Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Die Kunst des Mittelalters der Kluniazenserkirchen wurde gegeben durch den Bau des AbtesMajolus vom Jahre 981. Hundert Jahre später wurde er abge- brochen unter Abt Hugo dem Großen und ein ganz kolossaler, überaus prächtiger Neubau errichtet, das größte Kirchengebäude, das in der romanischen Epoche überhaupt entstanden ist. Er er- langte nicht mehr den gleichen internationalen Einfluß wie die ältere Kirche. Gleichwohl ist er ein baugeschichtlicher Merkstein dadurch, daß in ihm das Problem der Einwölbung der Basilika zum erstenmal seine Lösung fand. Cluny war der Mittelpunkt der jüngeren burgundischen Schule, die durch Größe der monu- mentalen Gesinnung und vornehme künstlerische Kultur zu ihrer Zeit, d. i. in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, den höchsten Platz in der abendländischen Baukunst einnahm. In eigentüm- licher Weise klingen in ihr Vorahnungen so der Gotik wie der Renaissance zusammen: an jene erinnert die Raumgestaltung und der Gliederbau im großen, an diese der Formenapparat. Nur die konstruktive Lösung konnte nicht ganz befriedigen, da das Wagnis der Überspannung des Mittelschiffes mit einem durch- laufenden Tonnengewölbe als zu kühn sich erwies. -- Der Auf- schwung der normannischen Schule datiert von der Klosterreform durch Abt Wilhelm von Fecamp. Er brachte von Cluny die Grund- rißdisposition und die Doppeltürme der Fassade. Im übrigen ent- wickelte sich die normannische Bauart selbständig. Ihr eignet feste Willenskraft und klarer Verstand. Der Gedanke der Wöl- bung, und zwar der Wölbung der Basilika, begann sie schon bald nach der Mitte des 11. Jahrhunderts zu beschäftigen; hohe Em- poren sollten die Mittelschiffswände gegen den Gewölbedruck sichern. Indessen kamen die Hauptgewölbe nicht zur Ausführung; aber die Emporen, die starken Bündelpfeiler verblieben dem System und gaben ihm sein straffes und wehrhaftes Aussehen; dazu ein Detail, dem antike Erinnerungen, überhaupt das Pflanzenornament, gänzlich fremd waren, das nur mit starren geometrischen Formen, mit Ecken und Spitzen, Schuppen und Kerben, Zacken und Sternen operierte, das aus Eichenholz geschnitzt und aus Eisen geschmiedet zu sein schien; der stärkste Gegensatz zu dem weich- lichen, qualligen Formcharakter des Südwestens; ob aber im Dehio, Kunsthistorische Aufsätze 2
Die Kunst des Mittelalters der Kluniazenserkirchen wurde gegeben durch den Bau des AbtesMajolus vom Jahre 981. Hundert Jahre später wurde er abge- brochen unter Abt Hugo dem Großen und ein ganz kolossaler, überaus prächtiger Neubau errichtet, das größte Kirchengebäude, das in der romanischen Epoche überhaupt entstanden ist. Er er- langte nicht mehr den gleichen internationalen Einfluß wie die ältere Kirche. Gleichwohl ist er ein baugeschichtlicher Merkstein dadurch, daß in ihm das Problem der Einwölbung der Basilika zum erstenmal seine Lösung fand. Cluny war der Mittelpunkt der jüngeren burgundischen Schule, die durch Größe der monu- mentalen Gesinnung und vornehme künstlerische Kultur zu ihrer Zeit, d. i. in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, den höchsten Platz in der abendländischen Baukunst einnahm. In eigentüm- licher Weise klingen in ihr Vorahnungen so der Gotik wie der Renaissance zusammen: an jene erinnert die Raumgestaltung und der Gliederbau im großen, an diese der Formenapparat. Nur die konstruktive Lösung konnte nicht ganz befriedigen, da das Wagnis der Überspannung des Mittelschiffes