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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Zu den Skulpturen des Bamberger Domes
Szene der Verkündigung andeutend; darauf unsere Elisabeth
und Maria, also die Heimsuchung. Dieselbe Reihenfolge ist in
Bamberg beibehalten, nur in Umkehrung von rechts und links.
Es ist mir übrigens zweifelhaft, ob die Statuen für ihren
jetzigen Ort gearbeitet waren. Man könnte auch an ein Portal
denken.

Ob der Bamberger Meister nur die Statuen der Kathedrale
oder auch deren römische Vorbilder gekannt habe, bleibt dahin-
gestellt. Am tiefsten hatte sich seinem Gedächtnis die Gestalt
Mariens eingeprägt. Auffallend ist die Umwechselung der rechten
und der linken Körperhälfte. Ferner ist das Spielbein loser, die
Ausladung der entgegengesetzten Hüfte stärker, der Oberkörper
mehr zurückgebogen, im ganzen die Einsicht in die Struktur
des Körpers weniger klar. Im Gewande zeigen sich Anordnung
und Faltenzug im ganzen als dieselben, die Detailbehandlung weist
aber auf Modellstudium an einem etwas anders gearteten Stoff.
Der Kopftypus ist wiederum derselbe, nur im Ausdruck ein wenig
herber und individueller. -- Stärker sind die Abweichungen bei
Elisabeth. Auch hier ist die Haltung der Arme zwischen rechts
und links gewechselt, während die der Beine die gleiche geblieben
ist. Infolgedessen wird der erhobene linke Unterarm vom Ge-
wande verhüllt, das übrigens mit dem Originale einstimmend
angeordnet ist. Die Hände entziehen sich leider der Vergleichung,
da sie in Reims stark beschädigt sind. Im Kopf ist der mild matro-
nale Ausdruck der Reimserin hier ins Erhabene, fast Kühne, ge-
wendet.

Worauf der Bamberger Meister sich stützte, war doch wohl
wesentlich die Kraft seines Gedächtnisses. Eine etwa in Reims
angefertigte Zeichnung könnte bei dem unvollkommenen Stande
dieser Kunst ihm nur wenig geholfen haben; eher wäre an ein kleines
Modell in Wachs, Ton oder Stuck zu denken. Jedenfalls muß
er die Urbilder so oft und anhaltend betrachtet haben, daß sie
seine innere Anschauung ganz erfüllten, ihm immer wie gegen-
wärtige vor Augen schwebten. Das heißt: er muß längere Zeit
in Reims gearbeitet haben. Vielleicht würde es bei genauer Nach-
forschung noch gelingen, seine Hand in Reims wiederzuerkennen.

Zu den Skulpturen des Bamberger Domes
Szene der Verkündigung andeutend; darauf unsere Elisabeth
und Maria, also die Heimsuchung. Dieselbe Reihenfolge ist in
Bamberg beibehalten, nur in Umkehrung von rechts und links.
Es ist mir übrigens zweifelhaft, ob die Statuen für ihren
jetzigen Ort gearbeitet waren. Man könnte auch an ein Portal
denken.

Ob der Bamberger Meister nur die Statuen der Kathedrale
oder auch deren römische Vorbilder gekannt habe, bleibt dahin-
gestellt. Am tiefsten hatte sich seinem Gedächtnis die Gestalt
Mariens eingeprägt. Auffallend ist die Umwechselung der rechten
und der linken Körperhälfte. Ferner ist das Spielbein loser, die
Ausladung der entgegengesetzten Hüfte stärker, der Oberkörper
mehr zurückgebogen, im ganzen die Einsicht in die Struktur
des Körpers weniger klar. Im Gewande zeigen sich Anordnung
und Faltenzug im ganzen als dieselben, die Detailbehandlung weist
aber auf Modellstudium an einem etwas anders gearteten Stoff.
Der Kopftypus ist wiederum derselbe, nur im Ausdruck ein wenig
herber und individueller. — Stärker sind die Abweichungen bei
Elisabeth. Auch hier ist die Haltung der Arme zwischen rechts
und links gewechselt, während die der Beine die gleiche geblieben
ist. Infolgedessen wird der erhobene linke Unterarm vom Ge-
wande verhüllt, das übrigens mit dem Originale einstimmend
angeordnet ist. Die Hände entziehen sich leider der Vergleichung,
da sie in Reims stark beschädigt sind. Im Kopf ist der mild matro-
nale Ausdruck der Reimserin hier ins Erhabene, fast Kühne, ge-
wendet.

