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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance
mit Vitruvstudien abgegeben hat; ja es ist sogar noch ein Notiz-
blatt von ihm erhalten, auf dem er eben die zwei in Rede stehenden
Vitruvischen Sätze durch Figuren exemplifiziert hat1). Dieselben
sind, in Holzschnitt, in die Vitruvausgaben des Fra Giocondo
(Venedig 1511 Fol., Florenz 1513 80) und des Cesariano (Como
1521) übergegangen; wobei nicht unbemerkt bleiben soll, daß in
der erstgenannten Ausgabe auch die Initialen genau nach Lio-
nardoscher Vorschrift gebildet sind; vgl. z. B. gleich auf der ersten
Seite die charakteristische Gestalt des A. Vielleicht war es auch
Fra Giocondo, durch den Feliciano, gleich jenem ein Veroneser,
von der Sache Kenntnis erhalten hat.

Jedenfalls sehen wir, daß im ersten Jahrzehnt des 16. Jahr-
hunderts, nach Auflösung der Mailänder "Akademie", abgerissene
Bruchstücke Lionardoscher Lehren in Oberitalien hier und da ver-
breitet waren. Auf welchem Wege aber ist das von Schedel ko-
pierte Stück nach Nürnberg gekommen? Ich glaube am ehesten:
Dürer selbst hat es aus Italien mitgebracht. Und so werden wir
wieder einmal auf die Frage hingedrängt: mit welchen von den ehe-
maligen Angehörigen des Lionardoschen Kreises ist Dürer dort
in Berührung gekommen? wieviel hat er durch Vermittlung dieser
von der Wissenschaft des großen Kunst- und Gesinnungsgenossen
erkundet und in sich aufgenommen? Eine Anzahl sehr bestimmt
auf solche Beziehungen hinweisender Indizien hat sein jüngster
Biograph zusammengestellt; aber wenn Thausing hier den Namen
des Luca Pacioli nannte, so sehen wir jetzt, daß diese Hypothese
zwar nicht geradezu unmöglich gemacht, aber doch ihres einzigen
positiven Stützpunktes beraubt ist. --

Es ist kein erfreuliches Ding, eine Untersuchung mit einer ganzen
Reihe von Fragezeichen zu beschließen. Allein ich sehe mich für
jetzt und wohl für längere Zeit außerstande, die Sache weiter zu
verfolgen. Darum habe ich die Resultate, die sich mir aus dem
Schedelschen Codex ergaben, so unvollständig sie sind, den Arbeits-
genossen doch mitteilen wollen, in der Hoffnung, daß der eine oder
der andere von ihnen im Zusammenhange reicheren Materials
sie wird verwerten können.

1) Braun, Venedig Nr. 45; vgl. C. Brun i. d. Zeitschr. f. bild. Kunst. XV, S. 23.

Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance
mit Vitruvstudien abgegeben hat; ja es ist sogar noch ein Notiz-
blatt von ihm erhalten, auf dem er eben die zwei in Rede stehenden
Vitruvischen Sätze durch Figuren exemplifiziert hat1). Dieselben
sind, in Holzschnitt, in die Vitruvausgaben des Fra Giocondo
(Venedig 1511 Fol., Florenz 1513 80) und des Cesariano (Como
1521) übergegangen; wobei nicht unbemerkt bleiben soll, daß in
der erstgenannten Ausgabe auch die Initialen genau nach Lio-
nardoscher Vorschrift gebildet sind; vgl. z. B. gleich auf der ersten
Seite die charakteristische Gestalt des A. Vielleicht war es auch
Fra Giocondo, durch den Feliciano, gleich jenem ein Veroneser,
von der Sache Kenntnis erhalten hat.

