Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Denkmalpflege und Museen Ungleichheit zwischen den Werken der Dicht- und Tonkunst aufder einen, der Bildkunst auf der anderen Seite? Jene gehören, sobald ihr Schöpfer sie von sich entlassen hat, niemanden mehr und darum allen; diese bleiben eingesperrt in dem Käfig des privaten Besitzrechtes, und der Besitzer darf mit ihnen tun und lassen, was er will, bis zu den äußersten und absurdesten Kon- sequenzen. An einem Bildwerk ist doch nicht anders als an einem Dicht- und Tonwerk das Wesentliche die künstlerische Idee und nicht deren körperliches Gefäß. Kann eine höher entwickelte Kul- tur es dulden, daß Ideen nach privatem Besitzrecht behandelt werden? Gibt es noch andere als bloß technisch-materielle Gründe dafür, daß ein Gemälde Dürers nicht ebenso unbeschränkt der ganzen Nation gehört, wie ein Gedicht Goethes, eine Melodie Mozarts? Und ist nicht alte, einem abgeschlossenen Lebensprozeß angehörende Kunst überhaupt etwas anderes als heute entstehende, ihr historisches Existenzrecht erst sich suchende Kunst? Viel- leicht kommen wir in Zukunft noch dahin, für alle alte Kunst einen Verjährungstermin des Privateigentumes anzunehmen, nach dessen Ablauf sie in Gemeinbesitz übergeht. Das wäre ohne Frage das logische Endziel ... Aber niemand braucht sich zu fürchten: Der Weltenlauf ist nicht immer logisch; dagegen ist überall dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Jedenfalls sind wir von jenem Endziel, ob wir nun es fürchten oder wünschen mögen, reichlich weit entfernt. Indes auch ohne Radikalismus bleibt uns ein hinlänglich großes Feld, um den Grundsatz des öffentlichen Interesses tiefer durchzudenken und kräftiger zur Tat zu machen. Hier ist es, wo der Gedanke der Denkmalpflege mit dem Museumswesen zusammentrifft. Wenn der Begriff des öffentlichen Interesses damit schon er- Denkmalpflege und Museen Ungleichheit zwischen den Werken der Dicht- und Tonkunst aufder einen, der Bildkunst auf der anderen Seite? Jene gehören, sobald ihr Schöpfer sie von sich entlassen hat, niemanden mehr und darum allen; diese bleiben eingesperrt in dem Käfig des privaten Besitzrechtes, und der Besitzer darf mit ihnen tun und lassen, was er will, bis zu den äußersten und absurdesten Kon- sequenzen. An einem Bildwerk ist doch nicht anders als an einem Dicht- und Tonwerk das Wesentliche die künstlerische Idee und nicht deren körperliches Gefäß. Kann eine höher entwickelte Kul- tur es dulden, daß Ideen nach privatem Besitzrecht behandelt werden? Gibt es noch andere als bloß technisch-materielle Gründe dafür, daß ein Gemälde Dürers nicht ebenso unbeschränkt der ganzen Nation gehört, wie ein Gedicht Goethes, eine Melodie Mozarts? Und ist nicht alte, einem abgeschlossenen Lebensprozeß angehörende Kunst überhaupt etwas anderes als heute entstehende, ihr historisches Existenzrecht erst sich suchende Kunst? Viel- leicht kommen wir in Zukunft noch dahin, für alle alte Kunst einen Verjährungstermin des Privateigentumes anzunehmen, nach dessen Ablauf sie in Gemeinbesitz übergeht. Das wäre ohne Frage das logische Endziel ... Aber niemand braucht sich zu fürchten: Der Weltenlauf ist nicht immer logisch; dagegen ist überall dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Jedenfalls sind wir von jenem Endziel, ob wir nun es fürchten oder wünschen mögen, reichlich weit entfernt. Indes auch ohne Radikalismus bleibt uns ein hinlänglich großes Feld, um den Grundsatz des öffentlichen Interesses tiefer durchzudenken und kräftiger zur Tat zu machen. Hier ist es, wo der Gedanke der Denkmalpflege mit dem Museumswesen zusammentrifft. 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Denkmalpflege und Museen
Ungleichheit zwischen den Werken der Dicht- und Tonkunst auf
der einen, der Bildkunst auf der anderen Seite? Jene gehören,
sobald ihr Schöpfer sie von sich entlassen hat, niemanden mehr
und darum allen; diese bleiben eingesperrt in dem Käfig des
privaten Besitzrechtes, und der Besitzer darf mit ihnen tun und
lassen, was er will, bis zu den äußersten und absurdesten Kon-
sequenzen. An einem Bildwerk ist doch nicht anders als an einem
Dicht- und Tonwerk das Wesentliche die künstlerische Idee und
nicht deren körperliches Gefäß. Kann eine höher entwickelte Kul-
tur es dulden, daß Ideen nach privatem Besitzrecht behandelt
werden? Gibt es noch andere als bloß technisch-materielle Gründe
dafür, daß ein Gemälde Dürers nicht ebenso unbeschränkt der
ganzen Nation gehört, wie ein Gedicht Goethes, eine Melodie
Mozarts? Und ist nicht alte, einem abgeschlossenen Lebensprozeß
angehörende Kunst überhaupt etwas anderes als heute entstehende,
ihr historisches Existenzrecht erst sich suchende Kunst? Viel-
leicht kommen wir in Zukunft noch dahin, für alle alte Kunst
einen Verjährungstermin des Privateigentumes anzunehmen, nach
dessen Ablauf sie in Gemeinbesitz übergeht. Das wäre ohne Frage
das logische Endziel ... Aber niemand braucht sich zu fürchten:
Der Weltenlauf ist nicht immer logisch; dagegen ist überall dafür
gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Jedenfalls
sind wir von jenem Endziel, ob wir nun es fürchten oder wünschen
mögen, reichlich weit entfernt. Indes auch ohne Radikalismus
bleibt uns ein hinlänglich großes Feld, um den Grundsatz des
öffentlichen Interesses tiefer durchzudenken und kräftiger zur Tat
zu machen. Hier ist es, wo der Gedanke der Denkmalpflege mit
dem Museumswesen zusammentrifft.
Wenn der Begriff des öffentlichen Interesses damit schon er-
schöpft wäre, daß die Museen jedermann zu bequemer Benutzung
offen stehen sollen, dann in der Tat wären wir schon am Ziele.
Ein öffentliches Interesse besteht vor allem auch an dem, was
gesammelt und wie gesammelt wird. Hier, wo die theoretisch
angenommene Bundesgenossenschaft sich in der Praxis zu be-
währen hätte, kann die Denkmalpflege zurzeit nicht sagen: bei
den Museen ist alles gut. Den Grund dafür sehe ich vornehmlich
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