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Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

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meinen steht. Dann ist er für seine Zeit gebildet. Ist
dann noch ein Ueberfluß von Zeit und Kraft vorhanden, dann
strebe er weiter. Aber nur bei sehr Wenigen wird diese Be-
dingung eintreten.

Man wird gegen diesen Vorschlag den Einwand erheben,
daß eben der Ertrag der bisherigen Erforschung der Wissen-
schaften nicht fest stehe, und derselbe zu den bestrittenen Din-
gen gehöre. Aber darüber ist eine Vereinigung im Allge-
meinen
möglich. Ich erinnere nur, um ein Beispiel aus
dem schwankendsten Gebiete, der Philosophie, zu wählen, an
die platonisch-aristotelische Philosophie und ihre Fortbildung
durch Kant. Diese ist zur Kenntniß jeder Philosophie unent-
behrlich; sie müßte daher auch zuerst, als allgemeine Basis,
dem Philosophie Studirenden zur Kenntniß gebracht werden.

Endlich darf die Lehrfreiheit auch nicht bis dahin, wie
es auf mancher Universität der Fall ist, ausgedehnt werden,
daß die Herren Professoren lesen dürfen, worüber sie wollen,
in dem ganzen Umfange ihrer Facultät. Diese freie Wahl
pflegt natürlich nicht immer nach dem Bedürfniß der Schüler
zu geschehen, sondern aus andern, oft sehr unreinen Beweg-
gründen. Dabei kommen denn die Studenten schlecht weg.
Drei, vier, und mehr Docenten lesen über denselben Gegen-
stand, und andere, vielleicht an und für sich viel wichtigere
Vorlesungen bleiben unangekündigt, weil ein falscher Zeitge-
schmack nicht eine Masse von Zuhörern hineintreibt. So ist
auf einer norddeutschen Universität die philosophische Moral
fast ganz aus den Lectionscatalogen verschwunden, eins der
wichtigsten, einflußreichsten Collegien, weil die Mystik in der
Philosophie und in der Naturkunde die Moral mit dem Ver-
stand und der ganzen Reflexion in (sicherlich vorübergehenden)
Mißkredit gebracht hat. Darum darf man den Professoren

meinen ſteht. Dann iſt er fuͤr ſeine Zeit gebildet. Iſt
dann noch ein Ueberfluß von Zeit und Kraft vorhanden, dann
ſtrebe er weiter. Aber nur bei ſehr Wenigen wird dieſe Be-
dingung eintreten.

Man wird gegen dieſen Vorſchlag den Einwand erheben,
daß eben der Ertrag der bisherigen Erforſchung der Wiſſen-
ſchaften nicht feſt ſtehe, und derſelbe zu den beſtrittenen Din-
gen gehoͤre. Aber daruͤber iſt eine Vereinigung im Allge-
meinen
moͤglich. Ich erinnere nur, um ein Beiſpiel aus
dem ſchwankendſten Gebiete, der Philoſophie, zu waͤhlen, an
die platoniſch-ariſtoteliſche Philoſophie und ihre Fortbildung
durch Kant. Dieſe iſt zur Kenntniß jeder Philoſophie unent-
behrlich; ſie muͤßte daher auch zuerſt, als allgemeine Baſis,
dem Philoſophie Studirenden zur Kenntniß gebracht werden.

Endlich darf die Lehrfreiheit auch nicht bis dahin, wie
es auf mancher Univerſitaͤt der Fall iſt, ausgedehnt werden,
daß die Herren Profeſſoren leſen duͤrfen, woruͤber ſie wollen,
in dem ganzen Umfange ihrer Facultaͤt. Dieſe freie Wahl
pflegt natuͤrlich nicht immer nach dem Beduͤrfniß der Schuͤler
zu geſchehen, ſondern aus andern, oft ſehr unreinen Beweg-
gruͤnden. Dabei kommen denn die Studenten ſchlecht weg.
Drei, vier, und mehr Docenten leſen uͤber denſelben Gegen-
ſtand, und andere, vielleicht an und fuͤr ſich viel wichtigere
Vorleſungen bleiben unangekuͤndigt, weil ein falſcher Zeitge-
ſchmack nicht eine Maſſe von Zuhoͤrern hineintreibt. So iſt
auf einer norddeutſchen Univerſitaͤt die philoſophiſche Moral
faſt ganz aus den Lectionscatalogen verſchwunden, eins der
wichtigſten, einflußreichſten Collegien, weil die Myſtik in der
Philoſophie und in der Naturkunde die Moral mit dem Ver-
ſtand und der ganzen Reflexion in (ſicherlich voruͤbergehenden)
Mißkredit gebracht hat. Darum darf man den Profeſſoren

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[11/0029] meinen ſteht. Dann iſt er fuͤr ſeine Zeit gebildet. Iſt dann noch ein Ueberfluß von Zeit und Kraft vorhanden, dann ſtrebe er weiter. Aber nur bei ſehr Wenigen wird dieſe Be- dingung eintreten. Man wird gegen dieſen Vorſchlag den Einwand erheben, daß eben der Ertrag der bisherigen Erforſchung der Wiſſen- ſchaften nicht feſt ſtehe, und derſelbe zu den beſtrittenen Din- gen gehoͤre. Aber daruͤber iſt eine Vereinigung im Allge- meinen moͤglich. Ich erinnere nur, um ein Beiſpiel aus dem ſchwankendſten Gebiete, der Philoſophie, zu waͤhlen, an die platoniſch-ariſtoteliſche Philoſophie und ihre Fortbildung durch Kant. Dieſe iſt zur Kenntniß jeder Philoſophie unent- behrlich; ſie muͤßte daher auch zuerſt, als allgemeine Baſis, dem Philoſophie Studirenden zur Kenntniß gebracht werden. Endlich darf die Lehrfreiheit auch nicht bis dahin, wie es auf mancher Univerſitaͤt der Fall iſt, ausgedehnt werden, daß die Herren Profeſſoren leſen duͤrfen, woruͤber ſie wollen, in dem ganzen Umfange ihrer Facultaͤt. Dieſe freie Wahl pflegt natuͤrlich nicht immer nach dem Beduͤrfniß der Schuͤler zu geſchehen, ſondern aus andern, oft ſehr unreinen Beweg- gruͤnden. Dabei kommen denn die Studenten ſchlecht weg. Drei, vier, und mehr Docenten leſen uͤber denſelben Gegen- ſtand, und andere, vielleicht an und fuͤr ſich viel wichtigere Vorleſungen bleiben unangekuͤndigt, weil ein falſcher Zeitge- ſchmack nicht eine Maſſe von Zuhoͤrern hineintreibt. So iſt auf einer norddeutſchen Univerſitaͤt die philoſophiſche Moral faſt ganz aus den Lectionscatalogen verſchwunden, eins der wichtigſten, einflußreichſten Collegien, weil die Myſtik in der Philoſophie und in der Naturkunde die Moral mit dem Ver- ſtand und der ganzen Reflexion in (ſicherlich voruͤbergehenden) Mißkredit gebracht hat. Darum darf man den Profeſſoren

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Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/29>, abgerufen am 21.11.2024.