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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Aldrovanda vesiculosa. Cap. 14.
funden; aber als es dann nach 23 Stunden 20 Minuten wieder unter-
sucht wurde, enthielten die äuszeren Zellen der Drüsen, anstatt einer
durchsichtigen Flüssigkeit, kuglige Massen von körniger Substanz,
welche bewiesen, dasz Substanz aus dem Aufgusz aufgesaugt worden
war. Dasz diese Drüsen eine Flüssigkeit absondern, welche thierische
Substanz aus den Körpern der Geschöpfe, welche die Blätter fangen,
auflöst oder verdaut, ist auch durch die Analogie der Dionaea höchst
wahrscheinlich. Wenn wir derselben Analogie vertrauen dürfen, so
schlieszen sich wahrscheinlich die concaven und inneren Theile der
Lappen durch eine langsame Bewegung, sobald die Drüsen eine geringe
Menge von schon löslicher thierischer Substanz aufgesaugt haben.
Das eingeschlossene Wasser würde so heraus gedrückt werden und
das Secret folglich nicht zu verdünnt zum Einwirken sein. In Bezug
auf die viertheiligen Fortsätze an den äuszeren Theilen der Lappen
war ich nicht im Stande zu entscheiden, ob der Aufgusz auf sie ein-
gewirkt hatte; denn die Auskleidung von Protoplasma war etwas
eingeschrumpft, ehe sie eingetaucht wurden. Bei vielen der Spitzen
auf den umgebogenen Rändern war das auskleidende Protoplasma
gleichfalls eingeschrumpft, und enthielt kuglige Körner von hyaliner
Substanz.

Eine Lösung von Harnstoff wurde zunächst angewendet. Diese
Substanz wurde zum Theil mit deshalb gewählt, weil sie von den Drüsen
der Utricularia -- einer Pflanze, welche, wie wir später sehen werden,
sich von zerfallener thierischer Substanz nährt, absorbirt wird. Da der
Harnstoff eines der letzten Producte der chemischen im lebenden Körper
vor sich gehenden Verwandlungen ist, so scheint er dazu passend zu sein,
die ersten Stadien des Zerfallens des todten Körpers darzustellen. Ich
wurde auch noch durch eine sonderbare kleine Thatsache, die Prof.
Cohn erwähnt, darauf geführt, den Harnstoff zu versuchen, nämlich
dasz, wenn ziemlich grosze Kruster zwischen den sich schlieszenden
Lappen gefangen werden, sie während ihres Entkommens so stark
gedrückt werden, dasz sie oft ihre wurstförmigen Excremente aus-
leeren, welche in den meisten der Blätter gefunden wurden. Diese
Massen enthalten ohne Zweifel Harnstoff. Sie werden entweder auf
den breiten äuszeren Flächentheilen der Lappen, wo die viertheiligen
Fortsätze sitzen, oder in der geschlossenen Concavität gelassen. In
dem letzteren Fall wird mit excrementitieller und verwesender Sub-
stanz getränktes Wasser langsam nach auszen gepreszt und die vier-

Aldrovanda vesiculosa. Cap. 14.
funden; aber als es dann nach 23 Stunden 20 Minuten wieder unter-
sucht wurde, enthielten die äuszeren Zellen der Drüsen, anstatt einer
durchsichtigen Flüssigkeit, kuglige Massen von körniger Substanz,
welche bewiesen, dasz Substanz aus dem Aufgusz aufgesaugt worden
war. Dasz diese Drüsen eine Flüssigkeit absondern, welche thierische
Substanz aus den Körpern der Geschöpfe, welche die Blätter fangen,
auflöst oder verdaut, ist auch durch die Analogie der Dionaea höchst
wahrscheinlich. Wenn wir derselben Analogie vertrauen dürfen, so
schlieszen sich wahrscheinlich die concaven und inneren Theile der
Lappen durch eine langsame Bewegung, sobald die Drüsen eine geringe
Menge von schon löslicher thierischer Substanz aufgesaugt haben.
Das eingeschlossene Wasser würde so heraus gedrückt werden und
das Secret folglich nicht zu verdünnt zum Einwirken sein. In Bezug
auf die viertheiligen Fortsätze an den äuszeren Theilen der Lappen
war ich nicht im Stande zu entscheiden, ob der Aufgusz auf sie ein-
gewirkt hatte; denn die Auskleidung von Protoplasma war etwas
eingeschrumpft, ehe sie eingetaucht wurden. Bei vielen der Spitzen
auf den umgebogenen Rändern war das auskleidende Protoplasma
gleichfalls eingeschrumpft, und enthielt kuglige Körner von hyaliner
Substanz.

