Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Staatsverfassung der Alten. Rom.
aus dem Senat sprachen in peinlichen Fällen, Volksrichter
nur in bürgerlichen. Aus der Vereinigung so vieler Thä-
tigkeiten ging ein factisches Veto des Senats hervor, eine
Bedeutung, die sich auch den senatorischen Familien mit-
theilte, welche nun nach Amtsahnen zählten statt der
Geschlechtsahnen, und es dem Römer, welcher curulischer
Vorfahren ermangelte, schwer genug machten, in den ge-
schlossenen Kreis dieser neuen Nobilität einzudringen, und
wenn er arm war, fast unmöglich. Denn die erste Stufe
zum Amts-Adel, die Ädilität, konnte seit dem ersten Pu-
nischen Kriege nur durch Fesispiele, aus eigenen Mitteln
zu bestreiten, erstiegen werden. So war ein Herkommen
wieder da, eine Aristokratie, von der das Staatsrecht
nichts wußte, und deren Macht doch jede Stunde bezeugte.

59. Bei dem Allen war nicht zu erwarten, daß eine
Verfassung, welche ohne anerkanntes Gegengewicht am
Ende doch auf den Willen des einen Körpers der Volks-
versammlung beruhte, dauerhaften Bestand habe. Schon
Polybius empfand, daß ihr die Nothwendigkeit abgehe.
Jede freie Verfassung rechnet auf Tugend im Volk, aber
auf ein tugendhaftes Volk darf keine rechnen. Am wenig-
sten ein Staat der erobert, denn wer herrscht, lernt am
Ende auch genießen.

Den Verfall der Freiheit und alten Ordnung brachte

1) die Erweiterung des Reichs über Italien hinaus
durch Erwerbung einer Menge nicht mehr einzuverleiben-
der, bloß dienender Gebiete. Das war unwiderruflich
Verzichtung auf Volks- und Regierungs-Einheit, und
mit dem ersten Statthalter eröffnete sich die lange Reihe
gefährlicher Staatsbürger.

Staatsverfaſſung der Alten. Rom.
aus dem Senat ſprachen in peinlichen Faͤllen, Volksrichter
nur in buͤrgerlichen. Aus der Vereinigung ſo vieler Thaͤ-
tigkeiten ging ein factiſches Veto des Senats hervor, eine
Bedeutung, die ſich auch den ſenatoriſchen Familien mit-
theilte, welche nun nach Amtsahnen zaͤhlten ſtatt der
Geſchlechtsahnen, und es dem Roͤmer, welcher curuliſcher
Vorfahren ermangelte, ſchwer genug machten, in den ge-
ſchloſſenen Kreis dieſer neuen Nobilitaͤt einzudringen, und
wenn er arm war, faſt unmoͤglich. Denn die erſte Stufe
zum Amts-Adel, die Ädilitaͤt, konnte ſeit dem erſten Pu-
niſchen Kriege nur durch Feſiſpiele, aus eigenen Mitteln
zu beſtreiten, erſtiegen werden. So war ein Herkommen
wieder da, eine Ariſtokratie, von der das Staatsrecht
nichts wußte, und deren Macht doch jede Stunde bezeugte.

59. Bei dem Allen war nicht zu erwarten, daß eine
Verfaſſung, welche ohne anerkanntes Gegengewicht am
Ende doch auf den Willen des einen Koͤrpers der Volks-
verſammlung beruhte, dauerhaften Beſtand habe. Schon
Polybius empfand, daß ihr die Nothwendigkeit abgehe.
Jede freie Verfaſſung rechnet auf Tugend im Volk, aber
auf ein tugendhaftes Volk darf keine rechnen. Am wenig-
ſten ein Staat der erobert, denn wer herrſcht, lernt am
Ende auch genießen.

