Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechzehntes Capitel.
nisse überträgt, der kann zwar, wenn er gewaltig und
wirklich begeistert ist, mächtig aufregen, aber er zündet
statt zu erleuchten und gefährdet durch Mishandlung der
weltlichen Ordnungen den Staat, den er zu verbessern ge-
dachte. Daß der Mensch Alles mit Religion, nichts aus
Religion thun müsse, ist ein tiefes Wort Schleiermachers.
Den Beweis dafür giebt mancher große Abschnitt der Men-
schengeschichte, von der Geschichte des Kirchenzehenten und
des Zinses vom Darlehn, des den Sachsen mit dem
Schwert gepredigten Glaubens, der treuga Dei, des geist-
lichen Cölibats und der Kreuzzüge an bis selbst zur inne-
ren Geschichte der heiligen Allianz herab. Darum steht,
wer möchte es leugnen? die katholische Kirche viel bedenk-
licher gegen den heutigen Staat, der auf seine Rechte auf-
merksam geworden ist und entschlossen ist das nicht fahren zu
lassen, was von der andern Seite nur als Concession in der
Form von Circumscriptionsbullen oder Concordaten mit ei-
nem auswärtigen Kirchenfürsten, der des doppelten Schwer-
tes sich rühmt, unwillfährig eingeräumt wird, als die pro-
testantische, welche mit dem Staate ausgesöhnt ist, seinen
alleinigen Schutz in Anspruch nimmt und keines auswärtigen
Richters begehrt, seiner Oberaufsicht sich willig unterwirft,
sein Veto in kirchlichen Dingen anerkennt, und nur über
die Gränzen nachsinnt, welche seiner gesetzgebenden
Gewalt auf kirchlichem Boden zu stecken sind.

295. Denn der Staat darf nicht herrschen zum Nach-
theile des religiösen Lebens. Vielleicht ist es minder zu
beklagen als es zu geschehen pflegt, daß die großen Refor-
matoren ihren Eifer lieber auf die lebendige Pflege der
Religion als auf die Ausarbeitung einer vollständigen Kir-
chenverfassung verwandten; sie würden auf dem andern

Sechzehntes Capitel.
niſſe uͤbertraͤgt, der kann zwar, wenn er gewaltig und
wirklich begeiſtert iſt, maͤchtig aufregen, aber er zuͤndet
ſtatt zu erleuchten und gefaͤhrdet durch Mishandlung der
weltlichen Ordnungen den Staat, den er zu verbeſſern ge-
dachte. Daß der Menſch Alles mit Religion, nichts aus
Religion thun muͤſſe, iſt ein tiefes Wort Schleiermachers.
Den Beweis dafuͤr giebt mancher große Abſchnitt der Men-
ſchengeſchichte, von der Geſchichte des Kirchenzehenten und
des Zinſes vom Darlehn, des den Sachſen mit dem
Schwert gepredigten Glaubens, der treuga Dei, des geiſt-
lichen Coͤlibats und der Kreuzzuͤge an bis ſelbſt zur inne-
ren Geſchichte der heiligen Allianz herab. Darum ſteht,
wer moͤchte es leugnen? die katholiſche Kirche viel bedenk-
licher gegen den heutigen Staat, der auf ſeine Rechte auf-
merkſam geworden iſt und entſchloſſen iſt das nicht fahren zu
laſſen, was von der andern Seite nur als Conceſſion in der
Form von Circumſcriptionsbullen oder Concordaten mit ei-
nem auswaͤrtigen Kirchenfuͤrſten, der des doppelten Schwer-
tes ſich ruͤhmt, unwillfaͤhrig eingeraͤumt wird, als die pro-
teſtantiſche, welche mit dem Staate ausgeſoͤhnt iſt, ſeinen
alleinigen Schutz in Anſpruch nimmt und keines auswaͤrtigen
Richters begehrt, ſeiner Oberaufſicht ſich willig unterwirft,
ſein Veto in kirchlichen Dingen anerkennt, und nur uͤber
die Graͤnzen nachſinnt, welche ſeiner geſetzgebenden
Gewalt auf kirchlichem Boden zu ſtecken ſind.

