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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Denkmalpflege und Museen
Verlust. Wir in Deutschland fühlten uns dem Ausland gegen-
über lange Zeit in leidlicher Sicherheit; aber doch nur deshalb,
weil deutsche Kunst im Auslande gering geschätzt und darum
wenig begehrt wurde. Wenn jetzt der Spieß gelegentlich umge-
kehrt wird, so dürfen wir uns nicht wundern. Und handelt es
sich dabei nur um das Ausland? Sind wir ganz sicher, daß nicht
die deutschen Landschaften einander behandeln, als wären sie
Ausland?

Ja, es ist nicht anders: bei der engen Verzahnung des Lebens
der europäischen Kulturvölker können die Wohltaten des Denk-
malschutzes niemals einseitig genossen werden. Es ist nicht mög-
lich, zu Hause denkmalpflegerisch tugendhaft zu bleiben, wenn
man draußen mit Glück und Behagen dagegen sündigt. Der je-
weilig lebenden Kunst das Ausland verbieten zu wollen, wäre ein
Unding. Etwas gänzlich anderes ist es aber mit der alten Kunst.
Ihre Werke sind nicht mehr Kunstwerke allein, sondern Denk-
mäler! Ein Volk, das diese nicht zu hüten vermag, das den kri-
stallenen Niederschlag aus dem besten Seelenleben seiner Vor-
fahren dem Meistbietenden feilhält -- ein solches Volk erniedrigt
und verstümmelt sich selbst. Ist es anständig, ein anderes Volk
dazu zu verführen? Völker mit einer in der Vergangenheit über-
quellend reichen Kunst, wie etwa die Italiener oder Niederländer,
können ja einen leichten Aderlaß, ohne es sehr zu merken, ver-
tragen. Heute aber hat die Jagd nach fremdem Kunstgut einen
Umfang angenommen, der schlechthin kulturfeindlich zu werden
droht. Es ist höchste Zeit, daß der historische Kunstbesitz Europas
zur Ruhe gelangt. Dies Interesse ist ein so überragendes, daß
wir auch von unseren öffentlichen Museen, und gerade von ihnen
zuerst, Resignation verlangen müssen. Sonst kommen wir aus
dem circulus vitiosus niemals heraus.

Es ist aber noch ein anderer, im feinsten Wesen der Kunst
selbst wurzelnder Grund vorhanden, weshalb ich glauben muß,
daß für die Museen -- wenigstens soweit es die internationale
Kunst betrifft -- die hohe Zeit vorüber ist. Sie leisteten ihr Bestes
damals, als uns Europa noch groß erschien, als das Reisen noch
schwierig und selten war. Heute gilt es als eine Wahrheit, der

Denkmalpflege und Museen
Verlust. Wir in Deutschland fühlten uns dem Ausland gegen-
über lange Zeit in leidlicher Sicherheit; aber doch nur deshalb,
weil deutsche Kunst im Auslande gering geschätzt und darum
wenig begehrt wurde. Wenn jetzt der Spieß gelegentlich umge-
kehrt wird, so dürfen wir uns nicht wundern. Und handelt es
sich dabei nur um das Ausland? Sind wir ganz sicher, daß nicht
die deutschen Landschaften einander behandeln, als wären sie
Ausland?