Worauf der Bamberger Meister sich stützte, war doch wohl
wesentlich die Kraft seines Gedächtnisses. Eine etwa in Reims
angefertigte Zeichnung könnte bei dem unvollkommenen Stande
dieser Kunst ihm nur wenig geholfen haben; eher wäre an ein kleines
Modell in Wachs, Ton oder Stuck zu denken. Jedenfalls muß
er die Urbilder so oft und anhaltend betrachtet haben, daß sie
seine innere Anschauung ganz erfüllten, ihm immer wie gegen-
wärtige vor Augen schwebten. Das heißt: er muß längere Zeit
in Reims gearbeitet haben. Vielleicht würde es bei genauer Nach-
forschung noch gelingen, seine Hand in Reims wiederzuerkennen.

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[96/0110] Zu den Skulpturen des Bamberger Domes Szene der Verkündigung andeutend; darauf unsere Elisabeth und Maria, also die Heimsuchung. Dieselbe Reihenfolge ist in Bamberg beibehalten, nur in Umkehrung von rechts und links. Es ist mir übrigens zweifelhaft, ob die Statuen für ihren jetzigen Ort gearbeitet waren. Man könnte auch an ein Portal denken. Ob der Bamberger Meister nur die Statuen der Kathedrale oder auch deren römische Vorbilder gekannt habe, bleibt dahin- gestellt. Am tiefsten hatte sich seinem Gedächtnis die Gestalt Mariens eingeprägt. Auffallend ist die Umwechselung der rechten und der linken Körperhälfte. Ferner ist das Spielbein loser, die Ausladung der entgegengesetzten Hüfte stärker, der Oberkörper mehr zurückgebogen, im ganzen die Einsicht in die Struktur des Körpers weniger klar. Im Gewande zeigen sich Anordnung und Faltenzug im ganzen als dieselben, die Detailbehandlung weist aber auf Modellstudium an einem etwas anders gearteten Stoff. Der Kopftypus ist wiederum derselbe, nur im Ausdruck ein wenig herber und individueller. — Stärker sind die Abweichungen bei Elisabeth. Auch hier ist die Haltung der Arme zwischen rechts und links gewechselt, während die der Beine die gleiche geblieben ist. Infolgedessen wird der erhobene linke Unterarm vom Ge- wande verhüllt, das übrigens mit dem Originale einstimmend angeordnet ist. Die Hände entziehen sich leider der Vergleichung, da sie in Reims stark beschädigt sind. Im Kopf ist der mild matro- nale Ausdruck der Reimserin hier ins Erhabene, fast Kühne, ge- wendet. Worauf der Bamberger Meister sich stützte, war doch wohl wesentlich die Kraft seines Gedächtnisses. Eine etwa in Reims angefertigte Zeichnung könnte bei dem unvollkommenen Stande dieser Kunst ihm nur wenig geholfen haben; eher wäre an ein kleines Modell in Wachs, Ton oder Stuck zu denken. Jedenfalls muß er die Urbilder so oft und anhaltend betrachtet haben, daß sie seine innere Anschauung ganz erfüllten, ihm immer wie gegen- wärtige vor Augen schwebten. Das heißt: er muß längere Zeit in Reims gearbeitet haben. Vielleicht würde es bei genauer Nach- forschung noch gelingen, seine Hand in Reims wiederzuerkennen.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/110>, abgerufen am 24.11.2024.