mit einem durch- laufenden Tonnengewölbe als zu kühn sich erwies. — Der Auf- schwung der normannischen Schule datiert von der Klosterreform durch Abt Wilhelm von Fécamp. Er brachte von Cluny die Grund- rißdisposition und die Doppeltürme der Fassade. Im übrigen ent- wickelte sich die normannische Bauart selbständig. Ihr eignet feste Willenskraft und klarer Verstand. Der Gedanke der Wöl- bung, und zwar der Wölbung der Basilika, begann sie schon bald nach der Mitte des 11. Jahrhunderts zu beschäftigen; hohe Em- poren sollten die Mittelschiffswände gegen den Gewölbedruck sichern. Indessen kamen die Hauptgewölbe nicht zur Ausführung; aber die Emporen, die starken Bündelpfeiler verblieben dem System und gaben ihm sein straffes und wehrhaftes Aussehen; dazu ein Detail, dem antike Erinnerungen, überhaupt das Pflanzenornament, gänzlich fremd waren, das nur mit starren geometrischen Formen, mit Ecken und Spitzen, Schuppen und Kerben, Zacken und Sternen operierte, das aus Eichenholz geschnitzt und aus Eisen geschmiedet zu sein schien; der stärkste Gegensatz zu dem weich- lichen, qualligen Formcharakter des Südwestens; ob aber im Dehio, Kunsthistorische Aufsätze 2
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Die Kunst des Mittelalters
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Majolus vom Jahre 981. Hundert Jahre später wurde er abge-
brochen unter Abt Hugo dem Großen und ein ganz kolossaler,
überaus prächtiger Neubau errichtet, das größte Kirchengebäude,
das in der romanischen Epoche überhaupt entstanden ist. Er er-
langte nicht mehr den gleichen internationalen Einfluß wie die
ältere Kirche. Gleichwohl ist er ein baugeschichtlicher Merkstein
dadurch, daß in ihm das Problem der Einwölbung der Basilika
zum erstenmal seine Lösung fand. Cluny war der Mittelpunkt
der jüngeren burgundischen Schule, die durch Größe der monu-
mentalen Gesinnung und vornehme künstlerische Kultur zu ihrer
Zeit, d. i. in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, den höchsten
Platz in der abendländischen Baukunst einnahm. In eigentüm-
licher Weise klingen in ihr Vorahnungen so der Gotik wie der
Renaissance zusammen: an jene erinnert die Raumgestaltung
und der Gliederbau im großen, an diese der Formenapparat. Nur
die konstruktive Lösung konnte nicht ganz befriedigen, da das
Wagnis der Überspannung des Mittelschiffes mit einem durch-
laufenden Tonnengewölbe als zu kühn sich erwies. — Der Auf-
schwung der normannischen Schule datiert von der Klosterreform
durch Abt Wilhelm von Fécamp. Er brachte von Cluny die Grund-
rißdisposition und die Doppeltürme der Fassade. Im übrigen ent-
wickelte sich die normannische Bauart selbständig. Ihr eignet
feste Willenskraft und klarer Verstand. Der Gedanke der Wöl-
bung, und zwar der Wölbung der Basilika, begann sie schon bald
nach der Mitte des 11. Jahrhunderts zu beschäftigen; hohe Em-
poren sollten die Mittelschiffswände gegen den Gewölbedruck sichern.
Indessen kamen die Hauptgewölbe nicht zur Ausführung; aber die
Emporen, die starken Bündelpfeiler verblieben dem System und
gaben ihm sein straffes und wehrhaftes Aussehen; dazu ein Detail,
dem antike Erinnerungen, überhaupt das Pflanzenornament,
gänzlich fremd waren, das nur mit starren geometrischen Formen,
mit Ecken und Spitzen, Schuppen und Kerben, Zacken und
Sternen operierte, das aus Eichenholz geschnitzt und aus Eisen
geschmiedet zu sein schien; der stärkste Gegensatz zu dem weich-
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