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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
Todes", sondern das alleinige Thema; auch nicht idyllisches Zu-
standsbild, wie dort, sondern Erzählung. Nach einem noch sehr
primitiven Kunstprinzip werden die legendarischen Einzelereig-
nisse formell zusammenhanglos neben- und übereinander gestellt,
so daß allein die angenommene Einheit des Schauplatzes dem
Bilde eine gewisse Einheit der Wirkung sichert. Lehrreich ist zu
sehen, wie gerade die landschaftliche Szenerie mit ihrem ganz
naiv-idealen Raumgefühl und ihrem bloß andeutenden Vortrag in
der Phantasie des Dichters eine Wirkung hervorrief, die ein
modern-realistisches Landschaftsbild niemals hätte erreichen können.
Das Wichtigste ist die Stimmung im ganzen; doch finden auch
mehrere Einzelheiten beim Dichter ihren Platz: das von den Wellen
des Nils bespülte Ufer, der Wald, vor allem der Terrassenaufbau
des Felsgebirges. In der Behandlung des letztern hat der Maler
von perspektivischer Raumvertiefung, wie wir sie fordern, völlig
abgesehen; er gibt als Übereinander, was in Wirklichkeit nur
Hintereinander sein kann; aber Goethe geht auf die scheinbare
Stufenüberhöhung ein, um sie nach seinem Sinne zu tiefsinniger
Symbolik zu wenden. Gerade wie auf dem Bilde und doch in ganz
anderer Bedeutung zeigt er
Wie Felsenabgrund mir zu Füßen
Auf tiefem Abgrund lastend ruht;

führt er uns an "die letzte, reinlichste Zelle"; nimmt er die Löwen
auf, die im Gemälde in nicht weniger wie drei Paaren vertreten
sind, als freundliche Gehilfen der Einsiedler; ja endlich selbst
die dritte der großen Sünderinnen, Maria Aegyptiaca, zu äußerst
links abgebildet, wie sie vom Mönche Zosimos die letzte Eucharistie
empfängt, also gerade in dem von Goethe festgehaltenen Momente:
(999--1002) Bei der vierzigjährigen Buße,
Der ich treu in Wüsten blieb;
Bei dem seligen Scheidegruße,
Den im Sand ich niederschrieb --

Die Wanderung und Wandelung künstlerischer Motive wird
zuweilen Rückbildung auf frühere Zustände. Vielleicht ist auch
hier eine solche im Spiel. Man weiß, daß die von der Kirche be-
förderten dramatischen Aufführungen auf die bildende Kunst des

Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
Todes«, sondern das alleinige Thema; auch nicht idyllisches Zu-
standsbild, wie dort, sondern Erzählung. Nach einem noch sehr
primitiven Kunstprinzip werden die legendarischen Einzelereig-
nisse formell zusammenhanglos neben- und übereinander gestellt,
so daß allein die angenommene Einheit des Schauplatzes dem
Bilde eine gewisse Einheit der Wirkung sichert. Lehrreich ist zu
sehen, wie gerade die landschaftliche Szenerie mit ihrem ganz
naiv-idealen Raumgefühl und ihrem bloß andeutenden Vortrag in
der Phantasie des Dichters eine Wirkung hervorrief, die ein
modern-realistisches Landschaftsbild niemals hätte erreichen können.
Das Wichtigste ist die Stimmung im ganzen; doch finden auch
mehrere Einzelheiten beim Dichter ihren Platz: das von den Wellen
des Nils bespülte Ufer, der Wald, vor allem der Terrassenaufbau
des Felsgebirges. In der Behandlung des letztern hat der Maler
von perspektivischer Raumvertiefung, wie wir sie fordern, völlig
abgesehen; er gibt als Übereinander, was in Wirklichkeit nur
Hintereinander sein kann; aber Goethe geht auf die scheinbare
Stufenüberhöhung ein, um sie nach seinem Sinne zu tiefsinniger
Symbolik zu wenden. Gerade wie auf dem Bilde und doch in ganz
anderer Bedeutung zeigt er
Wie Felsenabgrund mir zu Füßen
Auf tiefem Abgrund lastend ruht;

führt er uns an »die letzte, reinlichste Zelle«; nimmt er die Löwen
auf, die im Gemälde in nicht weniger wie drei Paaren vertreten
sind, als freundliche Gehilfen der Einsiedler; ja endlich selbst
die dritte der großen Sünderinnen, Maria Aegyptiaca, zu äußerst
links abgebildet, wie sie vom Mönche Zosimos die letzte Eucharistie
empfängt, also gerade in dem von Goethe festgehaltenen Momente:
(999—1002) Bei der vierzigjährigen Buße,
Der ich treu in Wüsten blieb;
Bei dem seligen Scheidegruße,
Den im Sand ich niederschrieb —

Die Wanderung und Wandelung künstlerischer Motive wird
zuweilen Rückbildung auf frühere Zustände. Vielleicht ist auch
hier eine solche im Spiel. Man weiß, daß die von der Kirche be-
förderten dramatischen Aufführungen auf die bildende Kunst des

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[231/0287] Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust Todes«, sondern das alleinige Thema; auch nicht idyllisches Zu- standsbild, wie dort, sondern Erzählung. Nach einem noch sehr primitiven Kunstprinzip werden die legendarischen Einzelereig- nisse formell zusammenhanglos neben- und übereinander gestellt, so daß allein die angenommene Einheit des Schauplatzes dem Bilde eine gewisse Einheit der Wirkung sichert. Lehrreich ist zu sehen, wie gerade die landschaftliche Szenerie mit ihrem ganz naiv-idealen Raumgefühl und ihrem bloß andeutenden Vortrag in der Phantasie des Dichters eine Wirkung hervorrief, die ein modern-realistisches Landschaftsbild niemals hätte erreichen können. Das Wichtigste ist die Stimmung im ganzen; doch finden auch mehrere Einzelheiten beim Dichter ihren Platz: das von den Wellen des Nils bespülte Ufer, der Wald, vor allem der Terrassenaufbau des Felsgebirges. In der Behandlung des letztern hat der Maler von perspektivischer Raumvertiefung, wie wir sie fordern, völlig abgesehen; er gibt als Übereinander, was in Wirklichkeit nur Hintereinander sein kann; aber Goethe geht auf die scheinbare Stufenüberhöhung ein, um sie nach seinem Sinne zu tiefsinniger Symbolik zu wenden. Gerade wie auf dem Bilde und doch in ganz anderer Bedeutung zeigt er Wie Felsenabgrund mir zu Füßen Auf tiefem Abgrund lastend ruht; führt er uns an »die letzte, reinlichste Zelle«; nimmt er die Löwen auf, die im Gemälde in nicht weniger wie drei Paaren vertreten sind, als freundliche Gehilfen der Einsiedler; ja endlich selbst die dritte der großen Sünderinnen, Maria Aegyptiaca, zu äußerst links abgebildet, wie sie vom Mönche Zosimos die letzte Eucharistie empfängt, also gerade in dem von Goethe festgehaltenen Momente: (999—1002) Bei der vierzigjährigen Buße, Der ich treu in Wüsten blieb; Bei dem seligen Scheidegruße, Den im Sand ich niederschrieb — Die Wanderung und Wandelung künstlerischer Motive wird zuweilen Rückbildung auf frühere Zustände. Vielleicht ist auch hier eine solche im Spiel. Man weiß, daß die von der Kirche be- förderten dramatischen Aufführungen auf die bildende Kunst des

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/287>, abgerufen am 24.11.2024.