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Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus Milch. Bd. 10. Straßburg, 1673.

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Vom verlohrnen Sohn.
des gantzen Pharisaismi ist/ den wir/ als die antithesin doctrinae de Justifica-
tione,
den Gegensatz der Lehre von der Rechtfertigung E. L. an-
jetzo und ins künfftige auß dem dritten Theil oder actu unserer parabo-
lischen Comoedi fürtragen wollen. Wir haben bißhero gehabt novissi-
mum & Epicureum, sed poenitentem,
einen letsten und sicheren Epicu-
rer/ aber bußfertigen Sünder/ jetzt folget primus & Pharisaeus, der der
erste seyn wolte/ ein Pharisäer/ auff daß wir an ihme lernen/ was
weiß oder schwartz/ Liecht oder Finsternuß/ grad oder schlimm seye. Dann
gleich wie die gantze Welt sich in drey Hauffen abtheilet: der gröste ist der
Epicuräer/ der mindere aber doch grosse der Pharisäer/ der kleineste der
glaubigen Büsser und rechten Kern-Christen; also hat der verlohrne
Sohn bißhero zwo Personen vertretten/ jetzt kommt im letsten actu sein
Bruder auffs Theatrum, an welchem uns sonderlich vier grosse Untu-
genden für Augen gestellet werden: nemlich coecitas & ignorantia,
Blind- und Unwissenheit; ex coecitate justitiae persuasio, selbst
eingebildete Gerechtigkeit; ex persuasione justitiae superbia, ange-
maßter Hochmuth; exsuperbia hypocrisis, angenommene Heu-
cheley. Dißmal bleiben wir allein bey dem ersten/ dieweil es je besser/ ein
wenig Speiß wohl verdauen/ als den Magen und Kopff überfüllen/ und
ob wir uns zwar schon lang auffgehalten/ so hat man doch allezeit etwas
gelernet/ das man zuvor nicht gewußt/ oder nicht geachtet. Gott gebe
zu fernerer Betrachtung seines Heiligen Geistes Gnad und Segen/ daß
es alles aufferbaulich geschehen möge/ Amen.

BElangend nun Pharisaicam coecitatem, die Pharisäische
Blindheit des ältesten Sohns/ so ist es zwar an dem/ der
Bruder des verlohrnen Sohns war in weltlichen und häußlichen
Sachen klug/ fürsichtig und geschickt genug/ er hatte scientiam oeconomi-
cam,
eine Wissenschafft vom guten Hauß-wesen. Dann er be-
findet sich draussen auff dem Acker/ arbeitet fleissig/ wartet seinem Ampt
ab/ halt seinem Vater wohl hauß/ er gedencket/ je mehr er werde zu Rath
halten und gewinnen/ je besser und fetter werde hernach das Erbe seyn.
Aber in andern und höhern Sachen war er ignorans, ein unwissender
Thor; es meldet die Parabel/ er seye auff dem Felde gewesen/ und habe
nicht gewußt/ was sich daheim zugetragen. Darum als er nach Hauß
gekommen/ das Gesang und Reyen gehört/ so ruffet er zu sich der Knechte
einen/ und fraget/ was das wäre? Die Umstände gebens/ daß bey ihme
geweßt 1. ignorantia remissibilitatis, er hat nichts gewußt von Ver-

gebung
T ij

Vom verlohrnen Sohn.
des gantzen Phariſaiſmi iſt/ den wir/ als die ἀντίϑεσιν doctrinæ de Juſtifica-
tione,
den Gegenſatz der Lehre von der Rechtfertigung E. L. an-
jetzo und ins kuͤnfftige auß dem dritten Theil oder actu unſerer parabo-
liſchen Comœdi fuͤrtragen wollen. Wir haben bißhero gehabt noviſſi-
mum & Epicureum, ſed pœnitentem,
einen letſten und ſicheren Epicu-
rer/ aber bußfertigen Suͤnder/ jetzt folget primus & Phariſæus, der der
erſte ſeyn wolte/ ein Phariſaͤer/ auff daß wir an ihme lernen/ was
weiß oder ſchwartz/ Liecht oder Finſternuß/ grad oder ſchlimm ſeye. Dann
gleich wie die gantze Welt ſich in drey Hauffen abtheilet: der groͤſte iſt der
Epicuraͤer/ der mindere aber doch groſſe der Phariſaͤer/ der kleineſte der
glaubigen Buͤſſer und rechten Kern-Chriſten; alſo hat der verlohrne
Sohn bißhero zwo Perſonen vertretten/ jetzt kommt im letſten actu ſein
Bruder auffs Theatrum, an welchem uns ſonderlich vier groſſe Untu-
genden fuͤr Augen geſtellet werden: nemlich cœcitas & ignorantia,
Blind- und Unwiſſenheit; ex cœcitate juſtitiæ perſuaſio, ſelbſt
eingebildete Gerechtigkeit; ex perſuaſione juſtitiæ ſuperbia, ange-
maßter Hochmuth; exſuperbia hypocriſis, angenommene Heu-
cheley. Dißmal bleiben wir allein bey dem erſten/ dieweil es je beſſer/ ein
wenig Speiß wohl verdauen/ als den Magen und Kopff uͤberfuͤllen/ und
ob wir uns zwar ſchon lang auffgehalten/ ſo hat man doch allezeit etwas
gelernet/ das man zuvor nicht gewußt/ oder nicht geachtet. Gott gebe
zu fernerer Betrachtung ſeines Heiligen Geiſtes Gnad und Segen/ daß
es alles aufferbaulich geſchehen moͤge/ Amen.

