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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Denkmalpflege und Museen
in zwei Hindernissen: Das eine ist das fortdauernde, heute mehr
als je betriebsame private Sammelwesen und der von diesem un-
zertrennliche Kunsthandel. Das andere sind unter den öffentlichen
Museen die mit internationalem Programm. In beiden Formen hat
das Sammelwesen -- ich bin der letzte, es zu verkennen -- der
Denkmalpflege gelegentlich wichtige Dienste geleistet, aber ohne
es bewußt zu bezwecken; im Prinzip stehen sie außerhalb der
Denkmalpflege, sind oft ihre direkten Widersacher. Sie schüt-
zen
nicht, was doch der Denkmalpflege oberstes Gesetz ist, den
historischen Besitzstand, das historische Milieu, sondern sie leben
von dessen Unterhöhlung und Zertrümmerung; sonst würden sie
ja überhaupt nicht weiterwachsen können. Ihr bloßes Dasein
schon wirkt wie der Magnetberg der Sage. Seien wir ehrlich!
Was heißt denn das, wenn wir mit Pathos für unser eigenes Land
Denkmal- und Heimatschutz proklamieren und in gleichem Atem
unsere Sammler loben, die in den Besitzstand fremder Völker
einbrechen und diesen das antun, was wir für uns verwünschen?
Inkonsequenz ist doch wohl nur ein schwacher Name dafür. Und
notwendig hat sie ihre Folgen. Jeder von Ihnen kennt den wilden
Konkurrenzkampf im internationalen Kauf- und Sammelwesen,
durch den das Kunsterbe der Jahrhunderte immer schneller aus
seinem natürlichen Rahmen hinausgedrängt, atomisiert und durch-
einander gewürfelt wird. Ja, wir dürfen uns über ein Ereignis,
wie neulich den Raub der Mona Lisa, gar nicht wundern. Es
mußte unvermeidlich etwas derart kommen. Wir kennen es aus
der politischen Geschichte, daß in Zeiten heftig aufgestachelter
politischer Leidenschaften plötzlich irgendwo eine Untat, ein Mord
herausspringt. Ebenso ist es hier. Wenn die Verehrung für das
Edelste, weil im gemeinen Sinn Unnützeste im menschlichen
Schaffen, die Verehrung für die Kunst umschlägt in überhitzte
Besitzgier, dann treten Entartungserscheinungen in allen mög-
lichen Formen auf. Die alltäglichen kleinen Händlertricks und der
Monalisenraub sind nur Stufen einer und derselben Leiter. Ob
die Entfernung eines Kunstwerks durch Raub oder durch Kauf
vollzogen wird, ist schließlich nur eine juristische Unterscheidung;
für die nationale Denkmalpflege ist es einerlei, Verlust ist

