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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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können als damals. Auch die Empörung der protestantischen
Stände in Böhmen 1618 gegen ihren König und Herrn,
dessen Absetzung sowie die Ausrufung des reformierten Kur-
fürsten Friedrich von der Pfalz zum Könige von Böhmen,
bildet nur einen Ring in dieser langen Kette revolutionärer
Bestrebungen unter dem Deckmantel der Religion und Ge-
wissensfreiheit. Der heil. Petrus hat schon vor Menschen
gewarnt, welche die Freiheit als Deckmantel ihrer Bosheit
gebrauchen (I Petr. 2, 16). Dazu hat dieses Wort zur Re-
formationszeit dienen müssen. Wenn dabei auch an die sog.
Gewissensfreiheit appelliert wurde, so ist zu bedenken, daß es
auch falsche Gewissen giebt, die ebenso wenig taugen, wie
gefälschte Bibeln. Man liebt es aber in unserer Zeit, das
Gewissen zu fälschen, indem man ihm eine nationale
Farbe giebt und mit Pathos von einem "deutschen" Ge-
wissen spricht, als ob es einen Nationalgott (etwa Teut),
gäbe, der durch dasselbe rede! Es müßte denn auch dänische,
englische, französische, selbst russische und chinesische Gewissen
geben! Vielleicht kommen die Herren vom Evangelischen Bund
noch dazu, eine internationale Ausstellung der Gewissen zu
machen!

Es kann nach allem von niemanden, der die fünf gesunden
Sinne hat, bezweifelt werden, daß die Reformation in ihrem
Wesen nichts anderes als eine Revolution war. Diesem Ur-
teile pflichten auch bedeutende Männer protestantischerseits
unbedenklich bei. Der berühmte protestantische Staatsmann
Guizot erklärte 1828 unumwunden: "Die Krisis des 16. Jahr-
hunderts war keineswegs ein bloß reformatorischer Akt, son-
dern ein wesentlich revolutionärer, und es ist unmöglich,
ihr diesen Charakter zu nehmen." Ferner sagt S. G. Droysen
in seiner "Geschichte der preußischen Politik über die Refor-

können als damals. Auch die Empörung der proteſtantiſchen
Stände in Böhmen 1618 gegen ihren König und Herrn,
deſſen Abſetzung ſowie die Ausrufung des reformierten Kur-
fürſten Friedrich von der Pfalz zum Könige von Böhmen,
bildet nur einen Ring in dieſer langen Kette revolutionärer
Beſtrebungen unter dem Deckmantel der Religion und Ge-
wiſſensfreiheit. Der heil. Petrus hat ſchon vor Menſchen
gewarnt, welche die Freiheit als Deckmantel ihrer Bosheit
gebrauchen (I Petr. 2, 16). Dazu hat dieſes Wort zur Re-
formationszeit dienen müſſen. Wenn dabei auch an die ſog.
Gewiſſensfreiheit appelliert wurde, ſo iſt zu bedenken, daß es
auch falſche Gewiſſen giebt, die ebenſo wenig taugen, wie
gefälſchte Bibeln. Man liebt es aber in unſerer Zeit, das
Gewiſſen zu fälſchen, indem man ihm eine nationale
Farbe giebt und mit Pathos von einem „deutſchen‟ Ge-
wiſſen ſpricht, als ob es einen Nationalgott (etwa Teut),
gäbe, der durch dasſelbe rede! Es müßte denn auch däniſche,
engliſche, franzöſiſche, ſelbſt ruſſiſche und chineſiſche Gewiſſen
geben! Vielleicht kommen die Herren vom Evangeliſchen Bund
noch dazu, eine internationale Ausſtellung der Gewiſſen zu
machen!

Es kann nach allem von niemanden, der die fünf geſunden
Sinne hat, bezweifelt werden, daß die Reformation in ihrem
Weſen nichts anderes als eine Revolution war. Dieſem Ur-
teile pflichten auch bedeutende Männer proteſtantiſcherſeits
unbedenklich bei. Der berühmte proteſtantiſche Staatsmann
Guizot erklärte 1828 unumwunden: „Die Kriſis des 16. Jahr-
hunderts war keineswegs ein bloß reformatoriſcher Akt, ſon-
dern ein weſentlich revolutionärer, und es iſt unmöglich,
ihr dieſen Charakter zu nehmen.‟ Ferner ſagt S. G. Droyſen
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[22/0034] können als damals. Auch die Empörung der proteſtantiſchen Stände in Böhmen 1618 gegen ihren König und Herrn, deſſen Abſetzung ſowie die Ausrufung des reformierten Kur- fürſten Friedrich von der Pfalz zum Könige von Böhmen, bildet nur einen Ring in dieſer langen Kette revolutionärer Beſtrebungen unter dem Deckmantel der Religion und Ge- wiſſensfreiheit. Der heil. Petrus hat ſchon vor Menſchen gewarnt, welche die Freiheit als Deckmantel ihrer Bosheit gebrauchen (I Petr. 2, 16). Dazu hat dieſes Wort zur Re- formationszeit dienen müſſen. Wenn dabei auch an die ſog. Gewiſſensfreiheit appelliert wurde, ſo iſt zu bedenken, daß es auch falſche Gewiſſen giebt, die ebenſo wenig taugen, wie gefälſchte Bibeln. Man liebt es aber in unſerer Zeit, das Gewiſſen zu fälſchen, indem man ihm eine nationale Farbe giebt und mit Pathos von einem „deutſchen‟ Ge- wiſſen ſpricht, als ob es einen Nationalgott (etwa Teut), gäbe, der durch dasſelbe rede! Es müßte denn auch däniſche, engliſche, franzöſiſche, ſelbſt ruſſiſche und chineſiſche Gewiſſen geben! Vielleicht kommen die Herren vom Evangeliſchen Bund noch dazu, eine internationale Ausſtellung der Gewiſſen zu machen! Es kann nach allem von niemanden, der die fünf geſunden Sinne hat, bezweifelt werden, daß die Reformation in ihrem Weſen nichts anderes als eine Revolution war. Dieſem Ur- teile pflichten auch bedeutende Männer proteſtantiſcherſeits unbedenklich bei. Der berühmte proteſtantiſche Staatsmann Guizot erklärte 1828 unumwunden: „Die Kriſis des 16. Jahr- hunderts war keineswegs ein bloß reformatoriſcher Akt, ſon- dern ein weſentlich revolutionärer, und es iſt unmöglich, ihr dieſen Charakter zu nehmen.‟ Ferner ſagt S. G. Droyſen in ſeiner „Geſchichte der preußiſchen Politik über die Refor-

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/34>, abgerufen am 23.11.2024.