295. Denn der Staat darf nicht herrſchen zum Nach-
theile des religioͤſen Lebens. Vielleicht iſt es minder zu
beklagen als es zu geſchehen pflegt, daß die großen Refor-
matoren ihren Eifer lieber auf die lebendige Pflege der
Religion als auf die Ausarbeitung einer vollſtaͤndigen Kir-
chenverfaſſung verwandten; ſie wuͤrden auf dem andern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0332" n="320"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechzehntes Capitel</hi>.</fw><lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e u&#x0364;bertra&#x0364;gt, der kann zwar, wenn er gewaltig und<lb/>
wirklich begei&#x017F;tert i&#x017F;t, ma&#x0364;chtig aufregen, aber er zu&#x0364;ndet<lb/>
&#x017F;tatt zu erleuchten und gefa&#x0364;hrdet durch Mishandlung der<lb/>
weltlichen Ordnungen den Staat, den er zu verbe&#x017F;&#x017F;ern ge-<lb/>
dachte. Daß der Men&#x017F;ch Alles <hi rendition="#g">mit</hi> Religion, nichts <hi rendition="#g">aus</hi><lb/>
Religion thun mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, i&#x017F;t ein tiefes Wort Schleiermachers.<lb/>
Den Beweis dafu&#x0364;r giebt mancher große Ab&#x017F;chnitt der Men-<lb/>
&#x017F;chenge&#x017F;chichte, von der Ge&#x017F;chichte des Kirchenzehenten und<lb/>
des Zin&#x017F;es vom Darlehn, des den Sach&#x017F;en mit dem<lb/>
Schwert gepredigten Glaubens, der <hi rendition="#aq">treuga Dei,</hi> des gei&#x017F;t-<lb/>
lichen Co&#x0364;libats und der Kreuzzu&#x0364;ge an bis &#x017F;elb&#x017F;t zur inne-<lb/>
ren Ge&#x017F;chichte der heiligen Allianz herab. Darum &#x017F;teht,<lb/>
wer mo&#x0364;chte es leugnen? die katholi&#x017F;che Kirche viel bedenk-<lb/>
licher gegen den heutigen Staat, der auf &#x017F;eine Rechte auf-<lb/>
merk&#x017F;am geworden i&#x017F;t und ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t das nicht fahren zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, was von der andern Seite nur als Conce&#x017F;&#x017F;ion in der<lb/>
Form von Circum&#x017F;criptionsbullen oder Concordaten mit ei-<lb/>
nem auswa&#x0364;rtigen Kirchenfu&#x0364;r&#x017F;ten, der des doppelten Schwer-<lb/>
tes &#x017F;ich ru&#x0364;hmt, unwillfa&#x0364;hrig eingera&#x0364;umt wird, als die pro-<lb/>
te&#x017F;tanti&#x017F;che, welche mit dem Staate ausge&#x017F;o&#x0364;hnt i&#x017F;t, &#x017F;einen<lb/>
alleinigen Schutz in An&#x017F;pruch nimmt und keines auswa&#x0364;rtigen<lb/>
Richters begehrt, &#x017F;einer Oberauf&#x017F;icht &#x017F;ich willig unterwirft,<lb/>
&#x017F;ein Veto in kirchlichen Dingen anerkennt, und nur u&#x0364;ber<lb/>
die Gra&#x0364;nzen nach&#x017F;innt, welche &#x017F;einer <hi rendition="#g">ge&#x017F;etzgebenden</hi><lb/>
Gewalt auf kirchlichem Boden zu &#x017F;tecken &#x017F;ind.</p><lb/>
                <p>295. Denn der Staat darf nicht herr&#x017F;chen zum Nach-<lb/>
theile des religio&#x0364;&#x017F;en Lebens. Vielleicht i&#x017F;t es minder zu<lb/>
beklagen als es zu ge&#x017F;chehen pflegt, daß die großen Refor-<lb/>
matoren ihren Eifer lieber auf die lebendige Pflege der<lb/>
Religion als auf die Ausarbeitung einer voll&#x017F;ta&#x0364;ndigen Kir-<lb/>
chenverfa&#x017F;&#x017F;ung verwandten; &#x017F;ie wu&#x0364;rden auf dem andern<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[320/0332] Sechzehntes Capitel. niſſe uͤbertraͤgt, der kann zwar, wenn er gewaltig und wirklich begeiſtert iſt, maͤchtig aufregen, aber er zuͤndet ſtatt zu erleuchten und gefaͤhrdet durch Mishandlung der weltlichen Ordnungen den Staat, den er zu verbeſſern ge- dachte. Daß der Menſch Alles mit Religion, nichts aus Religion thun muͤſſe, iſt ein tiefes Wort Schleiermachers. Den Beweis dafuͤr giebt mancher große Abſchnitt der Men- ſchengeſchichte, von der Geſchichte des Kirchenzehenten und des Zinſes vom Darlehn, des den Sachſen mit dem Schwert gepredigten Glaubens, der treuga Dei, des geiſt- lichen Coͤlibats und der Kreuzzuͤge an bis ſelbſt zur inne- ren Geſchichte der heiligen Allianz herab. Darum ſteht, wer moͤchte es leugnen? die katholiſche Kirche viel bedenk- licher gegen den heutigen Staat, der auf ſeine Rechte auf- merkſam geworden iſt und entſchloſſen iſt das nicht fahren zu laſſen, was von der andern Seite nur als Conceſſion in der Form von Circumſcriptionsbullen oder Concordaten mit ei- nem auswaͤrtigen Kirchenfuͤrſten, der des doppelten Schwer- tes ſich ruͤhmt, unwillfaͤhrig eingeraͤumt wird, als die pro- teſtantiſche, welche mit dem Staate ausgeſoͤhnt iſt, ſeinen alleinigen Schutz in Anſpruch nimmt und keines auswaͤrtigen Richters begehrt, ſeiner Oberaufſicht ſich willig unterwirft, ſein Veto in kirchlichen Dingen anerkennt, und nur uͤber die Graͤnzen nachſinnt, welche ſeiner geſetzgebenden Gewalt auf kirchlichem Boden zu ſtecken ſind. 295. Denn der Staat darf nicht herrſchen zum Nach- theile des religioͤſen Lebens. Vielleicht iſt es minder zu beklagen als es zu geſchehen pflegt, daß die großen Refor- matoren ihren Eifer lieber auf die lebendige Pflege der Religion als auf die Ausarbeitung einer vollſtaͤndigen Kir- chenverfaſſung verwandten; ſie wuͤrden auf dem andern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/332
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/332>, abgerufen am 21.11.2024.