich wa&#x0364;re durch &#x017F;ie zu ver&#x017F;chiedenen Mahlen bei-<lb/>
nahe untergegangen. Wie man aber u&#x0364;ber die Reformation<lb/>
denkt, &#x017F;o denkt man u&#x0364;ber die Univer&#x017F;ita&#x0364;ten, die den Gei&#x017F;t<lb/>
der Reformation in &#x017F;ich aufgenommen haben.</p><lb/>
                <note place="end" n="1)"><hi rendition="#aq">Statut. Gotting</hi>. §. 39. vgl. &#x017F;on&#x017F;t <hi rendition="#g">Meiners</hi>, Ge&#x017F;ch. der &#x2014; ho-<lb/>
hen Schulen un&#x017F;ers Erdtheils <hi rendition="#aq">I,</hi> 170 ff. 207 f. Mancher dunkle<lb/>
Punkt der inneren Ge&#x017F;chichte un&#x017F;erer Univer&#x017F;ita&#x0364;ten wird &#x017F;ich u&#x0364;bri-<lb/>
gens gru&#x0364;ndlicher als es Meiners gelungen i&#x017F;t, der gerade Prag<lb/>
&#x017F;ehr wenig beru&#x0364;ck&#x017F;ichtigt, erhellen la&#x017F;&#x017F;en aus: <hi rendition="#aq">Monumenta histo-<lb/>
rica universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis. T. I.</hi> worin<lb/><hi rendition="#aq">Liber Decanorum facultatis philosophicae universitatis ab a.<lb/>
Chr. 1367. usque ad a. 1585. P. I. Pragae</hi> 1830. Ich hebe<lb/>
einige Andeutungen hervor. Weihnachten 1366 wurden die Ho-<lb/>
norare (<hi rendition="#aq">pastus</hi>) eingerichtet; wer nicht mehr als 12 fl. ja&#x0364;hrlich<lb/>
zu verzehren hat, geht frei aus. Be&#x017F;onders der Pari&#x017F;er Maas-<lb/>
&#x017F;tab wird fu&#x0364;r die Honorare zum Grunde gelegt, fu&#x0364;r Ari&#x017F;toteles<lb/>
Metaphy&#x017F;ik acht Gro&#x017F;chen und &#x017F;oll in einem Seme&#x017F;ter beendet<lb/>
werden, eben &#x017F;o viel fu&#x0364;r die Phy&#x017F;ik in 3 Quartalen, <hi rendition="#aq">de <hi rendition="#g">coelo</hi> 5<lb/>
grossos per 4 menses, de <hi rendition="#g">generatione</hi> 3 grossos per 2<lb/>
menses &#x2014; &#x2014;, <hi rendition="#g">de longitudine et brevitate vitae</hi> 1<lb/>
grossum per 2 septimanas &#x2014; &#x2014;, <hi rendition="#g">algorismus</hi> 8 Hallen-<lb/>
ses per 3 septimanas</hi>. Ein Scholar, der dreimahl gekommen<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;oll zum <hi rendition="#aq">pastus</hi> verpflichtet &#x017F;eyn. Offenbar hatte al&#x017F;o zu<lb/>
Anfang jede philo&#x017F;ophi&#x017F;che Vorle&#x017F;ung ihren eigenen Verlauf, konnte<lb/>
auch (bis 1367) anfangen, wann man wollte; bloß die Disputir-<lb/>
Übungen waren von Anfang her <hi rendition="#g">halbja&#x0364;hrig</hi> (<hi rendition="#aq">ad a.</hi> 1379.), fin-<lb/>
gen zum Sommer mit <hi rendition="#aq">St. Georg</hi> (13 April), zum Winter mit <hi rendition="#aq">St.</hi><lb/></note>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0293] Vom Univerſitaͤtsweſen. fruͤher, als bis ſie ihre Univerſitaͤt, Genf, gefunden hatte. Dem neuerwachten Leben des Geiſtes ſchloſſen ſich alle gluͤcklichen Talente an; wie oͤde ward es da, wo man es ausſchloß! Es gehoͤrt eine ſeltene Geiſteskraft und Reinheit dazu, ſich uͤber widerwaͤrtige hiſtoriſche Erinnerungen bis zur Unpartheilichkeit zu erheben, aber gluͤcklicher Weiſe auch die ſeltenſte Verblendung, um erhebender zu vergeſſen. Preußen iſt durch die Reformation Alles geworden was es iſt; Öſterreich waͤre durch ſie zu verſchiedenen Mahlen bei- nahe untergegangen. Wie man aber uͤber die Reformation denkt, ſo denkt man uͤber die Univerſitaͤten, die den Geiſt der Reformation in ſich aufgenommen haben. ¹⁾ Statut. Gotting. §. 39. vgl. ſonſt Meiners, Geſch. der — ho- hen Schulen unſers Erdtheils I, 170 ff. 207 f. Mancher dunkle Punkt der inneren Geſchichte unſerer Univerſitaͤten wird ſich uͤbri- gens gruͤndlicher als es Meiners gelungen iſt, der gerade Prag ſehr wenig beruͤckſichtigt, erhellen laſſen aus: Monumenta histo- rica universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis. T. I. worin Liber Decanorum facultatis philosophicae universitatis ab a. Chr. 1367. usque ad a. 1585. P. I. Pragae 1830. Ich hebe einige Andeutungen hervor. Weihnachten 1366 wurden die Ho- norare (pastus) eingerichtet; wer nicht mehr als 12 fl. jaͤhrlich zu verzehren hat, geht frei aus. Beſonders der Pariſer Maas- ſtab wird fuͤr die Honorare zum Grunde gelegt, fuͤr Ariſtoteles Metaphyſik acht Groſchen und ſoll in einem Semeſter beendet werden, eben ſo viel fuͤr die Phyſik in 3 Quartalen, de coelo 5 grossos per 4 menses, de generatione 3 grossos per 2 menses — —, de longitudine et brevitate vitae 1 grossum per 2 septimanas — —, algorismus 8 Hallen- ses per 3 septimanas. Ein Scholar, der dreimahl gekommen iſt, ſoll zum pastus verpflichtet ſeyn. Offenbar hatte alſo zu Anfang jede philoſophiſche Vorleſung ihren eigenen Verlauf, konnte auch (bis 1367) anfangen, wann man wollte; bloß die Disputir- Übungen waren von Anfang her halbjaͤhrig (ad a. 1379.), fin- gen zum Sommer mit St. Georg (13 April), zum Winter mit St.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/293
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/293>, abgerufen am 22.11.2024.