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Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus Milch. Bd. 10. Straßburg, 1673.

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Die Erste Predigt

GEliebte im HErrn: Jn fünff Stucken bestehet der Vortrag
unsers parabolischen Textes/ da uns zu allerforderst vorkommt
I. Parabolae Cortex, die Rinde gleichsam an diesem paraboli-
schen Baum/ die Schelet/ die Schaal/ darinnen sie fürgetragen worden/
dieselbe ist nun die narratio, die gantze Comödi in unterschiedlichen acti-
bus,
darinnen erzehlet wird von einem Vater/ der zween Söhne
hatte/ deren einer dem Vater das Erb abgetrotzet/ damit über
Land gezogen/ und alles verpancketieret. Da er nun ange-
fangen Mangel zu leiden/ und sich elend behelffen müssen/ ge-
dachte er zuruck an seines Vaters Hauß/ wie gut es daselbst
die Taglöhner hätten/ und er müßte in solchem Mangel leben.
Deßwegen er umgekehret/ seine vorige Heimath wieder besucht/
und von seinem Vater/ auch wider seines ältern Bruders
Wissen und Willen/ freundlich bewillkommet und auffge-
nommen worden. Das ist also kürtzlich die Histori an ihr selbst. Ob
aber dergleichen jemalen geschehen/ und en upothesei, im Wercke selbsten
fürgangen/ daher der Herr Christus das Exempel genommen/ ab upo-
thesei ad thesin zugehen/ oder ob Er ex fictione rei possibilis, auß Satz ei-
ner möglichen Sache gegangen/ und diese Parabel selbsten erdichtet/ ist
nicht gnugsam offenbar/ ligt uns auch daran gar wenig. Jsts also ge-
schehen/ so ists parabola exemplar, ein Exempel-Gleichnuß/ von Christo
fürgestellet/ daß man sich/ jung und alt/ daran spiegle. Jsts nicht ge-
schehen/ so hat es doch wol geschehen können/ und ist eine Comödi/ die von
Anbegin der Welt gespielet worden. Niemand lasse sich deßwegen irr
machen/ wanns gleich also in solchen Umständen nicht geschehen wäre.
Dann zu gleicher weiß/ wie in einer Comödi/ wann eine Person in einem
Königlichen Habit aufftritt/ und sich darstellet als ein König/ niemand
deßwegen verführet oder betrogen wird: Also/ wann der Evangelist sagt/
der Herr habe diese Gleichnuß gesprochen/ und sie eben in der That mit
solchen Umständen nicht geschehen/ kan darum Christo kein Betrug oder
crimen falsi auff gebürdet werden.

II. Radix, die Wurtzel und Schlüssel des Verstands/ ist der sco-
pus
und Zweck/ warum der Herr diese Parabel angeführet/ und wohin
sie gemeynet ist. Ursach hat dem Herrn dazu gegeben/ das Parisäische/
heuchlerische/ neidische Schalcks-Aug; dann diese murreten/ daß Christus
der Zöllner und Sünder sich annimmet/ sie ärgerten sich darab/ und ge-
dachten/ gleich und gleich geselle sich gern/ sie liessen sich beduncken/ das
Himmelreich seye allein ihr/ als die ein solch streng und heiliges Leben

führe-
Die Erſte Predigt

GEliebte im HErꝛn: Jn fuͤnff Stucken beſtehet der Vortrag
unſers paraboliſchen Textes/ da uns zu allerforderſt vorkom̃t
I. Parabolæ Cortex, die Rinde gleichſam an dieſem paraboli-
ſchen Baum/ die Schelet/ die Schaal/ darinnen ſie fuͤrgetragen worden/
dieſelbe iſt nun die narratio, die gantze Comoͤdi in unterſchiedlichen acti-
bus,
darinnen erzehlet wird von einem Vater/ der zween Soͤhne
hatte/ deren einer dem Vater das Erb abgetrotzet/ damit uͤber
Land gezogen/ und alles verpancketieret. Da er nun ange-
fangen Mangel zu leiden/ und ſich elend behelffen muͤſſen/ ge-
dachte er zuruck an ſeines Vaters Hauß/ wie gut es daſelbſt
die Tagloͤhner haͤtten/ und er muͤßte in ſolchem Mangel leben.
Deßwegen er umgekehret/ ſeine vorige Heimath wieder beſucht/
und von ſeinem Vater/ auch wider ſeines aͤltern Bruders
Wiſſen und Willen/ freundlich bewillkommet und auffge-
nommen worden. Das iſt alſo kuͤrtzlich die Hiſtori an ihr ſelbſt. Ob
aber dergleichen jemalen geſchehen/ und ἐν ὑϖοθέσει, im Wercke ſelbſten
fuͤrgangen/ daher der Herr Chriſtus das Exempel genommen/ ab ὑϖο-
ϑέσει ad ϑέσιν zugehen/ oder ob Er ex fictione rei poſſibilis, auß Satz ei-
ner moͤglichen Sache gegangen/ und dieſe Parabel ſelbſten erdichtet/ iſt
nicht gnugſam offenbar/ ligt uns auch daran gar wenig. Jſts alſo ge-
ſchehen/ ſo iſts parabola exemplar, ein Exempel-Gleichnuß/ von Chriſto
fuͤrgeſtellet/ daß man ſich/ jung und alt/ daran ſpiegle. Jſts nicht ge-
ſchehen/ ſo hat es doch wol geſchehen koͤnnen/ und iſt eine Comoͤdi/ die von
Anbegin der Welt geſpielet worden. Niemand laſſe ſich deßwegen irꝛ
machen/ wanns gleich alſo in ſolchen Umſtaͤnden nicht geſchehen waͤre.
Dann zu gleicher weiß/ wie in einer Comoͤdi/ wann eine Perſon in einem
Koͤniglichen Habit aufftritt/ und ſich darſtellet als ein Koͤnig/ niemand
deßwegen verfuͤhret oder betrogen wird: Alſo/ wann der Evangeliſt ſagt/
der Herr habe dieſe Gleichnuß geſprochen/ und ſie eben in der That mit
ſolchen Umſtaͤnden nicht geſchehen/ kan darum Chriſto kein Betrug oder
crimen falſi auff gebuͤrdet werden.

