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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Zu den Skulpturen des Bamberger Domes
öffnete zugleich das Verständnis für die Antike; wäre nur die
Gelegenheit zu ihrem Studium eine häufigere gewesen, so
hätte, das lehren unsere Reimser Arbeiten, der Norden wahr-
scheinlich ein ebenbürtiges, vielleicht ein überlegenes Seitenstück
zur Kunst des Niccolo Pisano hervorgebracht. Reims (Duro-
cortorum Remorum) war im römischen Gallien eine ansehnliche
Stadt gewesen; der Triumphbogen, Porte de Mars genannt, gibt
noch heute Zeugnis davon; von den plastischen Römerwerken,
die den Steinmetzen der Kathedrale vorlagen, ist allerdings nichts
mehr erhalten. Es müssen treffliche Arbeiten gewesen sein, der-
gleichen außerhalb Italiens nicht oft vorkamen, ich möchte glauben:
aus dem ersten Jahrhundert der Kaiserzeit. Maria erinnert in der
Haltung des Körpers, der Bewegung der Arme, der Anordnung
des Gewandes an die Livia des Museo Borbonico; in der Haar-
tracht und der Art, wie die Palla über den Kopf gezogen ist, an
die Herkulanerin in Dresden; ein klassischer Archäolog würde
vielleicht anderweitig noch eine genauere Ähnlichkeit nachweisen
können. Elisabeth ist ganz als Matrone charakterisiert, die Palla
um Brust und Hals dicht zusammengezogen, über die Stirn eine
Binde gelegt. Das für beide Statuen bezeichnende scharfkantige
kleine Gefältel war offenbar schon dem Vorbilde eigen; es wieder-
holt sich an einer dritten männlichen Figur mit einem Odysseus-
kopf. So treu der Kopist des 13. Jahrhunderts bemüht gewesen
ist, nur seine Urbilder wiederzugeben, es hat sich ihnen doch un-
vermerkt etwas vom Stilgefühl seiner Zeit, vornehmlich in der
Haltung und dem Gesichtsausdruck Mariens, beigemischt, und es
ist damit ein hold befangener Zug in sein Werk gekommen, der dem
korrekteren und kühleren Originale sicherlich fremd war. Ziem-
lich ungeschickt sogar ist die Ergänzung der Unterarme ausge-
fallen; an der Stellung von Mariens Gebetbuch erkennt man
deutlich, daß die Hand ursprünglich nicht bestimmt war, etwas
anderes als bloß den Gewandzipfel zu halten. -- Noch ist ein Wort
über die Reihenfolge der Figuren zu sagen. Sie befinden sich am
rechten Portalgewände. Zunächst der Tür steht der Engel (Arbeit
des späten 13. wenn nicht schon 14. Jahrhunderts), dann eine
Maria (13. Jahrhundert, noch recht unfrei), beide zusammen die

