Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.Wissenschaft vorzutragen und ihren Geist durch die Erforschung Wiſſenſchaft vorzutragen und ihren Geiſt durch die Erforſchung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0027" n="9"/> Wiſſenſchaft vorzutragen und ihren Geiſt durch die Erforſchung<lb/> dieſer Wahrheit zu bilden. Was iſt Wahrheit? fragen wir<lb/> heute noch wie vor Jahrtauſenden. Das iſt ganz richtig.<lb/> Aber daraus kann doch nur die hoͤchſte Sophiſtik oder die<lb/> ſtumpfeſte Gleichguͤltigkeit gegen das durch Jahrhunderte hin-<lb/> durch erbeutete Gemeingut der Wahrheit den Schluß ziehen,<lb/> daß es recht und billig oder auch nur erlaubt oder wohl gar<lb/> zweckmaͤßig ſei, unſern akademiſchen Juͤnglingen, d. h. Leuten,<lb/> denen man in der Regel die Gabe tieferer Pruͤfung nicht zu-<lb/> trauen kann, funkelnagelneue Wahrheiten, wie ſie vielleicht<lb/> in der vorhergehenden Nacht in einem, wenn auch noch ſo<lb/> begeiſterten Hirne entſprungen ſind, vorzutragen und vorzule-<lb/> gen — als ewige Wahrheit. Unſre akademiſchen Juͤnglinge<lb/> ſind in den Wiſſenſchaften Neulinge, die wenigſten ſind zur<lb/> freien Forſchung befaͤhigt, ihre Lehrer, beſonders die mit Ruhm<lb/> umgebenen, gefeierten, ſind fuͤr ſie Autoritaͤten. Sie nehmen<lb/> an, was man ihnen ſagt, ſie ſprechen nach, was ſie hoͤren,<lb/> ſie lernen, was man ſie lehrt. Die natuͤrlichſte Forderung<lb/> waͤre daher doch wohl die, daß man ſie zuerſt mit dem bishe-<lb/> rigen Ertrage der Wiſſenſchaft, mit dem, was in ihr als all-<lb/> gemein guͤltig angeſehen wird, bekannt mache, nicht aber ihren<lb/> Kopf mit Saͤtzen anfuͤlle, die vielleicht unmittelbar nachher<lb/> als grundlos und falſch nachgewieſen werden. Wohl, auch<lb/> von Jenem bleibt ihnen der formale Gewinn, <hi rendition="#g">wenn nur</hi><lb/> die Lehrmethode geiſtweckend geweſen; aber wie ſelten iſt dieß!<lb/> Und wenn es iſt, iſt es dann nicht viel beſſer, daß die bil-<lb/> dende Methode ſich mit feſtem, bleibenden Inhalt beſchaͤftige?<lb/> Nein, es iſt ein unverzeihlicher, in der That faſt unbegreifli-<lb/> cher Mißgriff, daß man jungen Leuten von 18—20 Jahren<lb/> Dinge vortraͤgt, welche noch gar keine Pruͤfung beſtanden, oft<lb/> nur in der Einbildung ihres Urhebers Grund haben, aber in<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [9/0027]
Wiſſenſchaft vorzutragen und ihren Geiſt durch die Erforſchung
dieſer Wahrheit zu bilden. Was iſt Wahrheit? fragen wir
heute noch wie vor Jahrtauſenden. Das iſt ganz richtig.
Aber daraus kann doch nur die hoͤchſte Sophiſtik oder die
ſtumpfeſte Gleichguͤltigkeit gegen das durch Jahrhunderte hin-
durch erbeutete Gemeingut der Wahrheit den Schluß ziehen,
daß es recht und billig oder auch nur erlaubt oder wohl gar
zweckmaͤßig ſei, unſern akademiſchen Juͤnglingen, d. h. Leuten,
denen man in der Regel die Gabe tieferer Pruͤfung nicht zu-
trauen kann, funkelnagelneue Wahrheiten, wie ſie vielleicht
in der vorhergehenden Nacht in einem, wenn auch noch ſo
begeiſterten Hirne entſprungen ſind, vorzutragen und vorzule-
gen — als ewige Wahrheit. Unſre akademiſchen Juͤnglinge
ſind in den Wiſſenſchaften Neulinge, die wenigſten ſind zur
freien Forſchung befaͤhigt, ihre Lehrer, beſonders die mit Ruhm
umgebenen, gefeierten, ſind fuͤr ſie Autoritaͤten. Sie nehmen
an, was man ihnen ſagt, ſie ſprechen nach, was ſie hoͤren,
ſie lernen, was man ſie lehrt. Die natuͤrlichſte Forderung
waͤre daher doch wohl die, daß man ſie zuerſt mit dem bishe-
rigen Ertrage der Wiſſenſchaft, mit dem, was in ihr als all-
gemein guͤltig angeſehen wird, bekannt mache, nicht aber ihren
Kopf mit Saͤtzen anfuͤlle, die vielleicht unmittelbar nachher
als grundlos und falſch nachgewieſen werden. Wohl, auch
von Jenem bleibt ihnen der formale Gewinn, wenn nur
die Lehrmethode geiſtweckend geweſen; aber wie ſelten iſt dieß!
Und wenn es iſt, iſt es dann nicht viel beſſer, daß die bil-
dende Methode ſich mit feſtem, bleibenden Inhalt beſchaͤftige?
Nein, es iſt ein unverzeihlicher, in der That faſt unbegreifli-
cher Mißgriff, daß man jungen Leuten von 18—20 Jahren
Dinge vortraͤgt, welche noch gar keine Pruͤfung beſtanden, oft
nur in der Einbildung ihres Urhebers Grund haben, aber in
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