Denkmalpflege und Museen
in zwei Hindernissen: Das eine ist das fortdauernde, heute mehr
als je betriebsame private Sammelwesen und der von diesem un-
zertrennliche Kunsthandel. Das andere sind unter den öffentlichen
Museen die mit internationalem Programm. In beiden Formen hat
das Sammelwesen — ich bin der letzte, es zu verkennen — der
Denkmalpflege gelegentlich wichtige Dienste geleistet, aber ohne
es bewußt zu bezwecken; im Prinzip stehen sie außerhalb der
Denkmalpflege, sind oft ihre direkten Widersacher. Sie schüt-
zen
nicht, was doch der Denkmalpflege oberstes Gesetz ist, den
historischen Besitzstand, das historische Milieu, sondern sie leben
von dessen Unterhöhlung und Zertrümmerung; sonst würden sie
ja überhaupt nicht weiterwachsen können. Ihr bloßes Dasein
schon wirkt wie der Magnetberg der Sage. Seien wir ehrlich!
Was heißt denn das, wenn wir mit Pathos für unser eigenes Land
Denkmal- und Heimatschutz proklamieren und in gleichem Atem
unsere Sammler loben, die in den Besitzstand fremder Völker
einbrechen und diesen das antun, was wir für uns verwünschen?
Inkonsequenz ist doch wohl nur ein schwacher Name dafür. Und
notwendig hat sie ihre Folgen. Jeder von Ihnen kennt den wilden
Konkurrenzkampf im internationalen Kauf- und Sammelwesen,
durch den das Kunsterbe der Jahrhunderte immer schneller aus
seinem natürlichen Rahmen hinausgedrängt, atomisiert und durch-
einander gewürfelt wird. Ja, wir dürfen uns über ein Ereignis,
wie neulich den Raub der Mona Lisa, gar nicht wundern. Es
mußte unvermeidlich etwas derart kommen. Wir kennen es aus
der politischen Geschichte, daß in Zeiten heftig aufgestachelter
politischer Leidenschaften plötzlich irgendwo eine Untat, ein Mord
herausspringt. Ebenso ist es hier. Wenn die Verehrung für das
Edelste, weil im gemeinen Sinn Unnützeste im menschlichen
Schaffen, die Verehrung für die Kunst umschlägt in überhitzte
Besitzgier, dann treten Entartungserscheinungen in allen mög-
lichen Formen auf. Die alltäglichen kleinen Händlertricks und der
Monalisenraub sind nur Stufen einer und derselben Leiter. Ob
die Entfernung eines Kunstwerks durch Raub oder durch Kauf
vollzogen wird, ist schließlich nur eine juristische Unterscheidung;
für die nationale Denkmalpflege ist es einerlei, Verlust ist

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[287/0349] Denkmalpflege und Museen in zwei Hindernissen: Das eine ist das fortdauernde, heute mehr als je betriebsame private Sammelwesen und der von diesem un- zertrennliche Kunsthandel. Das andere sind unter den öffentlichen Museen die mit internationalem Programm. In beiden Formen hat das Sammelwesen — ich bin der letzte, es zu verkennen — der Denkmalpflege gelegentlich wichtige Dienste geleistet, aber ohne es bewußt zu bezwecken; im Prinzip stehen sie außerhalb der Denkmalpflege, sind oft ihre direkten Widersacher. Sie schüt- zen nicht, was doch der Denkmalpflege oberstes Gesetz ist, den historischen Besitzstand, das historische Milieu, sondern sie leben von dessen Unterhöhlung und Zertrümmerung; sonst würden sie ja überhaupt nicht weiterwachsen können. Ihr bloßes Dasein schon wirkt wie der Magnetberg der Sage. Seien wir ehrlich! Was heißt denn das, wenn wir mit Pathos für unser eigenes Land Denkmal- und Heimatschutz proklamieren und in gleichem Atem unsere Sammler loben, die in den Besitzstand fremder Völker einbrechen und diesen das antun, was wir für uns verwünschen? Inkonsequenz ist doch wohl nur ein schwacher Name dafür. Und notwendig hat sie ihre Folgen. Jeder von Ihnen kennt den wilden Konkurrenzkampf im internationalen Kauf- und Sammelwesen, durch den das Kunsterbe der Jahrhunderte immer schneller aus seinem natürlichen Rahmen hinausgedrängt, atomisiert und durch- einander gewürfelt wird. Ja, wir dürfen uns über ein Ereignis, wie neulich den Raub der Mona Lisa, gar nicht wundern. Es mußte unvermeidlich etwas derart kommen. Wir kennen es aus der politischen Geschichte, daß in Zeiten heftig aufgestachelter politischer Leidenschaften plötzlich irgendwo eine Untat, ein Mord herausspringt. Ebenso ist es hier. Wenn die Verehrung für das Edelste, weil im gemeinen Sinn Unnützeste im menschlichen Schaffen, die Verehrung für die Kunst umschlägt in überhitzte Besitzgier, dann treten Entartungserscheinungen in allen mög- lichen Formen auf. Die alltäglichen kleinen Händlertricks und der Monalisenraub sind nur Stufen einer und derselben Leiter. Ob die Entfernung eines Kunstwerks durch Raub oder durch Kauf vollzogen wird, ist schließlich nur eine juristische Unterscheidung; für die nationale Denkmalpflege ist es einerlei, Verlust ist

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/349>, abgerufen am 24.11.2024.