Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

gehen und Etwas zu erreichen, was der Rede werth --
Alles trieb und drängte dazu, eine tiefere und reifere Be-
sinnung anzustreben, und eine, wo möglich, ganz neue
d. h. nicht zwar dem innersten, auf das Wahre und Gute
gerichteten Sinn und Geiste, wohl aber der praktischen
und historischen Anschauung nach total veränderte Wendung
zu nehmen. "Verwundet, eingerissen, zerstreut, weggewor-
fen" war, was das vielfach und leidenschaftlich umgewühlte
Feld der Ansichten, Theorien, Denkweisen und Tendenzen
betrifft, genug und mehr als genug. Ich selber hatte
mein redlich Theil dazu beigetragen und konnte getrost,
wenn nicht auf meinen Lorbeeren, doch auf meinen Dornen
ruhen. Mit den realen Erfolgen sah es um so schlechter
aus. Von all dem, was man gewünscht und gewollt hatte,
war nur das direkteste und extremste Gegentheil bewirkt;
denn nur um so siegreicher, selbstgewisser und unbeugsamer
erhielt sich und erhob sich wieder, was man zu entwurzeln
und umzustürzen, oder doch wesentlich umzugestalten, zu
verjüngen und neuzubeleben bestrebt gewesen war. -- Was
mich betrifft, so hatte ich immer, wenn ich an einem alten
Gebäude rüttelte, einen neuen, besseren und schöneren Bau
im Sinne; nur um dieses Positiven willen, dem ich Raum
schaffen wollte, war es, daß ich verneinte, verwarf und be-
fehdete; denn die bloße, leere, und darum, wie sie sich auch
stellen, und wie sie in ihrer Art auch Recht haben möge,
doch immer nur schlechte, rohe und heillose Negation und
Destruktion war meine Sache nie. Aber die Welt ist nicht
mehr dazu aufgelegt und befähigt, sich von irgend einem
für sich stehenden und bethätigten Individuum etwas Po-

gehen und Etwas zu erreichen, was der Rede werth —
Alles trieb und drängte dazu, eine tiefere und reifere Be-
ſinnung anzuſtreben, und eine, wo möglich, ganz neue
d. h. nicht zwar dem innerſten, auf das Wahre und Gute
gerichteten Sinn und Geiſte, wohl aber der praktiſchen
und hiſtoriſchen Anſchauung nach total veränderte Wendung
zu nehmen. „Verwundet, eingeriſſen, zerſtreut, weggewor-
fen“ war, was das vielfach und leidenſchaftlich umgewühlte
Feld der Anſichten, Theorien, Denkweiſen und Tendenzen
betrifft, genug und mehr als genug. Ich ſelber hatte
mein redlich Theil dazu beigetragen und konnte getroſt,
wenn nicht auf meinen Lorbeeren, doch auf meinen Dornen
ruhen. Mit den realen Erfolgen ſah es um ſo ſchlechter
aus. Von all dem, was man gewünſcht und gewollt hatte,
war nur das direkteſte und extremſte Gegentheil bewirkt;
denn nur um ſo ſiegreicher, ſelbſtgewiſſer und unbeugſamer
erhielt ſich und erhob ſich wieder, was man zu entwurzeln
und umzuſtürzen, oder doch weſentlich umzugeſtalten, zu
verjüngen und neuzubeleben beſtrebt geweſen war. — Was
mich betrifft, ſo hatte ich immer, wenn ich an einem alten
Gebäude rüttelte, einen neuen, beſſeren und ſchöneren Bau
im Sinne; nur um dieſes Poſitiven willen, dem ich Raum
ſchaffen wollte, war es, daß ich verneinte, verwarf und be-
fehdete; denn die bloße, leere, und darum, wie ſie ſich auch
ſtellen, und wie ſie in ihrer Art auch Recht haben möge,
doch immer nur ſchlechte, rohe und heilloſe Negation und
Deſtruktion war meine Sache nie. Aber die Welt iſt nicht
mehr dazu aufgelegt und befähigt, ſich von irgend einem
für ſich ſtehenden und bethätigten Individuum etwas Po-

