Zwei Blätter wurden 30 Minuten lang in einem Zwei-Unzengefäsz dem Dampfe von 30 Minims (1,774 Cub. Cent.) von Schwefel-Äther aus- gesetzt. Ein Blatt schlosz sich nach einiger Zeit, ebenso das andere, während es, ohne berührt zu werden, aus der Flasche entfernt wurde. Beide Blätter waren bedeutend beschädigt. Ein anderes Blatt, welches 20 Minuten lang 15 Minims Äther ausgesetzt wurde, schlosz seine Lappen bis zu einem gewissen Grade, und die empfindlichen Filamente waren nun völlig empfindungslos. Nach 24 Stunden erhielt dies Blatt seine Empfind- lichkeit wieder, war aber noch immer etwas torpid. Ein Blatt, welches in einer groszen Flasche nur 3 Minuten lang zehn Tropfen ausgesetzt war, wurde unempfindlich gemacht. Nach 52 Minuten erhielt es seine Empfindlichkeit wieder, und als eines der Filamente berührt wurde, schlossen sich die Lappen. Nach 20 Stunden fieng es an, sich wieder zu öffnen. Zuletzt wurde noch ein anderes Blatt 4 Minuten lang nur vier Tropfen Äther ausgesetzt; es wurde unempfindlich gemacht und schlosz sich nicht, als seine Filamente wiederholt berührt wurden, schlosz sich aber, als das Ende des offenen Blattes abgeschnitten wurde. Dies beweist, entweder dasz die inneren Theile nicht unempfindlich gemacht worden waren, oder dasz ein Einschnitt ein kräftigerer Reiz ist als wie- derholte Berührungen der Filamente. Ob die gröszeren Dosen von Chlo- roform und Äther, welche die Blätter sich langsam zu schlieszen veran- laszten, auf die empfindlichen Filamente oder auf das Blatt selbst ein- wirkten, weisz ich nicht.
Cyankali erzeugt, wenn es in einer Flasche gelassen wird, Cyan- wasserstoff- oder Blausäure. Ein Blatt wurde 1 Stunde 35 Minuten lang dem dabei gebildeten Dampfe ausgesetzt; die Drüsen wurden in dieser Zeit so farblos und zusammengeschrumpft, dasz sie kaum sichtbar waren und ich zuerst glaubte, sie wären sämmtlich abgefallen. Das Blatt war nicht unempfindlich gemacht worden; denn sobald eines der Filamente berührt wurde, schlosz es sich. Es hatte indessen gelitten, denn es öffnete sich nicht eher wieder, als bis beinahe zwei Tage vergangen waren, und war selbst dann nicht im mindesten empfindlich. Nach Verlauf eines weiteren Tages erhielt es seine Fähigkeiten wieder und schlosz sich, wenn es berührt wurde, und öffnete sich später wieder. Ein anderes Blatt ver- hielt sich, nachdem es diesem Dampfe eine noch kürzere Zeit ausgesetzt war, in nahezu derselben Art und Weise.
Über die Art und Weise, in welcher Insecten ge- fangen werden. -- Wir wollen nun das Benehmen der Blätter be- trachten, wenn Insecten zufällig eines der empfindlichen Filamente berühren. Dies kam in meinem Gewächshause häufig vor, ich weisz aber nicht, ob die Insecten auf irgend eine besondere Art von den Blättern angezogen werden. In dem Heimathslande der Pflanze wer- den Insecten in groszer Anzahl von ihr gefangen. Sobald ein Fila- ment berührt wird, schlieszen sich beide Lappen mit staunenerregender Schnelligkeit; und da sie in einem kleineren Winkel als in einem
Dionaea muscipula. Cap. 13.
Zwei Blätter wurden 30 Minuten lang in einem Zwei-Unzengefäsz dem Dampfe von 30 Minims (1,774 Cub. Cent.) von Schwefel-Äther aus- gesetzt. Ein Blatt schlosz sich nach einiger Zeit, ebenso das andere, während es, ohne berührt zu werden, aus der Flasche entfernt wurde. Beide Blätter waren bedeutend beschädigt. Ein anderes Blatt, welches 20 Minuten lang 15 Minims Äther ausgesetzt wurde, schlosz seine Lappen bis zu einem gewissen Grade, und die empfindlichen Filamente waren nun völlig empfindungslos. Nach 24 Stunden erhielt dies Blatt seine Empfind- lichkeit wieder, war aber noch immer etwas torpid. Ein Blatt, welches in einer groszen Flasche nur 3 Minuten lang zehn Tropfen ausgesetzt war, wurde unempfindlich gemacht. Nach 52 Minuten erhielt es seine Empfindlichkeit wieder, und als eines der Filamente berührt wurde, schlossen sich die Lappen. Nach 20 Stunden fieng es an, sich wieder zu öffnen. Zuletzt wurde noch ein anderes Blatt 4 Minuten lang nur vier Tropfen Äther ausgesetzt; es wurde unempfindlich gemacht und schlosz sich nicht, als seine Filamente wiederholt berührt wurden, schlosz sich aber, als das Ende des offenen Blattes abgeschnitten wurde. Dies beweist, entweder dasz die inneren Theile nicht unempfindlich gemacht worden waren, oder dasz ein Einschnitt ein kräftigerer Reiz ist als wie- derholte Berührungen der Filamente. Ob die gröszeren Dosen von Chlo- roform und Äther, welche die Blätter sich langsam zu schlieszen veran- laszten, auf die empfindlichen Filamente oder auf das Blatt selbst ein- wirkten, weisz ich nicht.