BElangend nun Phariſaicam cœcitatem, die Phariſaͤiſche
Blindheit des aͤlteſten Sohns/ ſo iſt es zwar an dem/ der
Bruder des verlohrnen Sohns war in weltlichen und haͤußlichen
Sachen klug/ fuͤrſichtig und geſchickt genug/ er hatte ſcientiam œconomi-
cam,
eine Wiſſenſchafft vom guten Hauß-weſen. Dann er be-
findet ſich drauſſen auff dem Acker/ arbeitet fleiſſig/ wartet ſeinem Ampt
ab/ halt ſeinem Vater wohl hauß/ er gedencket/ je mehr er werde zu Rath
halten und gewinnen/ je beſſer und fetter werde hernach das Erbe ſeyn.
Aber in andern und hoͤhern Sachen war er ignorans, ein unwiſſender
Thor; es meldet die Parabel/ er ſeye auff dem Felde geweſen/ und habe
nicht gewußt/ was ſich daheim zugetragen. Darum als er nach Hauß
gekommen/ das Geſang und Reyen gehoͤrt/ ſo ruffet er zu ſich der Knechte
einen/ und fraget/ was das waͤre? Die Umſtaͤnde gebens/ daß bey ihme
geweßt 1. ignorantia remiſſibilitatis, er hat nichts gewußt von Ver-

gebung
T ij
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[147/0165] Vom verlohrnen Sohn. des gantzen Phariſaiſmi iſt/ den wir/ als die ἀντίϑεσιν doctrinæ de Juſtifica- tione, den Gegenſatz der Lehre von der Rechtfertigung E. L. an- jetzo und ins kuͤnfftige auß dem dritten Theil oder actu unſerer parabo- liſchen Comœdi fuͤrtragen wollen. Wir haben bißhero gehabt noviſſi- mum & Epicureum, ſed pœnitentem, einen letſten und ſicheren Epicu- rer/ aber bußfertigen Suͤnder/ jetzt folget primus & Phariſæus, der der erſte ſeyn wolte/ ein Phariſaͤer/ auff daß wir an ihme lernen/ was weiß oder ſchwartz/ Liecht oder Finſternuß/ grad oder ſchlimm ſeye. Dann gleich wie die gantze Welt ſich in drey Hauffen abtheilet: der groͤſte iſt der Epicuraͤer/ der mindere aber doch groſſe der Phariſaͤer/ der kleineſte der glaubigen Buͤſſer und rechten Kern-Chriſten; alſo hat der verlohrne Sohn bißhero zwo Perſonen vertretten/ jetzt kommt im letſten actu ſein Bruder auffs Theatrum, an welchem uns ſonderlich vier groſſe Untu- genden fuͤr Augen geſtellet werden: nemlich cœcitas & ignorantia, Blind- und Unwiſſenheit; ex cœcitate juſtitiæ perſuaſio, ſelbſt eingebildete Gerechtigkeit; ex perſuaſione juſtitiæ ſuperbia, ange- maßter Hochmuth; exſuperbia hypocriſis, angenommene Heu- cheley. Dißmal bleiben wir allein bey dem erſten/ dieweil es je beſſer/ ein wenig Speiß wohl verdauen/ als den Magen und Kopff uͤberfuͤllen/ und ob wir uns zwar ſchon lang auffgehalten/ ſo hat man doch allezeit etwas gelernet/ das man zuvor nicht gewußt/ oder nicht geachtet. Gott gebe zu fernerer Betrachtung ſeines Heiligen Geiſtes Gnad und Segen/ daß es alles aufferbaulich geſchehen moͤge/ Amen. BElangend nun Phariſaicam cœcitatem, die Phariſaͤiſche Blindheit des aͤlteſten Sohns/ ſo iſt es zwar an dem/ der Bruder des verlohrnen Sohns war in weltlichen und haͤußlichen Sachen klug/ fuͤrſichtig und geſchickt genug/ er hatte ſcientiam œconomi- cam, eine Wiſſenſchafft vom guten Hauß-weſen. Dann er be- findet ſich drauſſen auff dem Acker/ arbeitet fleiſſig/ wartet ſeinem Ampt ab/ halt ſeinem Vater wohl hauß/ er gedencket/ je mehr er werde zu Rath halten und gewinnen/ je beſſer und fetter werde hernach das Erbe ſeyn. Aber in andern und hoͤhern Sachen war er ignorans, ein unwiſſender Thor; es meldet die Parabel/ er ſeye auff dem Felde geweſen/ und habe nicht gewußt/ was ſich daheim zugetragen. Darum als er nach Hauß gekommen/ das Geſang und Reyen gehoͤrt/ ſo ruffet er zu ſich der Knechte einen/ und fraget/ was das waͤre? Die Umſtaͤnde gebens/ daß bey ihme geweßt 1. ignorantia remiſſibilitatis, er hat nichts gewußt von Ver- gebung T ij

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Zitationshilfe: Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus Milch. Bd. 10. Straßburg, 1673, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dannhauer_catechismus10_1673/165>, abgerufen am 24.11.2024.