Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.damit er zur selbstständigen, freien Entwickelung gelange. Er Offenbar hat man diese meist entgegengesetzten Bestimmun- 2
damit er zur ſelbſtſtaͤndigen, freien Entwickelung gelange. Er Offenbar hat man dieſe meiſt entgegengeſetzten Beſtimmun- 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0023" n="5"/> damit er zur ſelbſtſtaͤndigen, freien Entwickelung gelange. Er<lb/> liebt daher das laute Denken, und er ſucht die Gemeinſchaft<lb/> mit ſtrebenden Juͤnglingen, die das Beduͤrfniß der Entwick-<lb/> lung lebendig in ſich empfinden. Die Umgebung, in welcher<lb/> das Geſchaͤft des Forſchens allein gedeiht, iſt die abgeſchiedene<lb/> Stille, ein einſames Landhaus oder eine Buͤcherburg; das<lb/> Geſchaͤft des Lehrens dagegen gedeiht nur in dem Lehr- und<lb/> Hoͤrſaale bei der lauten, moͤglichſt lebendigen Rede und Ge-<lb/> genrede. Zur Erweiterung der Wiſſenſchaften wird eine Samm-<lb/> lung des Geiſtes und eine Muße erfordert, wie ſie dem in<lb/> lebendigem Verkehr mit heiteren Juͤnglingen ſtehenden Lehrer<lb/> nicht zu Theil wird. Darum ziehen ſich alle eigentlichen ge-<lb/> lehrten Forſcher gern vom Leben zuruͤck, und darum ſind die<lb/> tuͤchtigſten akademiſchen Lehrer ſelten oder nie in demſelben<lb/> Maße, als ſie Lehrer ſind, zugleich wiſſenſchaftliche Forſcher.</p><lb/> <p>Offenbar hat man dieſe meiſt entgegengeſetzten Beſtimmun-<lb/> gen nicht immer gehoͤrig von einander geſchieden. Man hat<lb/> die Gelehrſamkeit mit der Lehrkunſt verwechſelt, und den<lb/> Mann fuͤr den beſten akademiſchen Lehrer gehalten, der der<lb/> gelehrteſte war. Ich wiederhole es, es giebt keinen guten<lb/> Lehrer ohne gruͤndliches Wiſſen; aber dieſes allein ſtempelt<lb/> keinen zum Lehrer. In der Regel fuͤhrt es allein von der<lb/> Lehrkunſt ab. Denn ſie iſt ein Koͤnnen, zu dem ſich der Ge-<lb/> lehrte bei ſeiner ausſchließlich theoretiſchen, unpraktiſchen und<lb/> abſtrakten Richtung nicht gern herablaͤßt. Die groͤßten Ge-<lb/> lehrten ſind darum meiſt unwillige, ungeſchickte, ungewiſſen-<lb/> hafte d. h. ſchlechte Lehrer, und die tuͤchtigſten Lehrer darum<lb/> meiſt keine Forſcher. Das Erforſchen des Neuen erfordert<lb/> Genie, das Lehren Talent. Der akademiſche Lehrer braucht<lb/> daher kein Genie zu ſein, aber er darf des (Lehr-) Talents<lb/> nicht entbehren.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">2</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [5/0023]
damit er zur ſelbſtſtaͤndigen, freien Entwickelung gelange. Er
liebt daher das laute Denken, und er ſucht die Gemeinſchaft
mit ſtrebenden Juͤnglingen, die das Beduͤrfniß der Entwick-
lung lebendig in ſich empfinden. Die Umgebung, in welcher
das Geſchaͤft des Forſchens allein gedeiht, iſt die abgeſchiedene
Stille, ein einſames Landhaus oder eine Buͤcherburg; das
Geſchaͤft des Lehrens dagegen gedeiht nur in dem Lehr- und
Hoͤrſaale bei der lauten, moͤglichſt lebendigen Rede und Ge-
genrede. Zur Erweiterung der Wiſſenſchaften wird eine Samm-
lung des Geiſtes und eine Muße erfordert, wie ſie dem in
lebendigem Verkehr mit heiteren Juͤnglingen ſtehenden Lehrer
nicht zu Theil wird. Darum ziehen ſich alle eigentlichen ge-
lehrten Forſcher gern vom Leben zuruͤck, und darum ſind die
tuͤchtigſten akademiſchen Lehrer ſelten oder nie in demſelben
Maße, als ſie Lehrer ſind, zugleich wiſſenſchaftliche Forſcher.
Offenbar hat man dieſe meiſt entgegengeſetzten Beſtimmun-
gen nicht immer gehoͤrig von einander geſchieden. Man hat
die Gelehrſamkeit mit der Lehrkunſt verwechſelt, und den
Mann fuͤr den beſten akademiſchen Lehrer gehalten, der der
gelehrteſte war. Ich wiederhole es, es giebt keinen guten
Lehrer ohne gruͤndliches Wiſſen; aber dieſes allein ſtempelt
keinen zum Lehrer. In der Regel fuͤhrt es allein von der
Lehrkunſt ab. Denn ſie iſt ein Koͤnnen, zu dem ſich der Ge-
lehrte bei ſeiner ausſchließlich theoretiſchen, unpraktiſchen und
abſtrakten Richtung nicht gern herablaͤßt. Die groͤßten Ge-
lehrten ſind darum meiſt unwillige, ungeſchickte, ungewiſſen-
hafte d. h. ſchlechte Lehrer, und die tuͤchtigſten Lehrer darum
meiſt keine Forſcher. Das Erforſchen des Neuen erfordert
Genie, das Lehren Talent. Der akademiſche Lehrer braucht
daher kein Genie zu ſein, aber er darf des (Lehr-) Talents
nicht entbehren.
2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |