Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Staatsverfassung der Alten. Rom.
glücklich noch, wenn der Kern aus solchen Barbaren bestand
die im Reiche geboren, oder im Knabenalter als Geißel
hineingeführt waren. Der Römische Unterthan kaufte die
Dienstpflicht für ein willkührlich bestimmtes Taxat ab. So
sehr hielten die Barbaren-Völker draußen, als ihre Stunde
kam, bloß die Nachlese des Römischen Wohlstandes.

66. Dahin gerieth es, daß ein Mann von altrömischen
Erinnerungen selbst in den verschwundenen Prätorianern
den Untergang einer Römischen Volksvertretung bedauern
konnte. Der Senat von Rom war zum Stadtrath gesun-
ken (nothwendige Folge der Reichstheilungen!), bloß in dem
Kaiser, mochte einer auch in Nikomedien oder Mayland
oder endlich in Konstantinopel residiren, mochte er allein
Kaiser, oder mit mehreren, oder Ober-Kaiser seyn, war
der Staat, der der Römische noch hieß, enthalten, welchen
Barbaren (die tüchtigsten von ihnen auch in der Rüstung
des Auslands) von innen beschützten, von außen bestürm-
ten. Der Kaiser war numen, sacrum numen und heilig
vom Diadem bis zur Purpur-Dinte, ohne Einspruch der
neuen Staats-Religion ein Gottmensch in Seide und
Gold, von Halbmenschen und adorirenden Unverschnittenen
umgeben, -- und doch und eben deßhalb kein König.

Zu Arkadius aber, dem jugendlichen Kaiser des Mor-
genlandes, wagte Synesius wahr zu reden: "Der Unter-
schied zwischen König und Tyrann", sprach er, "liegt nicht
in der Menge der Unterthanen, so wenig als der Unter-
schied zwischen Hirte und Koch in der Größe der geweide-
ten oder geschlachteten Heerde besteht. Dem Könige wird
zur Natur das Gesetz, die Natur des Tyrannen macht
sich zum Gesetze. Schimpflich für den Herrscher, bloß
durch Maler seinem Volke bekannt zu seyn. Wann stand

4

Staatsverfaſſung der Alten. Rom.
gluͤcklich noch, wenn der Kern aus ſolchen Barbaren beſtand
die im Reiche geboren, oder im Knabenalter als Geißel
hineingefuͤhrt waren. Der Roͤmiſche Unterthan kaufte die
Dienſtpflicht fuͤr ein willkuͤhrlich beſtimmtes Taxat ab. So
ſehr hielten die Barbaren-Voͤlker draußen, als ihre Stunde
kam, bloß die Nachleſe des Roͤmiſchen Wohlſtandes.

66. Dahin gerieth es, daß ein Mann von altroͤmiſchen
Erinnerungen ſelbſt in den verſchwundenen Praͤtorianern
den Untergang einer Roͤmiſchen Volksvertretung bedauern
konnte. Der Senat von Rom war zum Stadtrath geſun-
ken (nothwendige Folge der Reichstheilungen!), bloß in dem
Kaiſer, mochte einer auch in Nikomedien oder Mayland
oder endlich in Konſtantinopel reſidiren, mochte er allein
Kaiſer, oder mit mehreren, oder Ober-Kaiſer ſeyn, war
der Staat, der der Roͤmiſche noch hieß, enthalten, welchen
Barbaren (die tuͤchtigſten von ihnen auch in der Ruͤſtung
des Auslands) von innen beſchuͤtzten, von außen beſtuͤrm-
ten. Der Kaiſer war numen, sacrum numen und heilig
vom Diadem bis zur Purpur-Dinte, ohne Einſpruch der
neuen Staats-Religion ein Gottmenſch in Seide und
Gold, von Halbmenſchen und adorirenden Unverſchnittenen
umgeben, — und doch und eben deßhalb kein Koͤnig.

Zu Arkadius aber, dem jugendlichen Kaiſer des Mor-
genlandes, wagte Syneſius wahr zu reden: „Der Unter-
ſchied zwiſchen Koͤnig und Tyrann“, ſprach er, „liegt nicht
in der Menge der Unterthanen, ſo wenig als der Unter-
ſchied zwiſchen Hirte und Koch in der Groͤße der geweide-
ten oder geſchlachteten Heerde beſteht. Dem Koͤnige wird
zur Natur das Geſetz, die Natur des Tyrannen macht
ſich zum Geſetze. Schimpflich fuͤr den Herrſcher, bloß
durch Maler ſeinem Volke bekannt zu ſeyn. Wann ſtand