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0010" n="IV"/>
gehen und Etwas zu erreichen, was der Rede werth &#x2014;<lb/>
Alles trieb und drängte dazu, eine tiefere und reifere Be-<lb/>
&#x017F;innung anzu&#x017F;treben, und eine, wo möglich, ganz neue<lb/>
d. h. nicht zwar dem inner&#x017F;ten, auf das Wahre und Gute<lb/>
gerichteten Sinn und Gei&#x017F;te, wohl aber der prakti&#x017F;chen<lb/>
und hi&#x017F;tori&#x017F;chen An&#x017F;chauung nach total veränderte Wendung<lb/>
zu nehmen. &#x201E;Verwundet, eingeri&#x017F;&#x017F;en, zer&#x017F;treut, weggewor-<lb/>
fen&#x201C; war, was das vielfach und leiden&#x017F;chaftlich umgewühlte<lb/>
Feld der An&#x017F;ichten, Theorien, Denkwei&#x017F;en und Tendenzen<lb/>
betrifft, genug und mehr als genug. Ich &#x017F;elber hatte<lb/>
mein redlich Theil dazu beigetragen und konnte getro&#x017F;t,<lb/>
wenn nicht auf meinen Lorbeeren, doch auf meinen Dornen<lb/>
ruhen. Mit den realen Erfolgen &#x017F;ah es um &#x017F;o &#x017F;chlechter<lb/>
aus. Von all dem, was man gewün&#x017F;cht und gewollt hatte,<lb/>
war nur das direkte&#x017F;te und extrem&#x017F;te Gegentheil bewirkt;<lb/>
denn nur um &#x017F;o &#x017F;iegreicher, &#x017F;elb&#x017F;tgewi&#x017F;&#x017F;er und unbeug&#x017F;amer<lb/>
erhielt &#x017F;ich und erhob &#x017F;ich wieder, was man zu entwurzeln<lb/>
und umzu&#x017F;türzen, oder doch we&#x017F;entlich umzuge&#x017F;talten, zu<lb/>
verjüngen und neuzubeleben be&#x017F;trebt gewe&#x017F;en war. &#x2014; Was<lb/>
mich betrifft, &#x017F;o hatte ich immer, wenn ich an einem alten<lb/>
Gebäude rüttelte, einen neuen, be&#x017F;&#x017F;eren und &#x017F;chöneren Bau<lb/>
im Sinne; nur um die&#x017F;es Po&#x017F;itiven willen, dem ich Raum<lb/>
&#x017F;chaffen wollte, war es, daß ich verneinte, verwarf und be-<lb/>
fehdete; denn die bloße, leere, und darum, wie &#x017F;ie &#x017F;ich auch<lb/>
&#x017F;tellen, und wie &#x017F;ie in ihrer Art auch Recht haben möge,<lb/>
doch immer nur &#x017F;chlechte, rohe und heillo&#x017F;e Negation und<lb/>
De&#x017F;truktion war meine Sache nie. Aber die Welt i&#x017F;t nicht<lb/>
mehr dazu aufgelegt und befähigt, &#x017F;ich von irgend einem<lb/>
für &#x017F;ich &#x017F;tehenden und bethätigten Individuum etwas Po-<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[IV/0010] gehen und Etwas zu erreichen, was der Rede werth — Alles trieb und drängte dazu, eine tiefere und reifere Be- ſinnung anzuſtreben, und eine, wo möglich, ganz neue d. h. nicht zwar dem innerſten, auf das Wahre und Gute gerichteten Sinn und Geiſte, wohl aber der praktiſchen und hiſtoriſchen Anſchauung nach total veränderte Wendung zu nehmen. „Verwundet, eingeriſſen, zerſtreut, weggewor- fen“ war, was das vielfach und leidenſchaftlich umgewühlte Feld der Anſichten, Theorien, Denkweiſen und Tendenzen betrifft, genug und mehr als genug. Ich ſelber hatte mein redlich Theil dazu beigetragen und konnte getroſt, wenn nicht auf meinen Lorbeeren, doch auf meinen Dornen ruhen. Mit den realen Erfolgen ſah es um ſo ſchlechter aus. Von all dem, was man gewünſcht und gewollt hatte, war nur das direkteſte und extremſte Gegentheil bewirkt; denn nur um ſo ſiegreicher, ſelbſtgewiſſer und unbeugſamer erhielt ſich und erhob ſich wieder, was man zu entwurzeln und umzuſtürzen, oder doch weſentlich umzugeſtalten, zu verjüngen und neuzubeleben beſtrebt geweſen war. — Was mich betrifft, ſo hatte ich immer, wenn ich an einem alten Gebäude rüttelte, einen neuen, beſſeren und ſchöneren Bau im Sinne; nur um dieſes Poſitiven willen, dem ich Raum ſchaffen wollte, war es, daß ich verneinte, verwarf und be- fehdete; denn die bloße, leere, und darum, wie ſie ſich auch ſtellen, und wie ſie in ihrer Art auch Recht haben möge, doch immer nur ſchlechte, rohe und heilloſe Negation und Deſtruktion war meine Sache nie. Aber die Welt iſt nicht mehr dazu aufgelegt und befähigt, ſich von irgend einem für ſich ſtehenden und bethätigten Individuum etwas Po-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/10
Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/10>, abgerufen am 21.11.2024.