Ja, es ist nicht anders: bei der engen Verzahnung des Lebens
der europäischen Kulturvölker können die Wohltaten des Denk-
malschutzes niemals einseitig genossen werden. Es ist nicht mög-
lich, zu Hause denkmalpflegerisch tugendhaft zu bleiben, wenn
man draußen mit Glück und Behagen dagegen sündigt. Der je-
weilig lebenden Kunst das Ausland verbieten zu wollen, wäre ein
Unding. Etwas gänzlich anderes ist es aber mit der alten Kunst.
Ihre Werke sind nicht mehr Kunstwerke allein, sondern Denk-
mäler! Ein Volk, das diese nicht zu hüten vermag, das den kri-
stallenen Niederschlag aus dem besten Seelenleben seiner Vor-
fahren dem Meistbietenden feilhält — ein solches Volk erniedrigt
und verstümmelt sich selbst. Ist es anständig, ein anderes Volk
dazu zu verführen? Völker mit einer in der Vergangenheit über-
quellend reichen Kunst, wie etwa die Italiener oder Niederländer,
können ja einen leichten Aderlaß, ohne es sehr zu merken, ver-
tragen. Heute aber hat die Jagd nach fremdem Kunstgut einen
Umfang angenommen, der schlechthin kulturfeindlich zu werden
droht. Es ist höchste Zeit, daß der historische Kunstbesitz Europas
zur Ruhe gelangt. Dies Interesse ist ein so überragendes, daß
wir auch von unseren öffentlichen Museen, und gerade von ihnen
zuerst, Resignation verlangen müssen. Sonst kommen wir aus
dem circulus vitiosus niemals heraus.

Es ist aber noch ein anderer, im feinsten Wesen der Kunst
selbst wurzelnder Grund vorhanden, weshalb ich glauben muß,
daß für die Museen — wenigstens soweit es die internationale
Kunst betrifft — die hohe Zeit vorüber ist. Sie leisteten ihr Bestes
damals, als uns Europa noch groß erschien, als das Reisen noch
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[288/0350] Denkmalpflege und Museen Verlust. Wir in Deutschland fühlten uns dem Ausland gegen- über lange Zeit in leidlicher Sicherheit; aber doch nur deshalb, weil deutsche Kunst im Auslande gering geschätzt und darum wenig begehrt wurde. Wenn jetzt der Spieß gelegentlich umge- kehrt wird, so dürfen wir uns nicht wundern. Und handelt es sich dabei nur um das Ausland? Sind wir ganz sicher, daß nicht die deutschen Landschaften einander behandeln, als wären sie Ausland? Ja, es ist nicht anders: bei der engen Verzahnung des Lebens der europäischen Kulturvölker können die Wohltaten des Denk- malschutzes niemals einseitig genossen werden. Es ist nicht mög- lich, zu Hause denkmalpflegerisch tugendhaft zu bleiben, wenn man draußen mit Glück und Behagen dagegen sündigt. Der je- weilig lebenden Kunst das Ausland verbieten zu wollen, wäre ein Unding. Etwas gänzlich anderes ist es aber mit der alten Kunst. Ihre Werke sind nicht mehr Kunstwerke allein, sondern Denk- mäler! Ein Volk, das diese nicht zu hüten vermag, das den kri- stallenen Niederschlag aus dem besten Seelenleben seiner Vor- fahren dem Meistbietenden feilhält — ein solches Volk erniedrigt und verstümmelt sich selbst. Ist es anständig, ein anderes Volk dazu zu verführen? Völker mit einer in der Vergangenheit über- quellend reichen Kunst, wie etwa die Italiener oder Niederländer, können ja einen leichten Aderlaß, ohne es sehr zu merken, ver- tragen. Heute aber hat die Jagd nach fremdem Kunstgut einen Umfang angenommen, der schlechthin kulturfeindlich zu werden droht. Es ist höchste Zeit, daß der historische Kunstbesitz Europas zur Ruhe gelangt. Dies Interesse ist ein so überragendes, daß wir auch von unseren öffentlichen Museen, und gerade von ihnen zuerst, Resignation verlangen müssen. Sonst kommen wir aus dem circulus vitiosus niemals heraus. Es ist aber noch ein anderer, im feinsten Wesen der Kunst selbst wurzelnder Grund vorhanden, weshalb ich glauben muß, daß für die Museen — wenigstens soweit es die internationale Kunst betrifft — die hohe Zeit vorüber ist. Sie leisteten ihr Bestes damals, als uns Europa noch groß erschien, als das Reisen noch schwierig und selten war. Heute gilt es als eine Wahrheit, der

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/350>, abgerufen am 24.11.2024.