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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Historische Betrachtungen über die Kunst im Elsaß
worden. Auch keine der ziemlich zahlreichen Zentralkirchen
Oberitaliens. Das Muster der Kirche zu Ottmarsheim liegt in
räumlichem Sinne in großer Entfernung. Es ist das Münster Karls
des Großen in Aachen. Die Nachahmung ist, von leichten Ver-
einfachungen abgesehen, so genau, daß jeder Zweifel über das
Verhältnis wegfällt. Welche Beziehungen darauf geführt haben,
wissen wir nicht; soviel aber ist deutlich, sie liegen kunstgeschicht-
lich durchaus in der deutschen Sphäre. Und ebendahin weisen
die wenigen charakterisierten Schmuckformen des schlichten
Baus, zumal das Würfelkapitell ist ein damals kaum vor 50 Jahren
erst in Aufnahme gekommenes selbständig deutsches Form-
erzeugnis.

Etwas weiter zurück, bis zum Jahre 1020, führt der Neubau
des Straßburger Münsters durch Bischof Werinher. Die unter
dem Fußboden des heutigen Münsters in den letzten Jahren an-
gestellten Nachforschungen haben in betreff seiner zu Ergebnissen
von weit mehr als bloß lokalem Interesse geführt.

Es steht jetzt fest, das Münster Werinhers hat schon dieselbe
Ausdehnung, dieselben Grundlinien gehabt wie das heutige. Das
sind für die Frühzeit des romanischen Stils außerordentliche
Abmessungen, in Deutschland erst vom Speierer Dom, in Frank-
reich noch später und auch nur dies eine Mal, von dem dritten
Neubau der Klosterkirche Cluny, übertroffen; ja in einem für
den Eindruck wesentlichen Punkte, in der machtvollen Breite des
Hauptschiffes, auch von jenen nicht erreicht. Nicht lange vorher
waren die Dome von Mainz und Worms neu aufgebaut worden;
offenbar wollte Straßburg mit ihnen in Wetteifer treten, sie be-
siegen. Ein lange nicht gekannter Baueifer, oft von hoher monu-
mentaler Gesinnung getragen, war damals, in der auf die ersten
Ottonen folgenden Generation, allenthalben in Deutschland er-
wacht. Er ist die solenne Besiegelung des nach einer Epoche der
Zagheit und Unkraft wiedergekehrten Vertrauens in die Stand-
festigkeit der öffentlichen Ordnung. Wir können es deutlich ver-
folgen, wie dieser Baueifer zuerst im Stammland des Königs-
hauses einsetzt, dann in den Süden sich fortsetzt. Dies ist der
Zusammenhang der Dinge, in dem der große Münsterneubau in

Historische Betrachtungen über die Kunst im Elsaß
worden. Auch keine der ziemlich zahlreichen Zentralkirchen
Oberitaliens. Das Muster der Kirche zu Ottmarsheim liegt in
räumlichem Sinne in großer Entfernung. Es ist das Münster Karls
des Großen in Aachen. Die Nachahmung ist, von leichten Ver-
einfachungen abgesehen, so genau, daß jeder Zweifel über das
Verhältnis wegfällt. Welche Beziehungen darauf geführt haben,
wissen wir nicht; soviel aber ist deutlich, sie liegen kunstgeschicht-
lich durchaus in der deutschen Sphäre. Und ebendahin weisen
die wenigen charakterisierten Schmuckformen des schlichten
Baus, zumal das Würfelkapitell ist ein damals kaum vor 50 Jahren
erst in Aufnahme gekommenes selbständig deutsches Form-
erzeugnis.

Etwas weiter zurück, bis zum Jahre 1020, führt der Neubau
des Straßburger Münsters durch Bischof Werinher. Die unter
dem Fußboden des heutigen Münsters in den letzten Jahren an-
gestellten Nachforschungen haben in betreff seiner zu Ergebnissen
von weit mehr als bloß lokalem Interesse geführt.

