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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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"Keine Treue, keine Liebe, kein Recht, keine Redlichkeit, keine Er-
kenntniß, kein Erbarmen ist mehr im Lande. Ach! Ach! Die frommen
Leute sind weg aus dem Lande und die Gerechten sind nicht mehr unter
den Leuten. So gemein ist die Unzucht, daß sie für kein Laster und
Schand, sondern für Ehr und Ruhm gehalten wird. Ach darnach laufet
Jedermann Tag und Nacht."

Jn ähnlicher Weise hören wir Pfarrer C. Hiller 1616
ein Klagelied singen:

"Die Ochsen stehen auch bei uns (wie anderwärts) bald vor dem
Berge, und es fehlt wenig, dann kann auch uns begegnen, was andern
begegnet ist. Wie wir mit unseren vielen Sünden mit Verachtung
Gottes und seines Wortes, mit greulichem Fluchen und Gottesläste-
rungen, mit Hurerei, Unzucht, Fressen und Saufen, unschuldigem Blut-
vergießen, mit Raub und Diebstahl, mit übermäßigem Wucher etc. --
zu Gottes Zorn und Strafe genugsam Ursache geben."

Jm Jahre 1620 erschien in Frankfurt ein Buch "frater-
nitas infernalis",
d. h. "höllische Brüderschaft", in welchem
der Verfasser alle Laster seiner Zeit personifiziert und diese
unter sich eine "Bruderschaft" schließen läßt zu dem Zwecke,
das "Reich Gottes" ganz von der Welt schwinden zu lassen.
Er hat 24 Brüder in diesem Bunde gefunden, d. h. 24 Laster,
welche 24 Zünfte für die Hölle bilden. Sein Widmungs-
gedicht schließt mit dem Satze:

"Virtus ist des Lands vertrieben,
Alle vitia thun drinn obsiegen."

Ein ähnliches Werk war bereits 1569 zu Frankfurt a. M.
erschienen unter dem Titel: "Theatrum diabolorum", in
welchem 21 Prediger 21 Species von Teufeln schildern,
welche als Agenten der Hölle auf der Welt deren Geschäfte
besorgen. Jhre Namen waren: Saufteufel, Hoffartsteufel,
Hurenteufel, Faulteufel, Zauberteufel etc.

Den tieferen Grund zu dem allgemeinen Sittenverderb-
nis möchte der Pastor Johann Vilitz zu Quedlinburg 1639

„Keine Treue, keine Liebe, kein Recht, keine Redlichkeit, keine Er-
kenntniß, kein Erbarmen iſt mehr im Lande. Ach! Ach! Die frommen
Leute ſind weg aus dem Lande und die Gerechten ſind nicht mehr unter
den Leuten. So gemein iſt die Unzucht, daß ſie für kein Laſter und
Schand, ſondern für Ehr und Ruhm gehalten wird. Ach darnach laufet
Jedermann Tag und Nacht.‟

Jn ähnlicher Weiſe hören wir Pfarrer C. Hiller 1616
ein Klagelied ſingen:

„Die Ochſen ſtehen auch bei uns (wie anderwärts) bald vor dem
Berge, und es fehlt wenig, dann kann auch uns begegnen, was andern
begegnet iſt. Wie wir mit unſeren vielen Sünden mit Verachtung
Gottes und ſeines Wortes, mit greulichem Fluchen und Gottesläſte-
rungen, mit Hurerei, Unzucht, Freſſen und Saufen, unſchuldigem Blut-
vergießen, mit Raub und Diebſtahl, mit übermäßigem Wucher ꝛc. —
zu Gottes Zorn und Strafe genugſam Urſache geben.‟

Jm Jahre 1620 erſchien in Frankfurt ein Buch „frater-
nitas infernalis‟,
d. h. „hölliſche Brüderſchaft‟, in welchem
der Verfaſſer alle Laſter ſeiner Zeit perſonifiziert und dieſe
unter ſich eine „Bruderſchaft‟ ſchließen läßt zu dem Zwecke,
das „Reich Gottes‟ ganz von der Welt ſchwinden zu laſſen.
Er hat 24 Brüder in dieſem Bunde gefunden, d. h. 24 Laſter,
welche 24 Zünfte für die Hölle bilden. Sein Widmungs-
gedicht ſchließt mit dem Satze:

Virtus iſt des Lands vertrieben,
Alle vitia thun drinn obſiegen.‟

Ein ähnliches Werk war bereits 1569 zu Frankfurt a. M.
erſchienen unter dem Titel: „Theatrum diabolorum‟, in
welchem 21 Prediger 21 Species von Teufeln ſchildern,
welche als Agenten der Hölle auf der Welt deren Geſchäfte
beſorgen. Jhre Namen waren: Saufteufel, Hoffartsteufel,
Hurenteufel, Faulteufel, Zauberteufel ꝛc.

Den tieferen Grund zu dem allgemeinen Sittenverderb-
nis möchte der Paſtor Johann Vilitz zu Quedlinburg 1639

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[53/0065] „Keine Treue, keine Liebe, kein Recht, keine Redlichkeit, keine Er- kenntniß, kein Erbarmen iſt mehr im Lande. Ach! Ach! Die frommen Leute ſind weg aus dem Lande und die Gerechten ſind nicht mehr unter den Leuten. So gemein iſt die Unzucht, daß ſie für kein Laſter und Schand, ſondern für Ehr und Ruhm gehalten wird. Ach darnach laufet Jedermann Tag und Nacht.‟ Jn ähnlicher Weiſe hören wir Pfarrer C. Hiller 1616 ein Klagelied ſingen: „Die Ochſen ſtehen auch bei uns (wie anderwärts) bald vor dem Berge, und es fehlt wenig, dann kann auch uns begegnen, was andern begegnet iſt. Wie wir mit unſeren vielen Sünden mit Verachtung Gottes und ſeines Wortes, mit greulichem Fluchen und Gottesläſte- rungen, mit Hurerei, Unzucht, Freſſen und Saufen, unſchuldigem Blut- vergießen, mit Raub und Diebſtahl, mit übermäßigem Wucher ꝛc. — zu Gottes Zorn und Strafe genugſam Urſache geben.‟ Jm Jahre 1620 erſchien in Frankfurt ein Buch „frater- nitas infernalis‟, d. h. „hölliſche Brüderſchaft‟, in welchem der Verfaſſer alle Laſter ſeiner Zeit perſonifiziert und dieſe unter ſich eine „Bruderſchaft‟ ſchließen läßt zu dem Zwecke, das „Reich Gottes‟ ganz von der Welt ſchwinden zu laſſen. Er hat 24 Brüder in dieſem Bunde gefunden, d. h. 24 Laſter, welche 24 Zünfte für die Hölle bilden. Sein Widmungs- gedicht ſchließt mit dem Satze: „Virtus iſt des Lands vertrieben, Alle vitia thun drinn obſiegen.‟ Ein ähnliches Werk war bereits 1569 zu Frankfurt a. M. erſchienen unter dem Titel: „Theatrum diabolorum‟, in welchem 21 Prediger 21 Species von Teufeln ſchildern, welche als Agenten der Hölle auf der Welt deren Geſchäfte beſorgen. Jhre Namen waren: Saufteufel, Hoffartsteufel, Hurenteufel, Faulteufel, Zauberteufel ꝛc. Den tieferen Grund zu dem allgemeinen Sittenverderb- nis möchte der Paſtor Johann Vilitz zu Quedlinburg 1639

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/65>, abgerufen am 04.12.2024.