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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Kunst des Mittelalters
Eigentümlichkeit, der in manchen Denkmälern eine rigorose Er-
habenheit erreicht, mit der sich in der Baukunst aller Zeiten und
Völker weniges vergleichen läßt. -- Wieder ein anderes, sehr
prägnantes Gebilde entstand im zentralen Berglande der Auvergne.
Das innere System ist das der Hallenkirche mit Hinzufügung von
Emporen über den Abseiten; es zeichnet sich konstruktiv durch
große Festigkeit aus und nähert sich auch im Raumbilde einiger-
maßen wieder der Basilika. Künstlerisch reifer ist die Außen-
ansicht; durch Verbindung des Kapellenchors mit einem hohen,
staffelförmig gegliederten, von einem achteckigen Turm gekrönten
Querschiff gewinnt sie eine plastische Massengliederung von un-
gewöhnlichem Reiz. Der Typus blieb auch nicht auf seine auverg-
netische Heimat beschränkt. Einige hochberühmte Wallfahrts-
kirchen -- S. Fides in Conques, S. Saturnin in Toulouse, S. Jago
in Compostella -- gaben ihm weitere Ausbreitung. Alle diese
Schulen waren denen Nordfrankreichs und überhaupt dem ganzen
übrigen Europa voraus im konstruktiven Denken wie in der glanz-
voll gestaltenreichen Formphantasie. Aber sie hatten sich von
der gemein europäischen Entwicklung abgesondert. Bald nach
Erreichung ihrer höchsten Blüte gegen die Mitte des 12. Jahr-
hunderts sterben sie ab, ohne einen triebkräftigen Samen zu
hinterlassen.

Unter den Schulen Nordfrankreichs sind Isle de France,
Champagne und Picardie, der Heimatboden des künftigen gotischen
Stils, in der romanischen Epoche verhältnismäßig die schwächsten.
Ihr Stil ist eklektisch, am meisten verwandt dem der westlichen
Rheinlande. Von 1100 ab werden Versuche im Gewölbebau an-
gestellt, doch nur in kleinerem Maßstabe; im ganzen herrscht die
Flachdecke bis 1150. Nur die beiden an den Flügeln stehenden
Schulen, die burgundische und die normannische, waren dem Süden
ebenbürtig in der Kunstkraft, überlegen im Einfluß nach außen.
-- Von Burgund gingen die beiden großen abendländischen Kloster-
reformen aus, die kluniazensische und die zisterziensische. Beide
propagierten wo nicht einen eigenen Stil, so doch ein bestimmt
formuliertes Bauprogramm; auch lehrten sie, darin zumal für
Deutschland wichtig, eine bessere Mauertechnik. Das Urbild

Die Kunst des Mittelalters
Eigentümlichkeit, der in manchen Denkmälern eine rigorose Er-
habenheit erreicht, mit der sich in der Baukunst aller Zeiten und
Völker weniges vergleichen läßt. — Wieder ein anderes, sehr
prägnantes Gebilde entstand im zentralen Berglande der Auvergne.
Das innere System ist das der Hallenkirche mit Hinzufügung von
Emporen über den Abseiten; es zeichnet sich konstruktiv durch
große Festigkeit aus und nähert sich auch im Raumbilde einiger-
maßen wieder der Basilika. Künstlerisch reifer ist die Außen-
ansicht; durch Verbindung des Kapellenchors mit einem hohen,
staffelförmig gegliederten, von einem achteckigen Turm gekrönten
Querschiff gewinnt sie eine plastische Massengliederung von un-
gewöhnlichem Reiz. Der Typus blieb auch nicht auf seine auverg-
netische Heimat beschränkt. Einige hochberühmte Wallfahrts-
kirchen — S. Fides in Conques, S. Saturnin in Toulouse, S. Jago
in Compostella — gaben ihm weitere Ausbreitung. Alle diese
Schulen waren denen Nordfrankreichs und überhaupt dem ganzen
übrigen Europa voraus im konstruktiven Denken wie in der glanz-
voll gestaltenreichen Formphantasie. Aber sie hatten sich von
der gemein europäischen Entwicklung abgesondert. Bald nach
Erreichung ihrer höchsten Blüte gegen die Mitte des 12. Jahr-
hunderts sterben sie ab, ohne einen triebkräftigen Samen zu
hinterlassen.