Zu den Skulpturen des Bamberger Domes
öffnete zugleich das Verständnis für die Antike; wäre nur die
Gelegenheit zu ihrem Studium eine häufigere gewesen, so
hätte, das lehren unsere Reimser Arbeiten, der Norden wahr-
scheinlich ein ebenbürtiges, vielleicht ein überlegenes Seitenstück
zur Kunst des Niccolo Pisano hervorgebracht. Reims (Duro-
cortorum Remorum) war im römischen Gallien eine ansehnliche
Stadt gewesen; der Triumphbogen, Porte de Mars genannt, gibt
noch heute Zeugnis davon; von den plastischen Römerwerken,
die den Steinmetzen der Kathedrale vorlagen, ist allerdings nichts
mehr erhalten. Es müssen treffliche Arbeiten gewesen sein, der-
gleichen außerhalb Italiens nicht oft vorkamen, ich möchte glauben:
aus dem ersten Jahrhundert der Kaiserzeit. Maria erinnert in der
Haltung des Körpers, der Bewegung der Arme, der Anordnung
des Gewandes an die Livia des Museo Borbonico; in der Haar-
tracht und der Art, wie die Palla über den Kopf gezogen ist, an
die Herkulanerin in Dresden; ein klassischer Archäolog würde
vielleicht anderweitig noch eine genauere Ähnlichkeit nachweisen
können. Elisabeth ist ganz als Matrone charakterisiert, die Palla
um Brust und Hals dicht zusammengezogen, über die Stirn eine
Binde gelegt. Das für beide Statuen bezeichnende scharfkantige
kleine Gefältel war offenbar schon dem Vorbilde eigen; es wieder-
holt sich an einer dritten männlichen Figur mit einem Odysseus-
kopf. So treu der Kopist des 13. Jahrhunderts bemüht gewesen
ist, nur seine Urbilder wiederzugeben, es hat sich ihnen doch un-
vermerkt etwas vom Stilgefühl seiner Zeit, vornehmlich in der
Haltung und dem Gesichtsausdruck Mariens, beigemischt, und es
ist damit ein hold befangener Zug in sein Werk gekommen, der dem
korrekteren und kühleren Originale sicherlich fremd war. Ziem-
lich ungeschickt sogar ist die Ergänzung der Unterarme ausge-
fallen; an der Stellung von Mariens Gebetbuch erkennt man
deutlich, daß die Hand ursprünglich nicht bestimmt war, etwas
anderes als bloß den Gewandzipfel zu halten. — Noch ist ein Wort
über die Reihenfolge der Figuren zu sagen. Sie befinden sich am
rechten Portalgewände. Zunächst der Tür steht der Engel (Arbeit
des späten 13. wenn nicht schon 14. Jahrhunderts), dann eine
Maria (13. Jahrhundert, noch recht unfrei), beide zusammen die

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[95/0109] Zu den Skulpturen des Bamberger Domes öffnete zugleich das Verständnis für die Antike; wäre nur die Gelegenheit zu ihrem Studium eine häufigere gewesen, so hätte, das lehren unsere Reimser Arbeiten, der Norden wahr- scheinlich ein ebenbürtiges, vielleicht ein überlegenes Seitenstück zur Kunst des Niccolo Pisano hervorgebracht. Reims (Duro- cortorum Remorum) war im römischen Gallien eine ansehnliche Stadt gewesen; der Triumphbogen, Porte de Mars genannt, gibt noch heute Zeugnis davon; von den plastischen Römerwerken, die den Steinmetzen der Kathedrale vorlagen, ist allerdings nichts mehr erhalten. Es müssen treffliche Arbeiten gewesen sein, der- gleichen außerhalb Italiens nicht oft vorkamen, ich möchte glauben: aus dem ersten Jahrhundert der Kaiserzeit. Maria erinnert in der Haltung des Körpers, der Bewegung der Arme, der Anordnung des Gewandes an die Livia des Museo Borbonico; in der Haar- tracht und der Art, wie die Palla über den Kopf gezogen ist, an die Herkulanerin in Dresden; ein klassischer Archäolog würde vielleicht anderweitig noch eine genauere Ähnlichkeit nachweisen können. Elisabeth ist ganz als Matrone charakterisiert, die Palla um Brust und Hals dicht zusammengezogen, über die Stirn eine Binde gelegt. Das für beide Statuen bezeichnende scharfkantige kleine Gefältel war offenbar schon dem Vorbilde eigen; es wieder- holt sich an einer dritten männlichen Figur mit einem Odysseus- kopf. So treu der Kopist des 13. Jahrhunderts bemüht gewesen ist, nur seine Urbilder wiederzugeben, es hat sich ihnen doch un- vermerkt etwas vom Stilgefühl seiner Zeit, vornehmlich in der Haltung und dem Gesichtsausdruck Mariens, beigemischt, und es ist damit ein hold befangener Zug in sein Werk gekommen, der dem korrekteren und kühleren Originale sicherlich fremd war. Ziem- lich ungeschickt sogar ist die Ergänzung der Unterarme ausge- fallen; an der Stellung von Mariens Gebetbuch erkennt man deutlich, daß die Hand ursprünglich nicht bestimmt war, etwas anderes als bloß den Gewandzipfel zu halten. — Noch ist ein Wort über die Reihenfolge der Figuren zu sagen. Sie befinden sich am rechten Portalgewände. Zunächst der Tür steht der Engel (Arbeit des späten 13. wenn nicht schon 14. Jahrhunderts), dann eine Maria (13. Jahrhundert, noch recht unfrei), beide zusammen die

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/109>, abgerufen am 24.11.2024.