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Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

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dem Nebel der Einkleidung oder in der Unverständlichkeit der
Darstellung den Schein der Wahrheit gewinnen. Das Neue
gehört vor das Forum urtheilsfähiger, ruhig erwägender Män-
ner, nicht vor die Ohren unreifer Jünglinge, in die Akademie,
nicht in den Hörsaal der Studenten.

Darum muß ich den Begriff der Lehrfreiheit in
der Ausdehnung, die man ihm gegeben hat, bekämpfen. Ver-
steht man darunter die Freiheit, jedes Ergebniß wissenschaftli-
cher Forschung vor das Publikum überhaupt bringen zu
dürfen, ich stimme bei. Denn den Geist soll man nicht ban-
nen. Dasselbe gilt, wenn man verlangt, daß der akademische
Lehrer nicht sclavisch an die bisherige Ausbeute früherer For-
schungen gebunden sei. Daß ein Solcher aber vor Jünglingen
lehren dürfe, was er für wahr hält, im Widerspruche mit
Allem, was bisher für allgemein gültig angesehen wurde, das
ist offenbar recht eigentlich ein Extrem. Nur bis dahin darf
der Begriff der akademischen Lehrfreiheit ausgedehnt werden,
daß der Lehrer, besonders der einer positiven Wissenschaft, die
Einwendungen gegen dieselbe, die Andere zu machen haben
oder er selbst, auch mittheile, mit den tieferen Gründen pro
und contra. Eine Verpflichtung auf symbolische Bücher kann
kein die freie Entwickelung Liebender wollen; aber eine unbe-
schränkte Ausdehnung des vagen Begriffs der Lehrfreiheit
kann auch eine Willkür erzeugen, welche eine Erscheinung her-
beiführt, von der wir heut zu Tage in der Philosophie nicht
sehr fern sind, die, daß junge Philosophen wohl die aller-
neueste Philosophie kennen oder zu kennen glauben, aber mit
dem Inhalte des philosophischen Bewußtseins aus allen frü-
heren Jahrhunderten fast durchweg unbekannt sind. Zuerst
muß man den Lernenden auf den Standpunkt zu stellen su-
chen, auf dem man in Betreff einer Wissenschaft im Allge-

dem Nebel der Einkleidung oder in der Unverſtaͤndlichkeit der
Darſtellung den Schein der Wahrheit gewinnen. Das Neue
gehoͤrt vor das Forum urtheilsfaͤhiger, ruhig erwaͤgender Maͤn-
ner, nicht vor die Ohren unreifer Juͤnglinge, in die Akademie,
nicht in den Hoͤrſaal der Studenten.

Darum muß ich den Begriff der Lehrfreiheit in
der Ausdehnung, die man ihm gegeben hat, bekaͤmpfen. Ver-
ſteht man darunter die Freiheit, jedes Ergebniß wiſſenſchaftli-
cher Forſchung vor das Publikum uͤberhaupt bringen zu
duͤrfen, ich ſtimme bei. Denn den Geiſt ſoll man nicht ban-
nen. Daſſelbe gilt, wenn man verlangt, daß der akademiſche
Lehrer nicht ſclaviſch an die bisherige Ausbeute fruͤherer For-
ſchungen gebunden ſei. Daß ein Solcher aber vor Juͤnglingen
lehren duͤrfe, was er fuͤr wahr haͤlt, im Widerſpruche mit
Allem, was bisher fuͤr allgemein guͤltig angeſehen wurde, das
iſt offenbar recht eigentlich ein Extrem. Nur bis dahin darf
der Begriff der akademiſchen Lehrfreiheit ausgedehnt werden,
daß der Lehrer, beſonders der einer poſitiven Wiſſenſchaft, die
Einwendungen gegen dieſelbe, die Andere zu machen haben
oder er ſelbſt, auch mittheile, mit den tieferen Gruͤnden pro
und contra. Eine Verpflichtung auf ſymboliſche Buͤcher kann
kein die freie Entwickelung Liebender wollen; aber eine unbe-
ſchraͤnkte Ausdehnung des vagen Begriffs der Lehrfreiheit
kann auch eine Willkuͤr erzeugen, welche eine Erſcheinung her-
beifuͤhrt, von der wir heut zu Tage in der Philoſophie nicht
ſehr fern ſind, die, daß junge Philoſophen wohl die aller-
neueſte Philoſophie kennen oder zu kennen glauben, aber mit
dem Inhalte des philoſophiſchen Bewußtſeins aus allen fruͤ-
heren Jahrhunderten faſt durchweg unbekannt ſind. Zuerſt
muß man den Lernenden auf den Standpunkt zu ſtellen ſu-
chen, auf dem man in Betreff einer Wiſſenſchaft im Allge-

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[10/0028] dem Nebel der Einkleidung oder in der Unverſtaͤndlichkeit der Darſtellung den Schein der Wahrheit gewinnen. Das Neue gehoͤrt vor das Forum urtheilsfaͤhiger, ruhig erwaͤgender Maͤn- ner, nicht vor die Ohren unreifer Juͤnglinge, in die Akademie, nicht in den Hoͤrſaal der Studenten. Darum muß ich den Begriff der Lehrfreiheit in der Ausdehnung, die man ihm gegeben hat, bekaͤmpfen. Ver- ſteht man darunter die Freiheit, jedes Ergebniß wiſſenſchaftli- cher Forſchung vor das Publikum uͤberhaupt bringen zu duͤrfen, ich ſtimme bei. Denn den Geiſt ſoll man nicht ban- nen. Daſſelbe gilt, wenn man verlangt, daß der akademiſche Lehrer nicht ſclaviſch an die bisherige Ausbeute fruͤherer For- ſchungen gebunden ſei. Daß ein Solcher aber vor Juͤnglingen lehren duͤrfe, was er fuͤr wahr haͤlt, im Widerſpruche mit Allem, was bisher fuͤr allgemein guͤltig angeſehen wurde, das iſt offenbar recht eigentlich ein Extrem. Nur bis dahin darf der Begriff der akademiſchen Lehrfreiheit ausgedehnt werden, daß der Lehrer, beſonders der einer poſitiven Wiſſenſchaft, die Einwendungen gegen dieſelbe, die Andere zu machen haben oder er ſelbſt, auch mittheile, mit den tieferen Gruͤnden pro und contra. Eine Verpflichtung auf ſymboliſche Buͤcher kann kein die freie Entwickelung Liebender wollen; aber eine unbe- ſchraͤnkte Ausdehnung des vagen Begriffs der Lehrfreiheit kann auch eine Willkuͤr erzeugen, welche eine Erſcheinung her- beifuͤhrt, von der wir heut zu Tage in der Philoſophie nicht ſehr fern ſind, die, daß junge Philoſophen wohl die aller- neueſte Philoſophie kennen oder zu kennen glauben, aber mit dem Inhalte des philoſophiſchen Bewußtſeins aus allen fruͤ- heren Jahrhunderten faſt durchweg unbekannt ſind. Zuerſt muß man den Lernenden auf den Standpunkt zu ſtellen ſu- chen, auf dem man in Betreff einer Wiſſenſchaft im Allge-

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Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/28>, abgerufen am 09.11.2024.