Unter den Schulen Nordfrankreichs sind Isle de France,
Champagne und Picardie, der Heimatboden des künftigen gotischen
Stils, in der romanischen Epoche verhältnismäßig die schwächsten.
Ihr Stil ist eklektisch, am meisten verwandt dem der westlichen
Rheinlande. Von 1100 ab werden Versuche im Gewölbebau an-
gestellt, doch nur in kleinerem Maßstabe; im ganzen herrscht die
Flachdecke bis 1150. Nur die beiden an den Flügeln stehenden
Schulen, die burgundische und die normannische, waren dem Süden
ebenbürtig in der Kunstkraft, überlegen im Einfluß nach außen.
— Von Burgund gingen die beiden großen abendländischen Kloster-
reformen aus, die kluniazensische und die zisterziensische. Beide
propagierten wo nicht einen eigenen Stil, so doch ein bestimmt
formuliertes Bauprogramm; auch lehrten sie, darin zumal für
Deutschland wichtig, eine bessere Mauertechnik. Das Urbild

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[16/0030] Die Kunst des Mittelalters Eigentümlichkeit, der in manchen Denkmälern eine rigorose Er- habenheit erreicht, mit der sich in der Baukunst aller Zeiten und Völker weniges vergleichen läßt. — Wieder ein anderes, sehr prägnantes Gebilde entstand im zentralen Berglande der Auvergne. Das innere System ist das der Hallenkirche mit Hinzufügung von Emporen über den Abseiten; es zeichnet sich konstruktiv durch große Festigkeit aus und nähert sich auch im Raumbilde einiger- maßen wieder der Basilika. Künstlerisch reifer ist die Außen- ansicht; durch Verbindung des Kapellenchors mit einem hohen, staffelförmig gegliederten, von einem achteckigen Turm gekrönten Querschiff gewinnt sie eine plastische Massengliederung von un- gewöhnlichem Reiz. Der Typus blieb auch nicht auf seine auverg- netische Heimat beschränkt. Einige hochberühmte Wallfahrts- kirchen — S. Fides in Conques, S. Saturnin in Toulouse, S. Jago in Compostella — gaben ihm weitere Ausbreitung. Alle diese Schulen waren denen Nordfrankreichs und überhaupt dem ganzen übrigen Europa voraus im konstruktiven Denken wie in der glanz- voll gestaltenreichen Formphantasie. Aber sie hatten sich von der gemein europäischen Entwicklung abgesondert. Bald nach Erreichung ihrer höchsten Blüte gegen die Mitte des 12. Jahr- hunderts sterben sie ab, ohne einen triebkräftigen Samen zu hinterlassen. Unter den Schulen Nordfrankreichs sind Isle de France, Champagne und Picardie, der Heimatboden des künftigen gotischen Stils, in der romanischen Epoche verhältnismäßig die schwächsten. Ihr Stil ist eklektisch, am meisten verwandt dem der westlichen Rheinlande. Von 1100 ab werden Versuche im Gewölbebau an- gestellt, doch nur in kleinerem Maßstabe; im ganzen herrscht die Flachdecke bis 1150. Nur die beiden an den Flügeln stehenden Schulen, die burgundische und die normannische, waren dem Süden ebenbürtig in der Kunstkraft, überlegen im Einfluß nach außen. — Von Burgund gingen die beiden großen abendländischen Kloster- reformen aus, die kluniazensische und die zisterziensische. Beide propagierten wo nicht einen eigenen Stil, so doch ein bestimmt formuliertes Bauprogramm; auch lehrten sie, darin zumal für Deutschland wichtig, eine bessere Mauertechnik. Das Urbild

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/30>, abgerufen am 21.11.2024.