Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuere Staatsverfassung. England.
dann Römer, heidnische und christliche; die lange Herr-
schaft der Sachsen, heidnischer und christlicher; die kurze
der Dänen, ebenso; endlich die Normannen.

Sieger standen über Besiegten. Das Vasallen-Schwert
mußte behaupten was es gewonnen hatte. Wilhelm der
Eroberer erschuf sich mit anderthalbtausend Landgütern eine
ungeheure Krondomäne, und that sie an Vasallen aus,
gab seinen Großen hunderte von Landgütern, die diese
Kronvasallen wieder austhaten an After-Vasallen, Alles
um Kriegsdienst. Der Vater des Lehns ist der Krieg.
Lehndienst fordert Mannlehen und Erstgeburtsrecht, d. i.
Untheilbarkeit zu Gunsten des Erstgeborenen. Dieser
Lehnsgrundsatz durchdrang den ganzen Staat. Der König
nennt sich den Lehnsherrn des ganzen Grundeigenthums
im Reiche. Alles Grundeigenthum wird nach Lehnrecht
besessen; es giebt keine Allode in England.

Das Römische Erbrecht kennt keinen Vorzug der
Primogenitur. In anderen Staaten wandte man die Be-
stimmungen desselben auf das Grundeigenthum an, theilte
im Süden von Frankreich sogar die Lehne nach Köpfen
und ließ sie allmählig aus der gesammten Hand gehen.
In England verwarf man das Justinianeische Recht, weil,
sagt man, es unumschränkte Fürstenherrschaft lehrte und
dem Lehngesetze widerstritt.

Die Folge war fast unbeweglicher Besitz des Grund-
eigenthums in denselben Familien, und vornehmlich ein
Zusammenhalten desselben in gewaltigen Massen in den
Händen der großen Barone, der weltlichen und der geist-
lichen; denn auch die letzteren waren mit ihrem Grund-
vermögen dienstpflichtige Lehnsleute. Alle andern Lehns-
leute standen tief unter diesen.

Neuere Staatsverfaſſung. England.
dann Roͤmer, heidniſche und chriſtliche; die lange Herr-
ſchaft der Sachſen, heidniſcher und chriſtlicher; die kurze
der Daͤnen, ebenſo; endlich die Normannen.

Sieger ſtanden uͤber Beſiegten. Das Vaſallen-Schwert
mußte behaupten was es gewonnen hatte. Wilhelm der
Eroberer erſchuf ſich mit anderthalbtauſend Landguͤtern eine
ungeheure Krondomaͤne, und that ſie an Vaſallen aus,
gab ſeinen Großen hunderte von Landguͤtern, die dieſe
Kronvaſallen wieder austhaten an After-Vaſallen, Alles
um Kriegsdienſt. Der Vater des Lehns iſt der Krieg.
Lehndienſt fordert Mannlehen und Erſtgeburtsrecht, d. i.
Untheilbarkeit zu Gunſten des Erſtgeborenen. Dieſer
Lehnsgrundſatz durchdrang den ganzen Staat. Der Koͤnig
nennt ſich den Lehnsherrn des ganzen Grundeigenthums
im Reiche. Alles Grundeigenthum wird nach Lehnrecht
beſeſſen; es giebt keine Allode in England.

Das Roͤmiſche Erbrecht kennt keinen Vorzug der
Primogenitur. In anderen Staaten wandte man die Be-
ſtimmungen deſſelben auf das Grundeigenthum an, theilte
im Suͤden von Frankreich ſogar die Lehne nach Koͤpfen
und ließ ſie allmaͤhlig aus der geſammten Hand gehen.
In England verwarf man das Juſtinianeiſche Recht, weil,
ſagt man, es unumſchraͤnkte Fuͤrſtenherrſchaft lehrte und
dem Lehngeſetze widerſtritt.

