Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich war einst auf Universitäten. Ich habe in
den Vorlesungen nicht viel gelernt, nicht viel mehr
mitgenommen, als ich mit hingebracht. Sie waren
darnach. Monotoner Vortrag, mechanischer Pedantis-
mus, geistloses Wesen! Aber ich liebe die Universitä-
ten, weil es deutsche Institute sind; unsere Hochschu-
len, weil ich Erziehung und Bildung über Alles schätze.
Aber die Liebe verbirgt mir ihre Fehler nicht. Ver-
nünftige Eltern sind nicht blind gegen die Fehler ihrer
Kinder, vielmehr kennen sie dieselben am besten. Gleich
ihnen will ich diese Fehler besehen, aufdecken, bespre-
chen. Nicht aus Liebe zum Tadel, sondern aus Liebe
zur Sache sage ich, daß die Universitäten mir nicht viel
gebracht, weil sie darnach waren, meinend, daß sie An-
dern, wenn man sie danach einrichtete, viel mehr lei-
sten könnten. Dazu will ich nach meinen Kräften und
Einsichten beitragen. "Was geht es Dich an?" mögen
Einige wieder sprechen. Ich lasse mich nicht schrecken.
Es geht mich an, weil es meine Seele berührt. Wenn
es falsch ist, daß der Freund des Vaterlandes, der
thätige Genosse seiner Freuden und Leiden, von Allem,
was das Vaterland betrifft, berührt werde; so weiß
ich nicht mehr, was wahr ist. Auf diesem Stand-
punkte kann ich nur wünschen, daß Alle an Allem
Theil nehmen möchten. Dann stände es besser um die
Gemeinschaft, als bei den herrschenden Maximen, un-
ter deren Herrschaft sich der Einzelne nur bekümmert

Ich war einſt auf Univerſitaͤten. Ich habe in
den Vorleſungen nicht viel gelernt, nicht viel mehr
mitgenommen, als ich mit hingebracht. Sie waren
darnach. Monotoner Vortrag, mechaniſcher Pedantis-
mus, geiſtloſes Weſen! Aber ich liebe die Univerſitaͤ-
ten, weil es deutſche Inſtitute ſind; unſere Hochſchu-
len, weil ich Erziehung und Bildung uͤber Alles ſchaͤtze.
Aber die Liebe verbirgt mir ihre Fehler nicht. Ver-
nuͤnftige Eltern ſind nicht blind gegen die Fehler ihrer
Kinder, vielmehr kennen ſie dieſelben am beſten. Gleich
ihnen will ich dieſe Fehler beſehen, aufdecken, beſpre-
chen. Nicht aus Liebe zum Tadel, ſondern aus Liebe
zur Sache ſage ich, daß die Univerſitaͤten mir nicht viel
gebracht, weil ſie darnach waren, meinend, daß ſie An-
dern, wenn man ſie danach einrichtete, viel mehr lei-
ſten koͤnnten. Dazu will ich nach meinen Kraͤften und
Einſichten beitragen. „Was geht es Dich an?“ moͤgen
Einige wieder ſprechen. Ich laſſe mich nicht ſchrecken.
Es geht mich an, weil es meine Seele beruͤhrt. Wenn
es falſch iſt, daß der Freund des Vaterlandes, der
thaͤtige Genoſſe ſeiner Freuden und Leiden, von Allem,
was das Vaterland betrifft, beruͤhrt werde; ſo weiß
ich nicht mehr, was wahr iſt. Auf dieſem Stand-
punkte kann ich nur wuͤnſchen, daß Alle an Allem
Theil nehmen moͤchten. Dann ſtaͤnde es beſſer um die
Gemeinſchaft, als bei den herrſchenden Maximen, un-
ter deren Herrſchaft ſich der Einzelne nur bekuͤmmert

