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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
fliehen. Indes nicht einer jeden Seele Schicksal ist sogleich ent-
schieden; um etliche entspinnt ein Kampf sich zwischen den
Boten des Himmels und denen der Hölle, ein Hin- und Herzerren
der Beute, ein Gefecht, das hüben mit Feuerhaken, drüben mit
Kreuzstäben geführt wird, bis endlich die Teilung vollzogen ist
und nach rechts hin die Engel entschweben, die Geretteten mit
zärtlicher Sorgfalt in den Armen tragend, während nach links
die Teufelsfratzen in wilder Schadenfreude mit den Verdammten
davonjagen, um sie in die offenen Krater feuerspeiender Berge,
die Pforten der Hölle nach italienischem Volksglauben, hinab-
zustürzen.

Die Analogie dieser Darstellung mit den in Goethes Gedicht
auf Fausts Tod folgenden Geschehnissen ist, zunächst im ganzen
betrachtet, augenfällig; ein Kausalverhältnis, wie das von mir
behauptete, brauchte darum noch nicht zu bestehen. Allein man
bemerkt alsbald, wie die Übereinstimmung sich auch auf Details
von so individueller Art erstreckt, daß jeder Gedanke an eine
bloß zufällige oder mittelbare Beziehung ausgeschlossen wird.
Man braucht nur den Teufelsgesellen mit dem Katzenkopf, zu-
nächst unter der Morte, ins Auge zu fassen, wie er die mit den
Fußspitzen noch im Munde des Leichnams steckende, mit den
Armen ängstlich sich wehrende Seele erschnappt, -- und dann
den Monolog des Mephistopheles zu lesen:
(554--557) Der Körper liegt und will der Geist entfliehn
Ich zeig' ihm rasch den blutgeschriebnen Titel; --
Doch leider hat man jetzt so viele Mittel,
Dem Teufel Seelen zu entziehn ....
(565--569) Sonst mit dem letzten Atem fuhr sie aus,
Ich paßt' ihr auf und, wie die schnellste Maus,
Schnapps, hielt ich sie in fest verschloßnen Klauen.
Nun zaudert sie und will den düstern Ort,
Des schlechten Leichnams ekles Haus nicht lassen.

Dann:
(582, 583) Zwar hat die Hölle Rachen viele, viele,
Nach Standsgebühr und Würden schlingt sie ein --

Verse, die Goethe ohne Frage nie in den Sinn gekommen wären
ohne den Anblick der unten, echt mittelalterlich nach Ständen,

Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
fliehen. Indes nicht einer jeden Seele Schicksal ist sogleich ent-
schieden; um etliche entspinnt ein Kampf sich zwischen den
Boten des Himmels und denen der Hölle, ein Hin- und Herzerren
der Beute, ein Gefecht, das hüben mit Feuerhaken, drüben mit
Kreuzstäben geführt wird, bis endlich die Teilung vollzogen ist
und nach rechts hin die Engel entschweben, die Geretteten mit
zärtlicher Sorgfalt in den Armen tragend, während nach links
die Teufelsfratzen in wilder Schadenfreude mit den Verdammten
davonjagen, um sie in die offenen Krater feuerspeiender Berge,
die Pforten der Hölle nach italienischem Volksglauben, hinab-
zustürzen.

Die Analogie dieser Darstellung mit den in Goethes Gedicht
auf Fausts Tod folgenden Geschehnissen ist, zunächst im ganzen
betrachtet, augenfällig; ein Kausalverhältnis, wie das von mir
behauptete, brauchte darum noch nicht zu bestehen. Allein man
bemerkt alsbald, wie die Übereinstimmung sich auch auf Details
von so individueller Art erstreckt, daß jeder Gedanke an eine
bloß zufällige oder mittelbare Beziehung ausgeschlossen wird.
Man braucht nur den Teufelsgesellen mit dem Katzenkopf, zu-
nächst unter der Morte, ins Auge zu fassen, wie er die mit den
Fußspitzen noch im Munde des Leichnams steckende, mit den
Armen ängstlich sich wehrende Seele erschnappt, — und dann
den Monolog des Mephistopheles zu lesen:
(554—557) Der Körper liegt und will der Geist entfliehn
Ich zeig' ihm rasch den blutgeschriebnen Titel; —
Doch leider hat man jetzt so viele Mittel,
Dem Teufel Seelen zu entziehn ....
(565—569) Sonst mit dem letzten Atem fuhr sie aus,
Ich paßt' ihr auf und, wie die schnellste Maus,
Schnapps, hielt ich sie in fest verschloßnen Klauen.
Nun zaudert sie und will den düstern Ort,
Des schlechten Leichnams ekles Haus nicht lassen.

Dann:
(582, 583) Zwar hat die Hölle Rachen viele, viele,
Nach Standsgebühr und Würden schlingt sie ein —

Verse, die Goethe ohne Frage nie in den Sinn gekommen wären
ohne den Anblick der unten, echt mittelalterlich nach Ständen,

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[226/0282] Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust fliehen. Indes nicht einer jeden Seele Schicksal ist sogleich ent- schieden; um etliche entspinnt ein Kampf sich zwischen den Boten des Himmels und denen der Hölle, ein Hin- und Herzerren der Beute, ein Gefecht, das hüben mit Feuerhaken, drüben mit Kreuzstäben geführt wird, bis endlich die Teilung vollzogen ist und nach rechts hin die Engel entschweben, die Geretteten mit zärtlicher Sorgfalt in den Armen tragend, während nach links die Teufelsfratzen in wilder Schadenfreude mit den Verdammten davonjagen, um sie in die offenen Krater feuerspeiender Berge, die Pforten der Hölle nach italienischem Volksglauben, hinab- zustürzen. Die Analogie dieser Darstellung mit den in Goethes Gedicht auf Fausts Tod folgenden Geschehnissen ist, zunächst im ganzen betrachtet, augenfällig; ein Kausalverhältnis, wie das von mir behauptete, brauchte darum noch nicht zu bestehen. Allein man bemerkt alsbald, wie die Übereinstimmung sich auch auf Details von so individueller Art erstreckt, daß jeder Gedanke an eine bloß zufällige oder mittelbare Beziehung ausgeschlossen wird. Man braucht nur den Teufelsgesellen mit dem Katzenkopf, zu- nächst unter der Morte, ins Auge zu fassen, wie er die mit den Fußspitzen noch im Munde des Leichnams steckende, mit den Armen ängstlich sich wehrende Seele erschnappt, — und dann den Monolog des Mephistopheles zu lesen: (554—557) Der Körper liegt und will der Geist entfliehn Ich zeig' ihm rasch den blutgeschriebnen Titel; — Doch leider hat man jetzt so viele Mittel, Dem Teufel Seelen zu entziehn .... (565—569) Sonst mit dem letzten Atem fuhr sie aus, Ich paßt' ihr auf und, wie die schnellste Maus, Schnapps, hielt ich sie in fest verschloßnen Klauen. Nun zaudert sie und will den düstern Ort, Des schlechten Leichnams ekles Haus nicht lassen. Dann: (582, 583) Zwar hat die Hölle Rachen viele, viele, Nach Standsgebühr und Würden schlingt sie ein — Verse, die Goethe ohne Frage nie in den Sinn gekommen wären ohne den Anblick der unten, echt mittelalterlich nach Ständen,

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/282>, abgerufen am 24.11.2024.