II. Radix, die Wurtzel und Schluͤſſel des Verſtands/ iſt der ſco-
pus
und Zweck/ warum der Herr dieſe Parabel angefuͤhret/ und wohin
ſie gemeynet iſt. Urſach hat dem Herrn dazu gegeben/ das Pariſaͤiſche/
heuchleriſche/ neidiſche Schalcks-Aug; dann dieſe murreten/ daß Chriſtus
der Zoͤllner und Suͤnder ſich annimmet/ ſie aͤrgerten ſich darab/ und ge-
dachten/ gleich und gleich geſelle ſich gern/ ſie lieſſen ſich beduncken/ das
Himmelreich ſeye allein ihr/ als die ein ſolch ſtreng und heiliges Leben

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[6/0024] Die Erſte Predigt GEliebte im HErꝛn: Jn fuͤnff Stucken beſtehet der Vortrag unſers paraboliſchen Textes/ da uns zu allerforderſt vorkom̃t I. Parabolæ Cortex, die Rinde gleichſam an dieſem paraboli- ſchen Baum/ die Schelet/ die Schaal/ darinnen ſie fuͤrgetragen worden/ dieſelbe iſt nun die narratio, die gantze Comoͤdi in unterſchiedlichen acti- bus, darinnen erzehlet wird von einem Vater/ der zween Soͤhne hatte/ deren einer dem Vater das Erb abgetrotzet/ damit uͤber Land gezogen/ und alles verpancketieret. Da er nun ange- fangen Mangel zu leiden/ und ſich elend behelffen muͤſſen/ ge- dachte er zuruck an ſeines Vaters Hauß/ wie gut es daſelbſt die Tagloͤhner haͤtten/ und er muͤßte in ſolchem Mangel leben. Deßwegen er umgekehret/ ſeine vorige Heimath wieder beſucht/ und von ſeinem Vater/ auch wider ſeines aͤltern Bruders Wiſſen und Willen/ freundlich bewillkommet und auffge- nommen worden. Das iſt alſo kuͤrtzlich die Hiſtori an ihr ſelbſt. Ob aber dergleichen jemalen geſchehen/ und ἐν ὑϖοθέσει, im Wercke ſelbſten fuͤrgangen/ daher der Herr Chriſtus das Exempel genommen/ ab ὑϖο- ϑέσει ad ϑέσιν zugehen/ oder ob Er ex fictione rei poſſibilis, auß Satz ei- ner moͤglichen Sache gegangen/ und dieſe Parabel ſelbſten erdichtet/ iſt nicht gnugſam offenbar/ ligt uns auch daran gar wenig. Jſts alſo ge- ſchehen/ ſo iſts parabola exemplar, ein Exempel-Gleichnuß/ von Chriſto fuͤrgeſtellet/ daß man ſich/ jung und alt/ daran ſpiegle. Jſts nicht ge- ſchehen/ ſo hat es doch wol geſchehen koͤnnen/ und iſt eine Comoͤdi/ die von Anbegin der Welt geſpielet worden. Niemand laſſe ſich deßwegen irꝛ machen/ wanns gleich alſo in ſolchen Umſtaͤnden nicht geſchehen waͤre. Dann zu gleicher weiß/ wie in einer Comoͤdi/ wann eine Perſon in einem Koͤniglichen Habit aufftritt/ und ſich darſtellet als ein Koͤnig/ niemand deßwegen verfuͤhret oder betrogen wird: Alſo/ wann der Evangeliſt ſagt/ der Herr habe dieſe Gleichnuß geſprochen/ und ſie eben in der That mit ſolchen Umſtaͤnden nicht geſchehen/ kan darum Chriſto kein Betrug oder crimen falſi auff gebuͤrdet werden. II. Radix, die Wurtzel und Schluͤſſel des Verſtands/ iſt der ſco- pus und Zweck/ warum der Herr dieſe Parabel angefuͤhret/ und wohin ſie gemeynet iſt. Urſach hat dem Herrn dazu gegeben/ das Pariſaͤiſche/ heuchleriſche/ neidiſche Schalcks-Aug; dann dieſe murreten/ daß Chriſtus der Zoͤllner und Suͤnder ſich annimmet/ ſie aͤrgerten ſich darab/ und ge- dachten/ gleich und gleich geſelle ſich gern/ ſie lieſſen ſich beduncken/ das Himmelreich ſeye allein ihr/ als die ein ſolch ſtreng und heiliges Leben fuͤhre-

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Zitationshilfe: Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus Milch. Bd. 10. Straßburg, 1673, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dannhauer_catechismus10_1673/24>, abgerufen am 23.11.2024.