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0013" n="VII"/>
        <p>Ich war ein&#x017F;t auf Univer&#x017F;ita&#x0364;ten. Ich habe in<lb/>
den Vorle&#x017F;ungen nicht viel gelernt, nicht viel mehr<lb/>
mitgenommen, als ich mit hingebracht. Sie waren<lb/>
darnach. Monotoner Vortrag, mechani&#x017F;cher Pedantis-<lb/>
mus, gei&#x017F;tlo&#x017F;es We&#x017F;en! Aber ich liebe die Univer&#x017F;ita&#x0364;-<lb/>
ten, weil es deut&#x017F;che In&#x017F;titute &#x017F;ind; un&#x017F;ere Hoch&#x017F;chu-<lb/>
len, weil ich Erziehung und Bildung u&#x0364;ber Alles &#x017F;cha&#x0364;tze.<lb/>
Aber die Liebe verbirgt mir ihre Fehler nicht. Ver-<lb/>
nu&#x0364;nftige Eltern &#x017F;ind nicht blind gegen die Fehler ihrer<lb/>
Kinder, vielmehr kennen &#x017F;ie die&#x017F;elben am be&#x017F;ten. Gleich<lb/>
ihnen will ich die&#x017F;e Fehler be&#x017F;ehen, aufdecken, be&#x017F;pre-<lb/>
chen. Nicht aus Liebe zum Tadel, &#x017F;ondern aus Liebe<lb/>
zur Sache &#x017F;age ich, daß die Univer&#x017F;ita&#x0364;ten mir nicht viel<lb/>
gebracht, weil &#x017F;ie darnach waren, meinend, daß &#x017F;ie An-<lb/>
dern, wenn man &#x017F;ie danach einrichtete, viel mehr lei-<lb/>
&#x017F;ten ko&#x0364;nnten. Dazu will ich nach meinen Kra&#x0364;ften und<lb/>
Ein&#x017F;ichten beitragen. &#x201E;Was geht es Dich an?&#x201C; mo&#x0364;gen<lb/>
Einige wieder &#x017F;prechen. Ich la&#x017F;&#x017F;e mich nicht &#x017F;chrecken.<lb/>
Es geht mich an, weil es meine Seele beru&#x0364;hrt. Wenn<lb/>
es <hi rendition="#g">fal&#x017F;ch</hi> i&#x017F;t, daß der Freund des Vaterlandes, der<lb/>
tha&#x0364;tige Geno&#x017F;&#x017F;e &#x017F;einer Freuden und Leiden, von Allem,<lb/>
was das Vaterland betrifft, beru&#x0364;hrt werde; &#x017F;o weiß<lb/>
ich nicht mehr, was wahr i&#x017F;t. Auf die&#x017F;em Stand-<lb/>
punkte kann ich nur wu&#x0364;n&#x017F;chen, daß Alle an Allem<lb/>
Theil nehmen mo&#x0364;chten. Dann &#x017F;ta&#x0364;nde es be&#x017F;&#x017F;er um die<lb/>
Gemein&#x017F;chaft, als bei den herr&#x017F;chenden Maximen, un-<lb/>
ter deren Herr&#x017F;chaft &#x017F;ich der Einzelne nur beku&#x0364;mmert<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[VII/0013] Ich war einſt auf Univerſitaͤten. Ich habe in den Vorleſungen nicht viel gelernt, nicht viel mehr mitgenommen, als ich mit hingebracht. Sie waren darnach. Monotoner Vortrag, mechaniſcher Pedantis- mus, geiſtloſes Weſen! Aber ich liebe die Univerſitaͤ- ten, weil es deutſche Inſtitute ſind; unſere Hochſchu- len, weil ich Erziehung und Bildung uͤber Alles ſchaͤtze. Aber die Liebe verbirgt mir ihre Fehler nicht. Ver- nuͤnftige Eltern ſind nicht blind gegen die Fehler ihrer Kinder, vielmehr kennen ſie dieſelben am beſten. Gleich ihnen will ich dieſe Fehler beſehen, aufdecken, beſpre- chen. Nicht aus Liebe zum Tadel, ſondern aus Liebe zur Sache ſage ich, daß die Univerſitaͤten mir nicht viel gebracht, weil ſie darnach waren, meinend, daß ſie An- dern, wenn man ſie danach einrichtete, viel mehr lei- ſten koͤnnten. Dazu will ich nach meinen Kraͤften und Einſichten beitragen. „Was geht es Dich an?“ moͤgen Einige wieder ſprechen. Ich laſſe mich nicht ſchrecken. Es geht mich an, weil es meine Seele beruͤhrt. Wenn es falſch iſt, daß der Freund des Vaterlandes, der thaͤtige Genoſſe ſeiner Freuden und Leiden, von Allem, was das Vaterland betrifft, beruͤhrt werde; ſo weiß ich nicht mehr, was wahr iſt. Auf dieſem Stand- punkte kann ich nur wuͤnſchen, daß Alle an Allem Theil nehmen moͤchten. Dann ſtaͤnde es beſſer um die Gemeinſchaft, als bei den herrſchenden Maximen, un- ter deren Herrſchaft ſich der Einzelne nur bekuͤmmert

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/13
Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/13>, abgerufen am 01.05.2024.