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Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

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übrigens gewöhnlichem Wesen und Charakter kennt und
nimmt, der kann ohne Weiteres damit fertig zu sein und
keiner tieferen Forschung zu bedürfen glauben, um der
Sache auf den Grund zu kommen. In der That aber
gibt es nichts Sonderbareres, Räthselhafteres, seiner eigent-
lichen Natur und Bestimmung nach Dunkleres, Versteckte-
res, als dieses Rom; es stellt sich bei näherem Zusehen
durchaus nicht als etwas einfach Klares, sich selbst Glei-
ches, dem Verständniß somit unmittelbar Zugängliches,
sondern als etwas vielmehr durchaus Gedoppeltes, Gespal-
tenes, Zweiseitiges und Zweideutiges dar, und hat auch
schon sich selbst als ein solches gefaßt und ausgespro-
chen. "Rom" war der allbekannte, profane Name der
Stadt; aber es hatte dieselbe auch einen geheimen; und
ein eigenthümlicher, geheimnißvoller Genius wachte über sie;
auf dem Capitol war ein Schild geweiht, auf welchem ge-
schrieben stand: "Dem Genius der Stadt Rom, sei er
Mann oder Weib." *) Es fanden hier, wie es scheint,
nicht bloß Mysterien im Sinne der Verheimlichung eines dem
Eingeweihten wohl bewußten Inhaltes Statt; die Sache litt
an und für sich an Unbestimmtheit und Dunkelheit. Der
Römer hatte die Ahnung einer noch anderen Bestimmung
und Aufgabe, als diejenige war, die er äußerlich verfolgte;
er glaubte, daß ihm in dieser Beziehung auch eine eigene
göttliche Obhut und Leitung zu Theile werde; einen deut-
lichen Begriff davon scheint er nicht gehabt zu haben.
Merkwürdig ist übrigens, daß man Roma, welches dem
Griechischen nach Kraft und Stärke bedeutet, rückwärts
Amor las und daß dies der Mysterienname Roms sein
sollte, **) wo die Idee der Umkehrung von Roms krie-

*) Servius ad. Virgil. Aen. 11.293--96: Genio urbis Romae, sive
mas sit sive foemina.
**) Vergl. Creuzer, Symbolik. 2. Ausg. II. S. 1002.

übrigens gewöhnlichem Weſen und Charakter kennt und
nimmt, der kann ohne Weiteres damit fertig zu ſein und
keiner tieferen Forſchung zu bedürfen glauben, um der
Sache auf den Grund zu kommen. In der That aber
gibt es nichts Sonderbareres, Räthſelhafteres, ſeiner eigent-
lichen Natur und Beſtimmung nach Dunkleres, Verſteckte-
res, als dieſes Rom; es ſtellt ſich bei näherem Zuſehen
durchaus nicht als etwas einfach Klares, ſich ſelbſt Glei-
ches, dem Verſtändniß ſomit unmittelbar Zugängliches,
ſondern als etwas vielmehr durchaus Gedoppeltes, Geſpal-
tenes, Zweiſeitiges und Zweideutiges dar, und hat auch
ſchon ſich ſelbſt als ein ſolches gefaßt und ausgeſpro-
chen. „Rom“ war der allbekannte, profane Name der
Stadt; aber es hatte dieſelbe auch einen geheimen; und
ein eigenthümlicher, geheimnißvoller Genius wachte über ſie;
auf dem Capitol war ein Schild geweiht, auf welchem ge-
ſchrieben ſtand: „Dem Genius der Stadt Rom, ſei er
Mann oder Weib.“ *) Es fanden hier, wie es ſcheint,
nicht bloß Myſterien im Sinne der Verheimlichung eines dem
Eingeweihten wohl bewußten Inhaltes Statt; die Sache litt
an und für ſich an Unbeſtimmtheit und Dunkelheit. Der
Römer hatte die Ahnung einer noch anderen Beſtimmung
und Aufgabe, als diejenige war, die er äußerlich verfolgte;
er glaubte, daß ihm in dieſer Beziehung auch eine eigene
göttliche Obhut und Leitung zu Theile werde; einen deut-
lichen Begriff davon ſcheint er nicht gehabt zu haben.
Merkwürdig iſt übrigens, daß man Roma, welches dem
Griechiſchen nach Kraft und Stärke bedeutet, rückwärts
Amor las und daß dies der Myſterienname Roms ſein
ſollte, **) wo die Idee der Umkehrung von Roms krie-

*) Servius ad. Virgil. Aen. 11.293—96: Genio urbis Romae, sive
mas sit sive foemina.
**) Vergl. Creuzer, Symbolik. 2. Ausg. II. S. 1002.
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[11/0033] übrigens gewöhnlichem Weſen und Charakter kennt und nimmt, der kann ohne Weiteres damit fertig zu ſein und keiner tieferen Forſchung zu bedürfen glauben, um der Sache auf den Grund zu kommen. In der That aber gibt es nichts Sonderbareres, Räthſelhafteres, ſeiner eigent- lichen Natur und Beſtimmung nach Dunkleres, Verſteckte- res, als dieſes Rom; es ſtellt ſich bei näherem Zuſehen durchaus nicht als etwas einfach Klares, ſich ſelbſt Glei- ches, dem Verſtändniß ſomit unmittelbar Zugängliches, ſondern als etwas vielmehr durchaus Gedoppeltes, Geſpal- tenes, Zweiſeitiges und Zweideutiges dar, und hat auch ſchon ſich ſelbſt als ein ſolches gefaßt und ausgeſpro- chen. „Rom“ war der allbekannte, profane Name der Stadt; aber es hatte dieſelbe auch einen geheimen; und ein eigenthümlicher, geheimnißvoller Genius wachte über ſie; auf dem Capitol war ein Schild geweiht, auf welchem ge- ſchrieben ſtand: „Dem Genius der Stadt Rom, ſei er Mann oder Weib.“ *) Es fanden hier, wie es ſcheint, nicht bloß Myſterien im Sinne der Verheimlichung eines dem Eingeweihten wohl bewußten Inhaltes Statt; die Sache litt an und für ſich an Unbeſtimmtheit und Dunkelheit. Der Römer hatte die Ahnung einer noch anderen Beſtimmung und Aufgabe, als diejenige war, die er äußerlich verfolgte; er glaubte, daß ihm in dieſer Beziehung auch eine eigene göttliche Obhut und Leitung zu Theile werde; einen deut- lichen Begriff davon ſcheint er nicht gehabt zu haben. Merkwürdig iſt übrigens, daß man Roma, welches dem Griechiſchen nach Kraft und Stärke bedeutet, rückwärts Amor las und daß dies der Myſterienname Roms ſein ſollte, **) wo die Idee der Umkehrung von Roms krie- *) Servius ad. Virgil. Aen. 11.293—96: Genio urbis Romae, sive mas sit sive foemina. **) Vergl. Creuzer, Symbolik. 2. Ausg. II. S. 1002.

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Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/33>, abgerufen am 21.11.2024.