Jedenfalls sehen wir, daß im ersten Jahrzehnt des 16. Jahr-
hunderts, nach Auflösung der Mailänder »Akademie«, abgerissene
Bruchstücke Lionardoscher Lehren in Oberitalien hier und da ver-
breitet waren. Auf welchem Wege aber ist das von Schedel ko-
pierte Stück nach Nürnberg gekommen? Ich glaube am ehesten:
Dürer selbst hat es aus Italien mitgebracht. Und so werden wir
wieder einmal auf die Frage hingedrängt: mit welchen von den ehe-
maligen Angehörigen des Lionardoschen Kreises ist Dürer dort
in Berührung gekommen? wieviel hat er durch Vermittlung dieser
von der Wissenschaft des großen Kunst- und Gesinnungsgenossen
erkundet und in sich aufgenommen? Eine Anzahl sehr bestimmt
auf solche Beziehungen hinweisender Indizien hat sein jüngster
Biograph zusammengestellt; aber wenn Thausing hier den Namen
des Luca Pacioli nannte, so sehen wir jetzt, daß diese Hypothese
zwar nicht geradezu unmöglich gemacht, aber doch ihres einzigen
positiven Stützpunktes beraubt ist. —

Es ist kein erfreuliches Ding, eine Untersuchung mit einer ganzen
Reihe von Fragezeichen zu beschließen. Allein ich sehe mich für
jetzt und wohl für längere Zeit außerstande, die Sache weiter zu
verfolgen. Darum habe ich die Resultate, die sich mir aus dem
Schedelschen Codex ergaben, so unvollständig sie sind, den Arbeits-
genossen doch mitteilen wollen, in der Hoffnung, daß der eine oder
der andere von ihnen im Zusammenhange reicheren Materials
sie wird verwerten können.

1) Braun, Venedig Nr. 45; vgl. C. Brun i. d. Zeitschr. f. bild. Kunst. XV, S. 23.
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[210/0262] Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance mit Vitruvstudien abgegeben hat; ja es ist sogar noch ein Notiz- blatt von ihm erhalten, auf dem er eben die zwei in Rede stehenden Vitruvischen Sätze durch Figuren exemplifiziert hat 1). Dieselben sind, in Holzschnitt, in die Vitruvausgaben des Fra Giocondo (Venedig 1511 Fol., Florenz 1513 80) und des Cesariano (Como 1521) übergegangen; wobei nicht unbemerkt bleiben soll, daß in der erstgenannten Ausgabe auch die Initialen genau nach Lio- nardoscher Vorschrift gebildet sind; vgl. z. B. gleich auf der ersten Seite die charakteristische Gestalt des A. Vielleicht war es auch Fra Giocondo, durch den Feliciano, gleich jenem ein Veroneser, von der Sache Kenntnis erhalten hat. Jedenfalls sehen wir, daß im ersten Jahrzehnt des 16. Jahr- hunderts, nach Auflösung der Mailänder »Akademie«, abgerissene Bruchstücke Lionardoscher Lehren in Oberitalien hier und da ver- breitet waren. Auf welchem Wege aber ist das von Schedel ko- pierte Stück nach Nürnberg gekommen? Ich glaube am ehesten: Dürer selbst hat es aus Italien mitgebracht. Und so werden wir wieder einmal auf die Frage hingedrängt: mit welchen von den ehe- maligen Angehörigen des Lionardoschen Kreises ist Dürer dort in Berührung gekommen? wieviel hat er durch Vermittlung dieser von der Wissenschaft des großen Kunst- und Gesinnungsgenossen erkundet und in sich aufgenommen? Eine Anzahl sehr bestimmt auf solche Beziehungen hinweisender Indizien hat sein jüngster Biograph zusammengestellt; aber wenn Thausing hier den Namen des Luca Pacioli nannte, so sehen wir jetzt, daß diese Hypothese zwar nicht geradezu unmöglich gemacht, aber doch ihres einzigen positiven Stützpunktes beraubt ist. — Es ist kein erfreuliches Ding, eine Untersuchung mit einer ganzen Reihe von Fragezeichen zu beschließen. Allein ich sehe mich für jetzt und wohl für längere Zeit außerstande, die Sache weiter zu verfolgen. Darum habe ich die Resultate, die sich mir aus dem Schedelschen Codex ergaben, so unvollständig sie sind, den Arbeits- genossen doch mitteilen wollen, in der Hoffnung, daß der eine oder der andere von ihnen im Zusammenhange reicheren Materials sie wird verwerten können. 1) Braun, Venedig Nr. 45; vgl. C. Brun i. d. Zeitschr. f. bild. Kunst. XV, S. 23.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/262>, abgerufen am 24.11.2024.