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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Zweites Capitel.

33. Über das Schicksal des Königthums hat Lykurg
entschieden. Indem er mit der einen Hand die Schranke
zwischen herrschenden Freien und Gemeinfreien unwieder-
ruflich feststellte, mußte er mit der andern seine Spartaner
so hoch heben, daß sie die Schranke auch halten konnten.
Vor Lykurg waren Ausbrüche roher Gewalt nirgend häufi-
ger, als unter diesem Theile der Dorer. Er überzeugte
sie, daß, um fortzuherrschen, sie sich selber beherrschen
müßten, in Entbehrung, Mäßigkeit und strenger Ordnung
leben, dabei den Speer nicht aus der Hand lassen 1), damit
sie, die Wenigen, auf das eine Ziel gestellt, der mannigfach
beschäftigten und erwerbenden Menge draußen überlegen
wären. Sie leisteten das Gelübde der Armuth, überließen
ihre Landgüter den Leibeigenen zum Anbau, die ihnen
Jahr aus Jahr ein ein Gewisses an Lebensmitteln als
festen Kanon liefern mußten, auf dessen Erhöhung ein
Fluch haftete. Ihre Könige mochten die reichsten Herren
in Hellas seyn, ihre Gemeinfreien Gewinn vom Acker,
aus Gewerbe und Handel ziehen, die Leibeigenen sich be-
reichern, unter ihnen durfte Besitz und Arbeit auf den
Erwerb weder Ehre noch Nutzen bringen. Reich hieß
unter ihnen, wer, weil seine Sclaven Weitzenboden bau-
ten, zum gemeinsamen Mahle Weitzenbrodte statt der Gerste
beisteuern konnte. Die auch in anderen Aristokratieen von
Hellas hervortretende Ansicht, daß die Bestellung des
Ackers mit eigener Hand nicht ehrenhaft sey, kam derge-
stalt hier zur strengsten Ausbildung. Ihr einzig erlaubtes
Gewerbe ist Kriegsübung, die eigene und die der Staats-
Jugend (politikoi paides). Die Bürgermahlzeiten, für
deren Bestreitung der Kanon der Leibeigenen mehrentheils
aufging, geschehen in kriegerischer Ordnung. Alles ist hier
aus einem Stücke, demselben Zwecke unterthan; die rein

Zweites Capitel.

33. Über das Schickſal des Koͤnigthums hat Lykurg
entſchieden. Indem er mit der einen Hand die Schranke
zwiſchen herrſchenden Freien und Gemeinfreien unwieder-
ruflich feſtſtellte, mußte er mit der andern ſeine Spartaner
ſo hoch heben, daß ſie die Schranke auch halten konnten.
Vor Lykurg waren Ausbruͤche roher Gewalt nirgend haͤufi-
ger, als unter dieſem Theile der Dorer. Er uͤberzeugte
ſie, daß, um fortzuherrſchen, ſie ſich ſelber beherrſchen
muͤßten, in Entbehrung, Maͤßigkeit und ſtrenger Ordnung
leben, dabei den Speer nicht aus der Hand laſſen 1), damit
ſie, die Wenigen, auf das eine Ziel geſtellt, der mannigfach
beſchaͤftigten und erwerbenden Menge draußen uͤberlegen
waͤren. Sie leiſteten das Geluͤbde der Armuth, uͤberließen
ihre Landguͤter den Leibeigenen zum Anbau, die ihnen
Jahr aus Jahr ein ein Gewiſſes an Lebensmitteln als
feſten Kanon liefern mußten, auf deſſen Erhoͤhung ein
Fluch haftete. Ihre Koͤnige mochten die reichſten Herren
in Hellas ſeyn, ihre Gemeinfreien Gewinn vom Acker,
aus Gewerbe und Handel ziehen, die Leibeigenen ſich be-
reichern, unter ihnen durfte Beſitz und Arbeit auf den
Erwerb weder Ehre noch Nutzen bringen. Reich hieß
unter ihnen, wer, weil ſeine Sclaven Weitzenboden bau-
ten, zum gemeinſamen Mahle Weitzenbrodte ſtatt der Gerſte
beiſteuern konnte. Die auch in anderen Ariſtokratieen von
Hellas hervortretende Anſicht, daß die Beſtellung des
Ackers mit eigener Hand nicht ehrenhaft ſey, kam derge-
ſtalt hier zur ſtrengſten Ausbildung. Ihr einzig erlaubtes
Gewerbe iſt Kriegsuͤbung, die eigene und die der Staats-
Jugend (πολιτικοὶ παῖδες). Die Buͤrgermahlzeiten, fuͤr
deren Beſtreitung der Kanon der Leibeigenen mehrentheils
aufging, geſchehen in kriegeriſcher Ordnung. Alles iſt hier
aus einem Stuͤcke, demſelben Zwecke unterthan; die rein

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[22/0034] Zweites Capitel. 33. Über das Schickſal des Koͤnigthums hat Lykurg entſchieden. Indem er mit der einen Hand die Schranke zwiſchen herrſchenden Freien und Gemeinfreien unwieder- ruflich feſtſtellte, mußte er mit der andern ſeine Spartaner ſo hoch heben, daß ſie die Schranke auch halten konnten. Vor Lykurg waren Ausbruͤche roher Gewalt nirgend haͤufi- ger, als unter dieſem Theile der Dorer. Er uͤberzeugte ſie, daß, um fortzuherrſchen, ſie ſich ſelber beherrſchen muͤßten, in Entbehrung, Maͤßigkeit und ſtrenger Ordnung leben, dabei den Speer nicht aus der Hand laſſen 1), damit ſie, die Wenigen, auf das eine Ziel geſtellt, der mannigfach beſchaͤftigten und erwerbenden Menge draußen uͤberlegen waͤren. Sie leiſteten das Geluͤbde der Armuth, uͤberließen ihre Landguͤter den Leibeigenen zum Anbau, die ihnen Jahr aus Jahr ein ein Gewiſſes an Lebensmitteln als feſten Kanon liefern mußten, auf deſſen Erhoͤhung ein Fluch haftete. Ihre Koͤnige mochten die reichſten Herren in Hellas ſeyn, ihre Gemeinfreien Gewinn vom Acker, aus Gewerbe und Handel ziehen, die Leibeigenen ſich be- reichern, unter ihnen durfte Beſitz und Arbeit auf den Erwerb weder Ehre noch Nutzen bringen. Reich hieß unter ihnen, wer, weil ſeine Sclaven Weitzenboden bau- ten, zum gemeinſamen Mahle Weitzenbrodte ſtatt der Gerſte beiſteuern konnte. Die auch in anderen Ariſtokratieen von Hellas hervortretende Anſicht, daß die Beſtellung des Ackers mit eigener Hand nicht ehrenhaft ſey, kam derge- ſtalt hier zur ſtrengſten Ausbildung. Ihr einzig erlaubtes Gewerbe iſt Kriegsuͤbung, die eigene und die der Staats- Jugend (πολιτικοὶ παῖδες). Die Buͤrgermahlzeiten, fuͤr deren Beſtreitung der Kanon der Leibeigenen mehrentheils aufging, geſchehen in kriegeriſcher Ordnung. Alles iſt hier aus einem Stuͤcke, demſelben Zwecke unterthan; die rein

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/34>, abgerufen am 21.11.2024.