Cyankali erzeugt, wenn es in einer Flasche gelassen wird, Cyan- wasserstoff- oder Blausäure. Ein Blatt wurde 1 Stunde 35 Minuten lang dem dabei gebildeten Dampfe ausgesetzt; die Drüsen wurden in dieser Zeit so farblos und zusammengeschrumpft, dasz sie kaum sichtbar waren und ich zuerst glaubte, sie wären sämmtlich abgefallen. Das Blatt war nicht unempfindlich gemacht worden; denn sobald eines der Filamente berührt wurde, schlosz es sich. Es hatte indessen gelitten, denn es öffnete sich nicht eher wieder, als bis beinahe zwei Tage vergangen waren, und war selbst dann nicht im mindesten empfindlich. Nach Verlauf eines weiteren Tages erhielt es seine Fähigkeiten wieder und schlosz sich, wenn es berührt wurde, und öffnete sich später wieder. Ein anderes Blatt ver- hielt sich, nachdem es diesem Dampfe eine noch kürzere Zeit ausgesetzt war, in nahezu derselben Art und Weise.
Über die Art und Weise, in welcher Insecten ge- fangen werden. — Wir wollen nun das Benehmen der Blätter be- trachten, wenn Insecten zufällig eines der empfindlichen Filamente berühren. Dies kam in meinem Gewächshause häufig vor, ich weisz aber nicht, ob die Insecten auf irgend eine besondere Art von den Blättern angezogen werden. In dem Heimathslande der Pflanze wer- den Insecten in groszer Anzahl von ihr gefangen. Sobald ein Fila- ment berührt wird, schlieszen sich beide Lappen mit staunenerregender Schnelligkeit; und da sie in einem kleineren Winkel als in einem
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Dionaea muscipula. Cap. 13.
Zwei Blätter wurden 30 Minuten lang in einem Zwei-Unzengefäsz
dem Dampfe von 30 Minims (1,774 Cub. Cent.) von Schwefel-Äther aus-
gesetzt. Ein Blatt schlosz sich nach einiger Zeit, ebenso das andere,
während es, ohne berührt zu werden, aus der Flasche entfernt wurde.
Beide Blätter waren bedeutend beschädigt. Ein anderes Blatt, welches
20 Minuten lang 15 Minims Äther ausgesetzt wurde, schlosz seine Lappen
bis zu einem gewissen Grade, und die empfindlichen Filamente waren nun
völlig empfindungslos. Nach 24 Stunden erhielt dies Blatt seine Empfind-
lichkeit wieder, war aber noch immer etwas torpid. Ein Blatt, welches
in einer groszen Flasche nur 3 Minuten lang zehn Tropfen ausgesetzt
war, wurde unempfindlich gemacht. Nach 52 Minuten erhielt es seine
Empfindlichkeit wieder, und als eines der Filamente berührt wurde,
schlossen sich die Lappen. Nach 20 Stunden fieng es an, sich wieder
zu öffnen. Zuletzt wurde noch ein anderes Blatt 4 Minuten lang nur
vier Tropfen Äther ausgesetzt; es wurde unempfindlich gemacht und
schlosz sich nicht, als seine Filamente wiederholt berührt wurden, schlosz
sich aber, als das Ende des offenen Blattes abgeschnitten wurde. Dies
beweist, entweder dasz die inneren Theile nicht unempfindlich gemacht
worden waren, oder dasz ein Einschnitt ein kräftigerer Reiz ist als wie-
derholte Berührungen der Filamente. Ob die gröszeren Dosen von Chlo-
roform und Äther, welche die Blätter sich langsam zu schlieszen veran-
laszten, auf die empfindlichen Filamente oder auf das Blatt selbst ein-
wirkten, weisz ich nicht.
Cyankali erzeugt, wenn es in einer Flasche gelassen wird, Cyan-
wasserstoff- oder Blausäure. Ein Blatt wurde 1 Stunde 35 Minuten lang
dem dabei gebildeten Dampfe ausgesetzt; die Drüsen wurden in dieser
Zeit so farblos und zusammengeschrumpft, dasz sie kaum sichtbar waren
und ich zuerst glaubte, sie wären sämmtlich abgefallen. Das Blatt war
nicht unempfindlich gemacht worden; denn sobald eines der Filamente
berührt wurde, schlosz es sich. Es hatte indessen gelitten, denn es öffnete
sich nicht eher wieder, als bis beinahe zwei Tage vergangen waren, und
war selbst dann nicht im mindesten empfindlich. Nach Verlauf eines
weiteren Tages erhielt es seine Fähigkeiten wieder und schlosz sich, wenn
es berührt wurde, und öffnete sich später wieder. Ein anderes Blatt ver-
hielt sich, nachdem es diesem Dampfe eine noch kürzere Zeit ausgesetzt
war, in nahezu derselben Art und Weise.
Über die Art und Weise, in welcher Insecten ge-
fangen werden. — Wir wollen nun das Benehmen der Blätter be-
trachten, wenn Insecten zufällig eines der empfindlichen Filamente
berühren. Dies kam in meinem Gewächshause häufig vor, ich weisz
aber nicht, ob die Insecten auf irgend eine besondere Art von den
Blättern angezogen werden. In dem Heimathslande der Pflanze wer-
den Insecten in groszer Anzahl von ihr gefangen. Sobald ein Fila-
ment berührt wird, schlieszen sich beide Lappen mit staunenerregender
Schnelligkeit; und da sie in einem kleineren Winkel als in einem
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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/290>, abgerufen am 27.11.2024.
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