4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0061" n="49"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Staatsverfa&#x017F;&#x017F;ung der Alten. Rom</hi>.</fw><lb/>
glu&#x0364;cklich noch, wenn der Kern aus &#x017F;olchen Barbaren be&#x017F;tand<lb/>
die im Reiche geboren, oder im Knabenalter als Geißel<lb/>
hineingefu&#x0364;hrt waren. Der Ro&#x0364;mi&#x017F;che Unterthan kaufte die<lb/>
Dien&#x017F;tpflicht fu&#x0364;r ein willku&#x0364;hrlich be&#x017F;timmtes Taxat ab. So<lb/>
&#x017F;ehr hielten die Barbaren-Vo&#x0364;lker draußen, als ihre Stunde<lb/>
kam, bloß die Nachle&#x017F;e des Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Wohl&#x017F;tandes.</p><lb/>
              <p>66. Dahin gerieth es, daß ein Mann von altro&#x0364;mi&#x017F;chen<lb/>
Erinnerungen &#x017F;elb&#x017F;t in den ver&#x017F;chwundenen Pra&#x0364;torianern<lb/>
den Untergang einer Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Volksvertretung bedauern<lb/>
konnte. Der Senat von Rom war zum Stadtrath ge&#x017F;un-<lb/>
ken (nothwendige Folge der Reichstheilungen!), bloß in dem<lb/>
Kai&#x017F;er, mochte einer auch in Nikomedien oder Mayland<lb/>
oder endlich in Kon&#x017F;tantinopel re&#x017F;idiren, mochte er allein<lb/>
Kai&#x017F;er, oder mit mehreren, oder Ober-Kai&#x017F;er &#x017F;eyn, war<lb/>
der Staat, der der Ro&#x0364;mi&#x017F;che noch hieß, enthalten, welchen<lb/>
Barbaren (die tu&#x0364;chtig&#x017F;ten von ihnen auch in der Ru&#x0364;&#x017F;tung<lb/>
des Auslands) von innen be&#x017F;chu&#x0364;tzten, von außen be&#x017F;tu&#x0364;rm-<lb/>
ten. Der Kai&#x017F;er war <hi rendition="#aq">numen, sacrum numen</hi> und heilig<lb/>
vom Diadem bis zur Purpur-Dinte, ohne Ein&#x017F;pruch der<lb/>
neuen Staats-Religion ein Gottmen&#x017F;ch in Seide und<lb/>
Gold, von Halbmen&#x017F;chen und adorirenden Unver&#x017F;chnittenen<lb/>
umgeben, &#x2014; und doch und eben deßhalb kein Ko&#x0364;nig.</p><lb/>
              <p>Zu Arkadius aber, dem jugendlichen Kai&#x017F;er des Mor-<lb/>
genlandes, wagte Syne&#x017F;ius wahr zu reden: &#x201E;Der Unter-<lb/>
&#x017F;chied zwi&#x017F;chen Ko&#x0364;nig und Tyrann&#x201C;, &#x017F;prach er, &#x201E;liegt nicht<lb/>
in der Menge der Unterthanen, &#x017F;o wenig als der Unter-<lb/>
&#x017F;chied zwi&#x017F;chen Hirte und Koch in der Gro&#x0364;ße der geweide-<lb/>
ten oder ge&#x017F;chlachteten Heerde be&#x017F;teht. Dem Ko&#x0364;nige wird<lb/>
zur Natur das Ge&#x017F;etz, die Natur des Tyrannen macht<lb/>
&#x017F;ich zum Ge&#x017F;etze. Schimpflich fu&#x0364;r den Herr&#x017F;cher, bloß<lb/>
durch Maler &#x017F;einem Volke bekannt zu &#x017F;eyn. Wann &#x017F;tand<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0061] Staatsverfaſſung der Alten. Rom. gluͤcklich noch, wenn der Kern aus ſolchen Barbaren beſtand die im Reiche geboren, oder im Knabenalter als Geißel hineingefuͤhrt waren. Der Roͤmiſche Unterthan kaufte die Dienſtpflicht fuͤr ein willkuͤhrlich beſtimmtes Taxat ab. So ſehr hielten die Barbaren-Voͤlker draußen, als ihre Stunde kam, bloß die Nachleſe des Roͤmiſchen Wohlſtandes. 66. Dahin gerieth es, daß ein Mann von altroͤmiſchen Erinnerungen ſelbſt in den verſchwundenen Praͤtorianern den Untergang einer Roͤmiſchen Volksvertretung bedauern konnte. Der Senat von Rom war zum Stadtrath geſun- ken (nothwendige Folge der Reichstheilungen!), bloß in dem Kaiſer, mochte einer auch in Nikomedien oder Mayland oder endlich in Konſtantinopel reſidiren, mochte er allein Kaiſer, oder mit mehreren, oder Ober-Kaiſer ſeyn, war der Staat, der der Roͤmiſche noch hieß, enthalten, welchen Barbaren (die tuͤchtigſten von ihnen auch in der Ruͤſtung des Auslands) von innen beſchuͤtzten, von außen beſtuͤrm- ten. Der Kaiſer war numen, sacrum numen und heilig vom Diadem bis zur Purpur-Dinte, ohne Einſpruch der neuen Staats-Religion ein Gottmenſch in Seide und Gold, von Halbmenſchen und adorirenden Unverſchnittenen umgeben, — und doch und eben deßhalb kein Koͤnig. Zu Arkadius aber, dem jugendlichen Kaiſer des Mor- genlandes, wagte Syneſius wahr zu reden: „Der Unter- ſchied zwiſchen Koͤnig und Tyrann“, ſprach er, „liegt nicht in der Menge der Unterthanen, ſo wenig als der Unter- ſchied zwiſchen Hirte und Koch in der Groͤße der geweide- ten oder geſchlachteten Heerde beſteht. Dem Koͤnige wird zur Natur das Geſetz, die Natur des Tyrannen macht ſich zum Geſetze. Schimpflich fuͤr den Herrſcher, bloß durch Maler ſeinem Volke bekannt zu ſeyn. Wann ſtand 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/61
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/61>, abgerufen am 21.11.2024.