Den Verfall der Freiheit und alten Ordnung brachte

1) die Erweiterung des Reichs uͤber Italien hinaus
durch Erwerbung einer Menge nicht mehr einzuverleiben-
der, bloß dienender Gebiete. Das war unwiderruflich
Verzichtung auf Volks- und Regierungs-Einheit, und
mit dem erſten Statthalter eroͤffnete ſich die lange Reihe
gefaͤhrlicher Staatsbuͤrger.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0055" n="43"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Staatsverfa&#x017F;&#x017F;ung der Alten. Rom</hi>.</fw><lb/>
aus dem Senat &#x017F;prachen in peinlichen Fa&#x0364;llen, Volksrichter<lb/>
nur in bu&#x0364;rgerlichen. Aus der Vereinigung &#x017F;o vieler Tha&#x0364;-<lb/>
tigkeiten ging ein facti&#x017F;ches Veto des Senats hervor, eine<lb/>
Bedeutung, die &#x017F;ich auch den &#x017F;enatori&#x017F;chen Familien mit-<lb/>
theilte, welche nun nach Amtsahnen za&#x0364;hlten &#x017F;tatt der<lb/>
Ge&#x017F;chlechtsahnen, und es dem Ro&#x0364;mer, welcher curuli&#x017F;cher<lb/>
Vorfahren ermangelte, &#x017F;chwer genug machten, in den ge-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Kreis die&#x017F;er neuen Nobilita&#x0364;t einzudringen, und<lb/>
wenn er arm war, fa&#x017F;t unmo&#x0364;glich. Denn die er&#x017F;te Stufe<lb/>
zum Amts-Adel, die Ädilita&#x0364;t, konnte &#x017F;eit dem er&#x017F;ten Pu-<lb/>
ni&#x017F;chen Kriege nur durch Fe&#x017F;i&#x017F;piele, aus eigenen Mitteln<lb/>
zu be&#x017F;treiten, er&#x017F;tiegen werden. So war ein Herkommen<lb/>
wieder da, eine Ari&#x017F;tokratie, von der das Staatsrecht<lb/>
nichts wußte, und deren Macht doch jede Stunde bezeugte.</p><lb/>
              <p>59. Bei dem Allen war nicht zu erwarten, daß eine<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung, welche ohne anerkanntes Gegengewicht am<lb/>
Ende doch auf den Willen des <hi rendition="#g">einen</hi> Ko&#x0364;rpers der Volks-<lb/>
ver&#x017F;ammlung beruhte, dauerhaften Be&#x017F;tand habe. Schon<lb/>
Polybius empfand, daß ihr die Nothwendigkeit abgehe.<lb/>
Jede freie Verfa&#x017F;&#x017F;ung rechnet auf Tugend im Volk, aber<lb/>
auf ein tugendhaftes Volk darf keine rechnen. Am wenig-<lb/>
&#x017F;ten ein Staat der erobert, denn wer herr&#x017F;cht, lernt am<lb/>
Ende auch genießen.</p><lb/>
              <p>Den Verfall der Freiheit und alten Ordnung brachte</p><lb/>
              <list>
                <item>1) die Erweiterung des Reichs u&#x0364;ber Italien hinaus<lb/>
durch Erwerbung einer Menge nicht mehr einzuverleiben-<lb/>
der, bloß dienender Gebiete. Das war unwiderruflich<lb/>
Verzichtung auf Volks- und Regierungs-Einheit, und<lb/>
mit dem er&#x017F;ten Statthalter ero&#x0364;ffnete &#x017F;ich die lange Reihe<lb/>
gefa&#x0364;hrlicher Staatsbu&#x0364;rger.</item><lb/>
              </list>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0055] Staatsverfaſſung der Alten. Rom. aus dem Senat ſprachen in peinlichen Faͤllen, Volksrichter nur in buͤrgerlichen. Aus der Vereinigung ſo vieler Thaͤ- tigkeiten ging ein factiſches Veto des Senats hervor, eine Bedeutung, die ſich auch den ſenatoriſchen Familien mit- theilte, welche nun nach Amtsahnen zaͤhlten ſtatt der Geſchlechtsahnen, und es dem Roͤmer, welcher curuliſcher Vorfahren ermangelte, ſchwer genug machten, in den ge- ſchloſſenen Kreis dieſer neuen Nobilitaͤt einzudringen, und wenn er arm war, faſt unmoͤglich. Denn die erſte Stufe zum Amts-Adel, die Ädilitaͤt, konnte ſeit dem erſten Pu- niſchen Kriege nur durch Feſiſpiele, aus eigenen Mitteln zu beſtreiten, erſtiegen werden. So war ein Herkommen wieder da, eine Ariſtokratie, von der das Staatsrecht nichts wußte, und deren Macht doch jede Stunde bezeugte. 59. Bei dem Allen war nicht zu erwarten, daß eine Verfaſſung, welche ohne anerkanntes Gegengewicht am Ende doch auf den Willen des einen Koͤrpers der Volks- verſammlung beruhte, dauerhaften Beſtand habe. Schon Polybius empfand, daß ihr die Nothwendigkeit abgehe. Jede freie Verfaſſung rechnet auf Tugend im Volk, aber auf ein tugendhaftes Volk darf keine rechnen. Am wenig- ſten ein Staat der erobert, denn wer herrſcht, lernt am Ende auch genießen. Den Verfall der Freiheit und alten Ordnung brachte 1) die Erweiterung des Reichs uͤber Italien hinaus durch Erwerbung einer Menge nicht mehr einzuverleiben- der, bloß dienender Gebiete. Das war unwiderruflich Verzichtung auf Volks- und Regierungs-Einheit, und mit dem erſten Statthalter eroͤffnete ſich die lange Reihe gefaͤhrlicher Staatsbuͤrger.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/55
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/55>, abgerufen am 21.11.2024.