Eine Lösung von Harnstoff wurde zunächst angewendet. Diese
Substanz wurde zum Theil mit deshalb gewählt, weil sie von den Drüsen
der Utricularia — einer Pflanze, welche, wie wir später sehen werden,
sich von zerfallener thierischer Substanz nährt, absorbirt wird. Da der
Harnstoff eines der letzten Producte der chemischen im lebenden Körper
vor sich gehenden Verwandlungen ist, so scheint er dazu passend zu sein,
die ersten Stadien des Zerfallens des todten Körpers darzustellen. Ich
wurde auch noch durch eine sonderbare kleine Thatsache, die Prof.
Cohn erwähnt, darauf geführt, den Harnstoff zu versuchen, nämlich
dasz, wenn ziemlich grosze Kruster zwischen den sich schlieszenden
Lappen gefangen werden, sie während ihres Entkommens so stark
gedrückt werden, dasz sie oft ihre wurstförmigen Excremente aus-
leeren, welche in den meisten der Blätter gefunden wurden. Diese
Massen enthalten ohne Zweifel Harnstoff. Sie werden entweder auf
den breiten äuszeren Flächentheilen der Lappen, wo die viertheiligen
Fortsätze sitzen, oder in der geschlossenen Concavität gelassen. In
dem letzteren Fall wird mit excrementitieller und verwesender Sub-
stanz getränktes Wasser langsam nach auszen gepreszt und die vier-

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[294/0308] Aldrovanda vesiculosa. Cap. 14. funden; aber als es dann nach 23 Stunden 20 Minuten wieder unter- sucht wurde, enthielten die äuszeren Zellen der Drüsen, anstatt einer durchsichtigen Flüssigkeit, kuglige Massen von körniger Substanz, welche bewiesen, dasz Substanz aus dem Aufgusz aufgesaugt worden war. Dasz diese Drüsen eine Flüssigkeit absondern, welche thierische Substanz aus den Körpern der Geschöpfe, welche die Blätter fangen, auflöst oder verdaut, ist auch durch die Analogie der Dionaea höchst wahrscheinlich. Wenn wir derselben Analogie vertrauen dürfen, so schlieszen sich wahrscheinlich die concaven und inneren Theile der Lappen durch eine langsame Bewegung, sobald die Drüsen eine geringe Menge von schon löslicher thierischer Substanz aufgesaugt haben. Das eingeschlossene Wasser würde so heraus gedrückt werden und das Secret folglich nicht zu verdünnt zum Einwirken sein. In Bezug auf die viertheiligen Fortsätze an den äuszeren Theilen der Lappen war ich nicht im Stande zu entscheiden, ob der Aufgusz auf sie ein- gewirkt hatte; denn die Auskleidung von Protoplasma war etwas eingeschrumpft, ehe sie eingetaucht wurden. Bei vielen der Spitzen auf den umgebogenen Rändern war das auskleidende Protoplasma gleichfalls eingeschrumpft, und enthielt kuglige Körner von hyaliner Substanz. Eine Lösung von Harnstoff wurde zunächst angewendet. Diese Substanz wurde zum Theil mit deshalb gewählt, weil sie von den Drüsen der Utricularia — einer Pflanze, welche, wie wir später sehen werden, sich von zerfallener thierischer Substanz nährt, absorbirt wird. Da der Harnstoff eines der letzten Producte der chemischen im lebenden Körper vor sich gehenden Verwandlungen ist, so scheint er dazu passend zu sein, die ersten Stadien des Zerfallens des todten Körpers darzustellen. Ich wurde auch noch durch eine sonderbare kleine Thatsache, die Prof. Cohn erwähnt, darauf geführt, den Harnstoff zu versuchen, nämlich dasz, wenn ziemlich grosze Kruster zwischen den sich schlieszenden Lappen gefangen werden, sie während ihres Entkommens so stark gedrückt werden, dasz sie oft ihre wurstförmigen Excremente aus- leeren, welche in den meisten der Blätter gefunden wurden. Diese Massen enthalten ohne Zweifel Harnstoff. Sie werden entweder auf den breiten äuszeren Flächentheilen der Lappen, wo die viertheiligen Fortsätze sitzen, oder in der geschlossenen Concavität gelassen. In dem letzteren Fall wird mit excrementitieller und verwesender Sub- stanz getränktes Wasser langsam nach auszen gepreszt und die vier-

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/308>, abgerufen am 27.11.2024.