Die Folge war faſt unbeweglicher Beſitz des Grund-
eigenthums in denſelben Familien, und vornehmlich ein
Zuſammenhalten deſſelben in gewaltigen Maſſen in den
Haͤnden der großen Barone, der weltlichen und der geiſt-
lichen; denn auch die letzteren waren mit ihrem Grund-
vermoͤgen dienſtpflichtige Lehnsleute. Alle andern Lehns-
leute ſtanden tief unter dieſen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0067" n="55"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuere Staatsverfa&#x017F;&#x017F;ung. England</hi>.</fw><lb/>
dann Ro&#x0364;mer, heidni&#x017F;che und chri&#x017F;tliche; die lange Herr-<lb/>
&#x017F;chaft der Sach&#x017F;en, heidni&#x017F;cher und chri&#x017F;tlicher; die kurze<lb/>
der Da&#x0364;nen, eben&#x017F;o; endlich die <hi rendition="#g">Normannen</hi>.</p><lb/>
              <p>Sieger &#x017F;tanden u&#x0364;ber Be&#x017F;iegten. Das Va&#x017F;allen-Schwert<lb/>
mußte behaupten was es gewonnen hatte. Wilhelm der<lb/>
Eroberer er&#x017F;chuf &#x017F;ich mit anderthalbtau&#x017F;end Landgu&#x0364;tern eine<lb/>
ungeheure Krondoma&#x0364;ne, und that &#x017F;ie an Va&#x017F;allen aus,<lb/>
gab &#x017F;einen Großen hunderte von Landgu&#x0364;tern, die die&#x017F;e<lb/>
Kronva&#x017F;allen wieder austhaten an After-Va&#x017F;allen, Alles<lb/>
um Kriegsdien&#x017F;t. Der Vater des Lehns i&#x017F;t der Krieg.<lb/>
Lehndien&#x017F;t fordert Mannlehen und Er&#x017F;tgeburtsrecht, d. i.<lb/>
Untheilbarkeit zu Gun&#x017F;ten des Er&#x017F;tgeborenen. Die&#x017F;er<lb/>
Lehnsgrund&#x017F;atz durchdrang den ganzen Staat. Der Ko&#x0364;nig<lb/>
nennt &#x017F;ich den Lehnsherrn des ganzen Grundeigenthums<lb/>
im Reiche. Alles Grundeigenthum wird nach Lehnrecht<lb/>
be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en; es giebt keine Allode in England.</p><lb/>
              <p>Das <hi rendition="#g">Ro&#x0364;mi&#x017F;che</hi> Erbrecht kennt keinen Vorzug der<lb/>
Primogenitur. In anderen Staaten wandte man die Be-<lb/>
&#x017F;timmungen de&#x017F;&#x017F;elben auf das Grundeigenthum an, theilte<lb/>
im Su&#x0364;den von Frankreich &#x017F;ogar die Lehne nach Ko&#x0364;pfen<lb/>
und ließ &#x017F;ie allma&#x0364;hlig aus der ge&#x017F;ammten Hand gehen.<lb/>
In England verwarf man das Ju&#x017F;tinianei&#x017F;che Recht, weil,<lb/>
&#x017F;agt man, es unum&#x017F;chra&#x0364;nkte Fu&#x0364;r&#x017F;tenherr&#x017F;chaft lehrte und<lb/>
dem Lehnge&#x017F;etze wider&#x017F;tritt.</p><lb/>
              <p>Die Folge war fa&#x017F;t unbeweglicher Be&#x017F;itz des Grund-<lb/>
eigenthums in den&#x017F;elben Familien, und vornehmlich ein<lb/>
Zu&#x017F;ammenhalten de&#x017F;&#x017F;elben in gewaltigen Ma&#x017F;&#x017F;en in den<lb/>
Ha&#x0364;nden der großen Barone, der weltlichen und der gei&#x017F;t-<lb/>
lichen; denn auch die letzteren waren mit ihrem Grund-<lb/>
vermo&#x0364;gen dien&#x017F;tpflichtige Lehnsleute. Alle andern Lehns-<lb/>
leute &#x017F;tanden tief unter die&#x017F;en.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0067] Neuere Staatsverfaſſung. England. dann Roͤmer, heidniſche und chriſtliche; die lange Herr- ſchaft der Sachſen, heidniſcher und chriſtlicher; die kurze der Daͤnen, ebenſo; endlich die Normannen. Sieger ſtanden uͤber Beſiegten. Das Vaſallen-Schwert mußte behaupten was es gewonnen hatte. Wilhelm der Eroberer erſchuf ſich mit anderthalbtauſend Landguͤtern eine ungeheure Krondomaͤne, und that ſie an Vaſallen aus, gab ſeinen Großen hunderte von Landguͤtern, die dieſe Kronvaſallen wieder austhaten an After-Vaſallen, Alles um Kriegsdienſt. Der Vater des Lehns iſt der Krieg. Lehndienſt fordert Mannlehen und Erſtgeburtsrecht, d. i. Untheilbarkeit zu Gunſten des Erſtgeborenen. Dieſer Lehnsgrundſatz durchdrang den ganzen Staat. Der Koͤnig nennt ſich den Lehnsherrn des ganzen Grundeigenthums im Reiche. Alles Grundeigenthum wird nach Lehnrecht beſeſſen; es giebt keine Allode in England. Das Roͤmiſche Erbrecht kennt keinen Vorzug der Primogenitur. In anderen Staaten wandte man die Be- ſtimmungen deſſelben auf das Grundeigenthum an, theilte im Suͤden von Frankreich ſogar die Lehne nach Koͤpfen und ließ ſie allmaͤhlig aus der geſammten Hand gehen. In England verwarf man das Juſtinianeiſche Recht, weil, ſagt man, es unumſchraͤnkte Fuͤrſtenherrſchaft lehrte und dem Lehngeſetze widerſtritt. Die Folge war faſt unbeweglicher Beſitz des Grund- eigenthums in denſelben Familien, und vornehmlich ein Zuſammenhalten deſſelben in gewaltigen Maſſen in den Haͤnden der großen Barone, der weltlichen und der geiſt- lichen; denn auch die letzteren waren mit ihrem Grund- vermoͤgen dienſtpflichtige Lehnsleute. Alle andern Lehns- leute ſtanden tief unter dieſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/67
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/67>, abgerufen am 21.11.2024.