Es steht jetzt fest, das Münster Werinhers hat schon dieselbe
Ausdehnung, dieselben Grundlinien gehabt wie das heutige. Das
sind für die Frühzeit des romanischen Stils außerordentliche
Abmessungen, in Deutschland erst vom Speierer Dom, in Frank-
reich noch später und auch nur dies eine Mal, von dem dritten
Neubau der Klosterkirche Cluny, übertroffen; ja in einem für
den Eindruck wesentlichen Punkte, in der machtvollen Breite des
Hauptschiffes, auch von jenen nicht erreicht. Nicht lange vorher
waren die Dome von Mainz und Worms neu aufgebaut worden;
offenbar wollte Straßburg mit ihnen in Wetteifer treten, sie be-
siegen. Ein lange nicht gekannter Baueifer, oft von hoher monu-
mentaler Gesinnung getragen, war damals, in der auf die ersten
Ottonen folgenden Generation, allenthalben in Deutschland er-
wacht. Er ist die solenne Besiegelung des nach einer Epoche der
Zagheit und Unkraft wiedergekehrten Vertrauens in die Stand-
festigkeit der öffentlichen Ordnung. Wir können es deutlich ver-
folgen, wie dieser Baueifer zuerst im Stammland des Königs-
hauses einsetzt, dann in den Süden sich fortsetzt. Dies ist der
Zusammenhang der Dinge, in dem der große Münsterneubau in

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[79/0093] Historische Betrachtungen über die Kunst im Elsaß worden. Auch keine der ziemlich zahlreichen Zentralkirchen Oberitaliens. Das Muster der Kirche zu Ottmarsheim liegt in räumlichem Sinne in großer Entfernung. Es ist das Münster Karls des Großen in Aachen. Die Nachahmung ist, von leichten Ver- einfachungen abgesehen, so genau, daß jeder Zweifel über das Verhältnis wegfällt. Welche Beziehungen darauf geführt haben, wissen wir nicht; soviel aber ist deutlich, sie liegen kunstgeschicht- lich durchaus in der deutschen Sphäre. Und ebendahin weisen die wenigen charakterisierten Schmuckformen des schlichten Baus, zumal das Würfelkapitell ist ein damals kaum vor 50 Jahren erst in Aufnahme gekommenes selbständig deutsches Form- erzeugnis. Etwas weiter zurück, bis zum Jahre 1020, führt der Neubau des Straßburger Münsters durch Bischof Werinher. Die unter dem Fußboden des heutigen Münsters in den letzten Jahren an- gestellten Nachforschungen haben in betreff seiner zu Ergebnissen von weit mehr als bloß lokalem Interesse geführt. Es steht jetzt fest, das Münster Werinhers hat schon dieselbe Ausdehnung, dieselben Grundlinien gehabt wie das heutige. Das sind für die Frühzeit des romanischen Stils außerordentliche Abmessungen, in Deutschland erst vom Speierer Dom, in Frank- reich noch später und auch nur dies eine Mal, von dem dritten Neubau der Klosterkirche Cluny, übertroffen; ja in einem für den Eindruck wesentlichen Punkte, in der machtvollen Breite des Hauptschiffes, auch von jenen nicht erreicht. Nicht lange vorher waren die Dome von Mainz und Worms neu aufgebaut worden; offenbar wollte Straßburg mit ihnen in Wetteifer treten, sie be- siegen. Ein lange nicht gekannter Baueifer, oft von hoher monu- mentaler Gesinnung getragen, war damals, in der auf die ersten Ottonen folgenden Generation, allenthalben in Deutschland er- wacht. Er ist die solenne Besiegelung des nach einer Epoche der Zagheit und Unkraft wiedergekehrten Vertrauens in die Stand- festigkeit der öffentlichen Ordnung. Wir können es deutlich ver- folgen, wie dieser Baueifer zuerst im Stammland des Königs- hauses einsetzt, dann in den Süden sich fortsetzt. Dies ist der Zusammenhang der Dinge, in dem der große Münsterneubau in

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/93>, abgerufen am 23.11.2024.