Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.den sog. Pietismus, durch Spener, Lange, Gerhardt, Arndt Die dritten Versuche, eine sichtbare Kirche herzustellen, 1) Dorner, Gesch. der protestantischen Theologie, S. 628. 2) Dorner läßt es nur als einen Schein gelten, als ob das Werk
der Reformation bezw. deren Wirkungen ein Chaos, eine Auflösung aller Einheit gewesen wäre! Darin irrt er, wie uns die Gegenwart vom Gegenteil überzeugt. Nur eine negative Einheit ist vorhanden: der gemeinsame Haß gegen Rom. den ſog. Pietismus, durch Spener, Lange, Gerhardt, Arndt Die dritten Verſuche, eine ſichtbare Kirche herzuſtellen, 1) Dorner, Geſch. der proteſtantiſchen Theologie, S. 628. 2) Dorner läßt es nur als einen Schein gelten, als ob das Werk
der Reformation bezw. deren Wirkungen ein Chaos, eine Auflöſung aller Einheit geweſen wäre! Darin irrt er, wie uns die Gegenwart vom Gegenteil überzeugt. Nur eine negative Einheit iſt vorhanden: der gemeinſame Haß gegen Rom. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0046" n="34"/> den ſog. Pietismus, durch Spener, Lange, Gerhardt, Arndt<lb/> u. ſ. w. „Jn dieſer Zeit,‟ ſagt Dorner, „in welcher Kalixt<lb/> und Spener wirkten, beſann ſich die proteſtantiſche Kirche (!),<lb/> giebt das Glaubensgezänk auf, fängt an auf chriſtliche Hoff-<lb/> nung und Liebe Wert zu legen. Der Mittelpunkt dieſer <hi rendition="#g">re-<lb/> formierenden</hi> Richtung war die Univerſität Halle. Spener<lb/> ließ 1684 ſein Werk „Klagen über das <hi rendition="#g">verdorbene</hi> Chri-<lb/> ſtentum‟ erſcheinen. War bis dahin nur ein bloß theore-<lb/> tiſches Glaubensleben (welches Dorner als das „ſcholaſtiſche‟<lb/> bezeichnet) bekannt, ſo wollte Spener ihm ein entgegengeſetztes<lb/> praktiſches Chriſtentum folgen laſſen<note place="foot" n="1)">Dorner, Geſch. der proteſtantiſchen Theologie, S. 628.</note>.‟ Der Pietismus ver-<lb/> warf die lutheriſche <hi rendition="#aq">justificatio forensis,</hi> die äußere Zurech-<lb/> nung von Chriſti Gerechtigkeit; er verlangt eine innere Ge-<lb/> rechtigkeit, die in einer Regeneration des Menſchen beſtehe,<lb/> welcher die <hi rendition="#aq">vocatio,</hi> d. h. der Ruf der Gnade von Gott<lb/> vorausgehe<note place="foot" n="2)">Dorner läßt es nur als einen Schein gelten, als ob das Werk<lb/> der Reformation bezw. deren Wirkungen ein Chaos, eine Auflöſung<lb/> aller Einheit geweſen wäre! Darin irrt er, wie uns die Gegenwart<lb/> vom Gegenteil überzeugt. Nur eine negative Einheit iſt vorhanden:<lb/> der gemeinſame Haß gegen Rom.</note>.</p><lb/> <p>Die dritten Verſuche, eine ſichtbare Kirche herzuſtellen,<lb/> ſind oftmals im Laufe der Zeit gemacht worden, jedoch immer<lb/> fehlgeſchlagen. Wie kann man eine ſichtbare Kirche bilden<lb/> wollen, wenn hierzu jede Berechtigung und alle Vorausſetzungen<lb/> fehlen? Die Befreiung von der Auktorität der Kirche war ja<lb/> Luthers erſte und wichtigſte That. Eine Kirche bilden wollen,<lb/> heißt das nicht Luther korrigieren und ſein Werk diskreditieren?<lb/> Es bleibt alſo dieſe Aufgabe eine permanente Siſyphus-Arbeit.<lb/> Ein ebenſo unbefriedigendes Reſultat kann in Luthers Kardinal-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [34/0046]
den ſog. Pietismus, durch Spener, Lange, Gerhardt, Arndt
u. ſ. w. „Jn dieſer Zeit,‟ ſagt Dorner, „in welcher Kalixt
und Spener wirkten, beſann ſich die proteſtantiſche Kirche (!),
giebt das Glaubensgezänk auf, fängt an auf chriſtliche Hoff-
nung und Liebe Wert zu legen. Der Mittelpunkt dieſer re-
formierenden Richtung war die Univerſität Halle. Spener
ließ 1684 ſein Werk „Klagen über das verdorbene Chri-
ſtentum‟ erſcheinen. War bis dahin nur ein bloß theore-
tiſches Glaubensleben (welches Dorner als das „ſcholaſtiſche‟
bezeichnet) bekannt, ſo wollte Spener ihm ein entgegengeſetztes
praktiſches Chriſtentum folgen laſſen 1).‟ Der Pietismus ver-
warf die lutheriſche justificatio forensis, die äußere Zurech-
nung von Chriſti Gerechtigkeit; er verlangt eine innere Ge-
rechtigkeit, die in einer Regeneration des Menſchen beſtehe,
welcher die vocatio, d. h. der Ruf der Gnade von Gott
vorausgehe 2).
Die dritten Verſuche, eine ſichtbare Kirche herzuſtellen,
ſind oftmals im Laufe der Zeit gemacht worden, jedoch immer
fehlgeſchlagen. Wie kann man eine ſichtbare Kirche bilden
wollen, wenn hierzu jede Berechtigung und alle Vorausſetzungen
fehlen? Die Befreiung von der Auktorität der Kirche war ja
Luthers erſte und wichtigſte That. Eine Kirche bilden wollen,
heißt das nicht Luther korrigieren und ſein Werk diskreditieren?
Es bleibt alſo dieſe Aufgabe eine permanente Siſyphus-Arbeit.
Ein ebenſo unbefriedigendes Reſultat kann in Luthers Kardinal-
1) Dorner, Geſch. der proteſtantiſchen Theologie, S. 628.
2) Dorner läßt es nur als einen Schein gelten, als ob das Werk
der Reformation bezw. deren Wirkungen ein Chaos, eine Auflöſung
aller Einheit geweſen wäre! Darin irrt er, wie uns die Gegenwart
vom Gegenteil überzeugt. Nur eine negative Einheit iſt vorhanden:
der gemeinſame Haß gegen Rom.
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