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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
Mittelalters einen nicht unerheblichen Einfluß geübt haben. Die
Vermutung liegt nahe und läßt sich durch mancherlei Neben-
umstände noch wahrscheinlicher machen, daß auch im "Triumph
des Todes" Mysterienspiele nachklingen. Dann wären es also
echte alte Dramenmotive, die sich im Malerwerke verpuppten,
um nach einem halben Jahrtausend in Drama wieder aufzuleben: --
ein neuer Blick in den unendlichen Weltzusammenhang der Faust-
dichtung.



Es versteht sich, daß mit der oben gegebenen Aufzählung
von Einzelbeziehungen zwischen dem größten Malerwerke des
14. und dem größten Dichterwerke des 19. Jahrhunderts das
Verhältnis der beiden noch nicht erschöpfend definiert sein kann.
Es muß noch ein tieferer und allgemeinerer Einfluß vorhanden
sein. Denselben auf feste Größen zu berechnen, wird natürlich
niemals gelingen. Aber auch nur, um eine ungefähre Schätzung oder
Ahnung zu erreichen, müßten mehrere, fürs erste noch dunkle
Vorfragen gelöst sein. Vorab die chronologische Frage.

Auf welchem Punkte im langgestreckten Werdegang der
Faustdichtung sind die Camposantobilder wirkend eingetreten?
Wieviel vom Plane der Schlußszenen stand schon vor der Be-
kanntschaft mit ihnen fest? Wieviel ist erst durch sie angeregt
worden? Goethe selbst hat freilich alles getan, diese Erkenntnis
uns zu erschweren. Man weiß ja, wie behutsam, fast ängstlich, er
die innere Werkstatt seiner werdenden Dichtungen vor fremden
Augen zu verwahren gewohnt war. Gleichwohl fehlt es nicht ganz
an zerstreuten Andeutungen, welche das Resultat unserer Unter-
suchung bekräftigen, auf der andern Seite freilich auch wieder
neue Rätsel aufgeben. Ob das eröffnete Archiv in Weimar auch
hierüber Aufklärung bringen wird? Jedenfalls wäre es müßig,
bevor nicht dieser Weg versucht ist, mit einer bestimmten Mei-
nungsäußerung hervorzutreten. Ich beschränke mich deshalb
auf die folgenden kurzen Hinweisungen.

Am 6. Juni 1831, unmittelbar nach der Vollendung des
Ganzen, sagte Goethe zu Eckermann: "Übrigens werden Sie zu-

Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
Mittelalters einen nicht unerheblichen Einfluß geübt haben. Die
Vermutung liegt nahe und läßt sich durch mancherlei Neben-
umstände noch wahrscheinlicher machen, daß auch im »Triumph
des Todes« Mysterienspiele nachklingen. Dann wären es also
echte alte Dramenmotive, die sich im Malerwerke verpuppten,
um nach einem halben Jahrtausend in Drama wieder aufzuleben: —
ein neuer Blick in den unendlichen Weltzusammenhang der Faust-
dichtung.



Es versteht sich, daß mit der oben gegebenen Aufzählung
von Einzelbeziehungen zwischen dem größten Malerwerke des
14. und dem größten Dichterwerke des 19. Jahrhunderts das
Verhältnis der beiden noch nicht erschöpfend definiert sein kann.
Es muß noch ein tieferer und allgemeinerer Einfluß vorhanden
sein. Denselben auf feste Größen zu berechnen, wird natürlich
niemals gelingen. Aber auch nur, um eine ungefähre Schätzung oder
Ahnung zu erreichen, müßten mehrere, fürs erste noch dunkle
Vorfragen gelöst sein. Vorab die chronologische Frage.

Auf welchem Punkte im langgestreckten Werdegang der
Faustdichtung sind die Camposantobilder wirkend eingetreten?
Wieviel vom Plane der Schlußszenen stand schon vor der Be-
kanntschaft mit ihnen fest? Wieviel ist erst durch sie angeregt
worden? Goethe selbst hat freilich alles getan, diese Erkenntnis
uns zu erschweren. Man weiß ja, wie behutsam, fast ängstlich, er
die innere Werkstatt seiner werdenden Dichtungen vor fremden
Augen zu verwahren gewohnt war. Gleichwohl fehlt es nicht ganz
an zerstreuten Andeutungen, welche das Resultat unserer Unter-
suchung bekräftigen, auf der andern Seite freilich auch wieder
neue Rätsel aufgeben. Ob das eröffnete Archiv in Weimar auch
hierüber Aufklärung bringen wird? Jedenfalls wäre es müßig,
bevor nicht dieser Weg versucht ist, mit einer bestimmten Mei-
nungsäußerung hervorzutreten. Ich beschränke mich deshalb
auf die folgenden kurzen Hinweisungen.

Am 6. Juni 1831, unmittelbar nach der Vollendung des
Ganzen, sagte Goethe zu Eckermann: Ȇbrigens werden Sie zu-

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[232/0288] Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust Mittelalters einen nicht unerheblichen Einfluß geübt haben. Die Vermutung liegt nahe und läßt sich durch mancherlei Neben- umstände noch wahrscheinlicher machen, daß auch im »Triumph des Todes« Mysterienspiele nachklingen. Dann wären es also echte alte Dramenmotive, die sich im Malerwerke verpuppten, um nach einem halben Jahrtausend in Drama wieder aufzuleben: — ein neuer Blick in den unendlichen Weltzusammenhang der Faust- dichtung. Es versteht sich, daß mit der oben gegebenen Aufzählung von Einzelbeziehungen zwischen dem größten Malerwerke des 14. und dem größten Dichterwerke des 19. Jahrhunderts das Verhältnis der beiden noch nicht erschöpfend definiert sein kann. Es muß noch ein tieferer und allgemeinerer Einfluß vorhanden sein. Denselben auf feste Größen zu berechnen, wird natürlich niemals gelingen. Aber auch nur, um eine ungefähre Schätzung oder Ahnung zu erreichen, müßten mehrere, fürs erste noch dunkle Vorfragen gelöst sein. Vorab die chronologische Frage. Auf welchem Punkte im langgestreckten Werdegang der Faustdichtung sind die Camposantobilder wirkend eingetreten? Wieviel vom Plane der Schlußszenen stand schon vor der Be- kanntschaft mit ihnen fest? Wieviel ist erst durch sie angeregt worden? Goethe selbst hat freilich alles getan, diese Erkenntnis uns zu erschweren. Man weiß ja, wie behutsam, fast ängstlich, er die innere Werkstatt seiner werdenden Dichtungen vor fremden Augen zu verwahren gewohnt war. Gleichwohl fehlt es nicht ganz an zerstreuten Andeutungen, welche das Resultat unserer Unter- suchung bekräftigen, auf der andern Seite freilich auch wieder neue Rätsel aufgeben. Ob das eröffnete Archiv in Weimar auch hierüber Aufklärung bringen wird? Jedenfalls wäre es müßig, bevor nicht dieser Weg versucht ist, mit einer bestimmten Mei- nungsäußerung hervorzutreten. Ich beschränke mich deshalb auf die folgenden kurzen Hinweisungen. Am 6. Juni 1831, unmittelbar nach der Vollendung des Ganzen, sagte Goethe zu Eckermann: »Übrigens werden Sie zu-

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/288>, abgerufen am 24.11.2024.