Drittes Capitel. Vom Gegensatz der neueren Staats-Verfassungen unseres Welttheils.
67. Rom hat den Germanen ihre Städte gebauet 1), ihnen die Kenntniß von mancherlei Gewerbe und lohnen- derem Ackerbau zugeführt, hat ihnen das Christenthum zur Staatsreligion gegeben und eine christianisirte höchst ausge- bildete Gesetzgebung dargeboten, in derselben einen Schatz von Resultaten der Menschengeschichte, auf alle Fälle wei- terbildend, sie mochte nun angenommen oder ausgestoßen werden. Außerdem gab Rom ihnen die Hauptbevölkerung ihrer Staaten. Das Volk thaten die Germanen hinzu, und eine Staatsanlage, die von Anfang her in das Große ging, unterstützt durch eine Kriegsverfassung, welche der dem Alterthum eigenen Feindschaft zwischen Aristokratie und Monarchie für immer ein Ziel setzte.
1) Von den Städteverfassungen ist hier nicht die Rede.
68. In der Größe der Germanischen Staaten erken- nen wir den Unterbau unserer heutigen Staatengesellschaft. Aristoteles forderte für die Tragödie eine gewisse Größe als wesentlich; mit noch viel mehr Recht heischten die Griechen für den Staat ein gewisses Maas räumlicher Entfaltung, oft schwer genug zu erlangen. Wo Kleines sich als dem Großen gleich gebehrdete, übersah, was die freie Bewegung nach außen auch für das innere Seyn bedeute, da fehlte es in der Zeit lebendiger Verhältnisse nicht an mancherlei Zurechtweisung: "Mache nicht große Schuhe für einen kleinen Fuß", hieß es da, oder: "Ent- weder füge zu deiner Stärke etwas hinzu, oder nimm von
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Neuere Staatsverfaſſung.
Drittes Capitel. Vom Gegenſatz der neueren Staats-Verfaſſungen unſeres Welttheils.
67. Rom hat den Germanen ihre Staͤdte gebauet 1), ihnen die Kenntniß von mancherlei Gewerbe und lohnen- derem Ackerbau zugefuͤhrt, hat ihnen das Chriſtenthum zur Staatsreligion gegeben und eine chriſtianiſirte hoͤchſt ausge- bildete Geſetzgebung dargeboten, in derſelben einen Schatz von Reſultaten der Menſchengeſchichte, auf alle Faͤlle wei- terbildend, ſie mochte nun angenommen oder ausgeſtoßen werden. Außerdem gab Rom ihnen die Hauptbevoͤlkerung ihrer Staaten. Das Volk thaten die Germanen hinzu, und eine Staatsanlage, die von Anfang her in das Große ging, unterſtuͤtzt durch eine Kriegsverfaſſung, welche der dem Alterthum eigenen Feindſchaft zwiſchen Ariſtokratie und Monarchie fuͤr immer ein Ziel ſetzte.
1) Von den Staͤdteverfaſſungen iſt hier nicht die Rede.
68. In der Groͤße der Germaniſchen Staaten erken- nen wir den Unterbau unſerer heutigen Staatengeſellſchaft. Ariſtoteles forderte fuͤr die Tragoͤdie eine gewiſſe Groͤße als weſentlich; mit noch viel mehr Recht heiſchten die Griechen fuͤr den Staat ein gewiſſes Maas raͤumlicher Entfaltung, oft ſchwer genug zu erlangen. Wo Kleines ſich als dem Großen gleich gebehrdete, uͤberſah, was die freie Bewegung nach außen auch fuͤr das innere Seyn bedeute, da fehlte es in der Zeit lebendiger Verhaͤltniſſe nicht an mancherlei Zurechtweiſung: „Mache nicht große Schuhe fuͤr einen kleinen Fuß“, hieß es da, oder: „Ent- weder fuͤge zu deiner Staͤrke etwas hinzu, oder nimm von
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Neuere Staatsverfaſſung.
Drittes Capitel.
Vom Gegenſatz der neueren Staats-Verfaſſungen
unſeres Welttheils.
67. Rom hat den Germanen ihre Staͤdte gebauet 1),
ihnen die Kenntniß von mancherlei Gewerbe und lohnen-
derem Ackerbau zugefuͤhrt, hat ihnen das Chriſtenthum zur
Staatsreligion gegeben und eine chriſtianiſirte hoͤchſt ausge-
bildete Geſetzgebung dargeboten, in derſelben einen Schatz
von Reſultaten der Menſchengeſchichte, auf alle Faͤlle wei-
terbildend, ſie mochte nun angenommen oder ausgeſtoßen
werden. Außerdem gab Rom ihnen die Hauptbevoͤlkerung
ihrer Staaten. Das Volk thaten die Germanen hinzu,
und eine Staatsanlage, die von Anfang her in das Große
ging, unterſtuͤtzt durch eine Kriegsverfaſſung, welche der
dem Alterthum eigenen Feindſchaft zwiſchen Ariſtokratie
und Monarchie fuͤr immer ein Ziel ſetzte.
¹⁾ Von den Staͤdteverfaſſungen iſt hier nicht die Rede.
68. In der Groͤße der Germaniſchen Staaten erken-
nen wir den Unterbau unſerer heutigen Staatengeſellſchaft.
Ariſtoteles forderte fuͤr die Tragoͤdie eine gewiſſe Groͤße
als weſentlich; mit noch viel mehr Recht heiſchten die
Griechen fuͤr den Staat ein gewiſſes Maas raͤumlicher
Entfaltung, oft ſchwer genug zu erlangen. Wo Kleines
ſich als dem Großen gleich gebehrdete, uͤberſah, was die
freie Bewegung nach außen auch fuͤr das innere Seyn
bedeute, da fehlte es in der Zeit lebendiger Verhaͤltniſſe
nicht an mancherlei Zurechtweiſung: „Mache nicht große
Schuhe fuͤr einen kleinen Fuß“, hieß es da, oder: „Ent-
weder fuͤge zu deiner Staͤrke etwas hinzu, oder nimm von
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/63>, abgerufen am 16.07.2024.
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