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Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

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sitives geben zu lassen und sich daran emporzurichten, wie
immer auch dies Individuum und seine Gabe beschaffen
sein möge. Kämen die größten, berühmtesten, gefeiertsten
Genien, Heroen, Gesetzgeber, Seher, Propheten und Hei-
lande des Alterthums wieder, sie könnten nicht das Ge-
ringste mehr ausrichten; sie würden an dieser Zeit, an
diesem Geschlechte zum Spott. Die Anstrengungen des
Einzelnen, als solchen, sind eitel, seine Plane unpraktische
Ideen, seine Thaten unbesonnene, für ein erfahrenes Alter
unverzeihliche Jugendstreiche, und sein Leiden und Märty-
rerthum erwirbt ihm keinen Antheil und Anhang mehr,
sondern wird entweder gar nicht beachtet oder mit grenzen-
loser Gleichgültigkeit und Verachtung behandelt. Nur für
das Negative ist Sinn und Geneigtheit vorhanden; nur
noch das vermag zu gelegener Zeit die zur Auflösung
strebende Masse zu begeistern; oder, wenn man sich ande-
rerseits davor entsetzt, und dem wüsten, wilden Wesen Ein-
halt zu thun beeifert ist, so sucht man nur angstvoll und
krampfhaft das Bestehende festzuhalten und das Alte zu
erneuern. Wo bliebe da einem Streben, wie das meinige
war, irgend ein Spielraum der Thätigkeit für die Gegen-
wart, irgend eine Aussicht auf die Zukunft übrig? -- --

Dies Alles wurde mir allmählig, ich mochte mich ge-
gen so niederschlagende, ja zermalmende Erkenntnisse noch
so sehr und noch so lange sträuben, nur allzu klar. "Da
wandte ich mich, mein Herz verzweifeln zu lassen ob all
der Mühe, womit ich mich unter der Sonne gemühet hatte,"
wie der schon citirte Prediger spricht, indem er über die
Eitelkeit menschlicher Bestrebungen klagt. Weiter konnte

ſitives geben zu laſſen und ſich daran emporzurichten, wie
immer auch dies Individuum und ſeine Gabe beſchaffen
ſein möge. Kämen die größten, berühmteſten, gefeiertſten
Genien, Heroen, Geſetzgeber, Seher, Propheten und Hei-
lande des Alterthums wieder, ſie könnten nicht das Ge-
ringſte mehr ausrichten; ſie würden an dieſer Zeit, an
dieſem Geſchlechte zum Spott. Die Anſtrengungen des
Einzelnen, als ſolchen, ſind eitel, ſeine Plane unpraktiſche
Ideen, ſeine Thaten unbeſonnene, für ein erfahrenes Alter
unverzeihliche Jugendſtreiche, und ſein Leiden und Märty-
rerthum erwirbt ihm keinen Antheil und Anhang mehr,
ſondern wird entweder gar nicht beachtet oder mit grenzen-
loſer Gleichgültigkeit und Verachtung behandelt. Nur für
das Negative iſt Sinn und Geneigtheit vorhanden; nur
noch das vermag zu gelegener Zeit die zur Auflöſung
ſtrebende Maſſe zu begeiſtern; oder, wenn man ſich ande-
rerſeits davor entſetzt, und dem wüſten, wilden Weſen Ein-
halt zu thun beeifert iſt, ſo ſucht man nur angſtvoll und
krampfhaft das Beſtehende feſtzuhalten und das Alte zu
erneuern. Wo bliebe da einem Streben, wie das meinige
war, irgend ein Spielraum der Thätigkeit für die Gegen-
wart, irgend eine Ausſicht auf die Zukunft übrig? — —

Dies Alles wurde mir allmählig, ich mochte mich ge-
gen ſo niederſchlagende, ja zermalmende Erkenntniſſe noch
ſo ſehr und noch ſo lange ſträuben, nur allzu klar. „Da
wandte ich mich, mein Herz verzweifeln zu laſſen ob all
der Mühe, womit ich mich unter der Sonne gemühet hatte,“
wie der ſchon citirte Prediger ſpricht, indem er über die
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[V/0011] ſitives geben zu laſſen und ſich daran emporzurichten, wie immer auch dies Individuum und ſeine Gabe beſchaffen ſein möge. Kämen die größten, berühmteſten, gefeiertſten Genien, Heroen, Geſetzgeber, Seher, Propheten und Hei- lande des Alterthums wieder, ſie könnten nicht das Ge- ringſte mehr ausrichten; ſie würden an dieſer Zeit, an dieſem Geſchlechte zum Spott. Die Anſtrengungen des Einzelnen, als ſolchen, ſind eitel, ſeine Plane unpraktiſche Ideen, ſeine Thaten unbeſonnene, für ein erfahrenes Alter unverzeihliche Jugendſtreiche, und ſein Leiden und Märty- rerthum erwirbt ihm keinen Antheil und Anhang mehr, ſondern wird entweder gar nicht beachtet oder mit grenzen- loſer Gleichgültigkeit und Verachtung behandelt. Nur für das Negative iſt Sinn und Geneigtheit vorhanden; nur noch das vermag zu gelegener Zeit die zur Auflöſung ſtrebende Maſſe zu begeiſtern; oder, wenn man ſich ande- rerſeits davor entſetzt, und dem wüſten, wilden Weſen Ein- halt zu thun beeifert iſt, ſo ſucht man nur angſtvoll und krampfhaft das Beſtehende feſtzuhalten und das Alte zu erneuern. Wo bliebe da einem Streben, wie das meinige war, irgend ein Spielraum der Thätigkeit für die Gegen- wart, irgend eine Ausſicht auf die Zukunft übrig? — — Dies Alles wurde mir allmählig, ich mochte mich ge- gen ſo niederſchlagende, ja zermalmende Erkenntniſſe noch ſo ſehr und noch ſo lange ſträuben, nur allzu klar. „Da wandte ich mich, mein Herz verzweifeln zu laſſen ob all der Mühe, womit ich mich unter der Sonne gemühet hatte,“ wie der ſchon citirte Prediger ſpricht, indem er über die Eitelkeit menſchlicher Beſtrebungen klagt. Weiter konnte

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Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/11>, abgerufen am 28.04.2024.