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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Staats-Regierung.
sicherer. Dieser Unterthanen-Antheil an der Gesetzgebung,
in welcher Form denn auch geübt, ist Staatsgewalt,
weil er unabhängig von der höchsten Staatsgewalt ge-
übt wird.

98. In Staaten von so getheilter Staatsgewalt wird
nicht allein der Genuß der bürgerlichen Freiheit erstrebt,
welche Familien und Eigenthum unter den Schutz, wie
denn auch beschaffener Gesetze stellt; sie soll durch den hö-
heren Grundsatz der staatsbürgerlichen Freiheit, welcher in
dem Antheile am Inhalt der Gesetze besteht, verbürgt wer-
den. Wie nun das ganze Reich der Sittlichkeit voll von
Freiheitsfragen ist, welche mit einer gewissen Nothwendig-
keit ganzen Zeitaltern gestellt sind, so liegt auch diese Frage
der freieren und doch einheitlichen Staats-Ordnung noth-
wendig in der Bahn der Europäischen Menschheit, und es
ist vergeblich davon abzulenken, wie sehr auch Unbedacht
und Frevel die wichtigsten Aufgaben entstellen mögen.
Denn diese überraschende Gleichzeitigkeit im Baueifer für
veränderte Verfassungen, welcher die Regierungen gleich
den Regierten ergriffen hat, beruht im tiefen Grunde doch
auf dem gleichzeitigen Nachlassen derjenigen Kräfte und
Formen, welche wie Klammern den Staat des Mittelalters
zusammenhielten.

99. Der Pfeiler der Gewohnheit pflegt zu weichen,
wo allzuviel und lang auf ihm allein gebaut ist, und wo
die unstätte Neuerung eine Weile gehaust hat, da sind
die alten Grundformen des Staatskörpers leicht nur nu-
merisch mehr aufzustellen, beschaffenheitlich verschwunden
und neue Gewohnheiten schwer zu stiften. Die Erfahrung
aller Zeiten lehrt aber: Die Regierungsform eines
großen Staates muß, um Dauer zu haben, nicht

Staats-Regierung.
ſicherer. Dieſer Unterthanen-Antheil an der Geſetzgebung,
in welcher Form denn auch geuͤbt, iſt Staatsgewalt,
weil er unabhaͤngig von der hoͤchſten Staatsgewalt ge-
uͤbt wird.

98. In Staaten von ſo getheilter Staatsgewalt wird
nicht allein der Genuß der buͤrgerlichen Freiheit erſtrebt,
welche Familien und Eigenthum unter den Schutz, wie
denn auch beſchaffener Geſetze ſtellt; ſie ſoll durch den hoͤ-
heren Grundſatz der ſtaatsbuͤrgerlichen Freiheit, welcher in
dem Antheile am Inhalt der Geſetze beſteht, verbuͤrgt wer-
den. Wie nun das ganze Reich der Sittlichkeit voll von
Freiheitsfragen iſt, welche mit einer gewiſſen Nothwendig-
keit ganzen Zeitaltern geſtellt ſind, ſo liegt auch dieſe Frage
der freieren und doch einheitlichen Staats-Ordnung noth-
wendig in der Bahn der Europaͤiſchen Menſchheit, und es
iſt vergeblich davon abzulenken, wie ſehr auch Unbedacht
und Frevel die wichtigſten Aufgaben entſtellen moͤgen.
Denn dieſe uͤberraſchende Gleichzeitigkeit im Baueifer fuͤr
veraͤnderte Verfaſſungen, welcher die Regierungen gleich
den Regierten ergriffen hat, beruht im tiefen Grunde doch
auf dem gleichzeitigen Nachlaſſen derjenigen Kraͤfte und
Formen, welche wie Klammern den Staat des Mittelalters
zuſammenhielten.

99. Der Pfeiler der Gewohnheit pflegt zu weichen,
wo allzuviel und lang auf ihm allein gebaut iſt, und wo
die unſtaͤtte Neuerung eine Weile gehaust hat, da ſind
die alten Grundformen des Staatskoͤrpers leicht nur nu-
meriſch mehr aufzuſtellen, beſchaffenheitlich verſchwunden
und neue Gewohnheiten ſchwer zu ſtiften. Die Erfahrung
aller Zeiten lehrt aber: Die Regierungsform eines
großen Staates muß, um Dauer zu haben, nicht

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[80/0092] Staats-Regierung. ſicherer. Dieſer Unterthanen-Antheil an der Geſetzgebung, in welcher Form denn auch geuͤbt, iſt Staatsgewalt, weil er unabhaͤngig von der hoͤchſten Staatsgewalt ge- uͤbt wird. 98. In Staaten von ſo getheilter Staatsgewalt wird nicht allein der Genuß der buͤrgerlichen Freiheit erſtrebt, welche Familien und Eigenthum unter den Schutz, wie denn auch beſchaffener Geſetze ſtellt; ſie ſoll durch den hoͤ- heren Grundſatz der ſtaatsbuͤrgerlichen Freiheit, welcher in dem Antheile am Inhalt der Geſetze beſteht, verbuͤrgt wer- den. Wie nun das ganze Reich der Sittlichkeit voll von Freiheitsfragen iſt, welche mit einer gewiſſen Nothwendig- keit ganzen Zeitaltern geſtellt ſind, ſo liegt auch dieſe Frage der freieren und doch einheitlichen Staats-Ordnung noth- wendig in der Bahn der Europaͤiſchen Menſchheit, und es iſt vergeblich davon abzulenken, wie ſehr auch Unbedacht und Frevel die wichtigſten Aufgaben entſtellen moͤgen. Denn dieſe uͤberraſchende Gleichzeitigkeit im Baueifer fuͤr veraͤnderte Verfaſſungen, welcher die Regierungen gleich den Regierten ergriffen hat, beruht im tiefen Grunde doch auf dem gleichzeitigen Nachlaſſen derjenigen Kraͤfte und Formen, welche wie Klammern den Staat des Mittelalters zuſammenhielten. 99. Der Pfeiler der Gewohnheit pflegt zu weichen, wo allzuviel und lang auf ihm allein gebaut iſt, und wo die unſtaͤtte Neuerung eine Weile gehaust hat, da ſind die alten Grundformen des Staatskoͤrpers leicht nur nu- meriſch mehr aufzuſtellen, beſchaffenheitlich verſchwunden und neue Gewohnheiten ſchwer zu ſtiften. Die Erfahrung aller Zeiten lehrt aber: Die Regierungsform eines großen Staates muß, um Dauer zu haben, nicht

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/92>, abgerufen am 21.11.2024.