Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Nacht gewöhnt, und durch die Raketen und Leuchtkugeln ge-
blendet, die Fähigkeit, das reine Sonnenlicht der Wahrheit
und die Einfachheit des Gedankens hochzuschätzen, und das
Wohlgefallen an einfacher, schmuckloser Darstellung. Darum
sollte jeder Professor diese verderbliche Darstellungsweise den
Neu-Romantikern und den Novellisten überlassen.

Eine Universität ist um der Studirenden willen da. Ihr
Werth beruht auf der Wirkung auf dieselben. Diese läßt sich
erkennen aus dem Verhältniß der Gesinnung der Studirenden
gegen die Lehrer. Und diese geht hervor aus den Aeußerungen
jener über diese. Wer weiß es nicht, wie oft sie ohne Ach-
tung, meist ohne Dankbarkeit, ohne Pietät, ohne Vertrauen,
an den Professoren eine bittere Kritik üben, Witz und Spott
über sie ergehen lassen. Manches Anekdötchen wäre davon zu
erzählen, paßte es zu dem Ernste des Gegenstandes. Aber
sicherlich ist keine Kritik schärfer und -- niederschlagender (für
den, der es weiß, worauf daraus zu schließen ist, und daß
die pädagogische Wirkung eines Menschen auf einen Andern
von der Achtung abhängt, in der er bei ihm steht) als die der
Studenten über die Lehrer. Ohne Scheu wird da in öffentli-
cher Gesellschaft und an Wirthstafeln erzählt, wie der und
der sein altes Heft bereits seit zwei und mehreren Jahrzehnten
ablieset und an bestimmten Stellen Witze reißet; wie ein An-
derer bei der Bitte um Erlassung oder Stundung des Hono-
rars sich schmutzig knickerig zeigt; was Frau Fama von dem
Privatleben eines Dritten zu erzählen weiß. Nein, es ist
mir oft weh um's Herz geworden, wenn sich mir bei solchen
Erscheinungen die Betrachtung aufdrängte, was für unselige
Folgen diese von einzelnen Erfahrungen nur zu leicht auf die
Gesammtheit gerichtete Ansicht von dem geistigen Streben, der
Gesinnung und dem Leben der Professoren auf die Richtung

Nacht gewoͤhnt, und durch die Raketen und Leuchtkugeln ge-
blendet, die Faͤhigkeit, das reine Sonnenlicht der Wahrheit
und die Einfachheit des Gedankens hochzuſchaͤtzen, und das
Wohlgefallen an einfacher, ſchmuckloſer Darſtellung. Darum
ſollte jeder Profeſſor dieſe verderbliche Darſtellungsweiſe den
Neu-Romantikern und den Novelliſten uͤberlaſſen.

Eine Univerſitaͤt iſt um der Studirenden willen da. Ihr
Werth beruht auf der Wirkung auf dieſelben. Dieſe laͤßt ſich
erkennen aus dem Verhaͤltniß der Geſinnung der Studirenden
gegen die Lehrer. Und dieſe geht hervor aus den Aeußerungen
jener uͤber dieſe. Wer weiß es nicht, wie oft ſie ohne Ach-
tung, meiſt ohne Dankbarkeit, ohne Pietaͤt, ohne Vertrauen,
an den Profeſſoren eine bittere Kritik uͤben, Witz und Spott
uͤber ſie ergehen laſſen. Manches Anekdoͤtchen waͤre davon zu
erzaͤhlen, paßte es zu dem Ernſte des Gegenſtandes. Aber
ſicherlich iſt keine Kritik ſchaͤrfer und — niederſchlagender (fuͤr
den, der es weiß, worauf daraus zu ſchließen iſt, und daß
die paͤdagogiſche Wirkung eines Menſchen auf einen Andern
von der Achtung abhaͤngt, in der er bei ihm ſteht) als die der
Studenten uͤber die Lehrer. Ohne Scheu wird da in oͤffentli-
cher Geſellſchaft und an Wirthstafeln erzaͤhlt, wie der und
der ſein altes Heft bereits ſeit zwei und mehreren Jahrzehnten
ablieſet und an beſtimmten Stellen Witze reißet; wie ein An-
derer bei der Bitte um Erlaſſung oder Stundung des Hono-
rars ſich ſchmutzig knickerig zeigt; was Frau Fama von dem
Privatleben eines Dritten zu erzaͤhlen weiß. Nein, es iſt
mir oft weh um’s Herz geworden, wenn ſich mir bei ſolchen
Erſcheinungen die Betrachtung aufdraͤngte, was fuͤr unſelige
Folgen dieſe von einzelnen Erfahrungen nur zu leicht auf die
Geſammtheit gerichtete Anſicht von dem geiſtigen Streben, der
Geſinnung und dem Leben der Profeſſoren auf die Richtung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0074" n="56"/>
Nacht gewo&#x0364;hnt, und durch die Raketen und Leuchtkugeln ge-<lb/>
blendet, die Fa&#x0364;higkeit, das reine Sonnenlicht der Wahrheit<lb/>
und die Einfachheit des Gedankens hochzu&#x017F;cha&#x0364;tzen, und das<lb/>
Wohlgefallen an einfacher, &#x017F;chmucklo&#x017F;er Dar&#x017F;tellung. Darum<lb/>
&#x017F;ollte jeder Profe&#x017F;&#x017F;or die&#x017F;e verderbliche Dar&#x017F;tellungswei&#x017F;e den<lb/>
Neu-Romantikern und den Novelli&#x017F;ten u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Eine Univer&#x017F;ita&#x0364;t i&#x017F;t um der Studirenden willen da. Ihr<lb/>
Werth beruht auf der Wirkung auf die&#x017F;elben. Die&#x017F;e la&#x0364;ßt &#x017F;ich<lb/>
erkennen aus dem Verha&#x0364;ltniß der Ge&#x017F;innung der Studirenden<lb/>
gegen die Lehrer. Und die&#x017F;e geht hervor aus den Aeußerungen<lb/>
jener u&#x0364;ber die&#x017F;e. Wer weiß es nicht, wie oft &#x017F;ie ohne Ach-<lb/>
tung, mei&#x017F;t ohne Dankbarkeit, ohne Pieta&#x0364;t, ohne Vertrauen,<lb/>
an den Profe&#x017F;&#x017F;oren eine bittere Kritik u&#x0364;ben, Witz und Spott<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;ie ergehen la&#x017F;&#x017F;en. Manches Anekdo&#x0364;tchen wa&#x0364;re davon zu<lb/>
erza&#x0364;hlen, paßte es zu dem Ern&#x017F;te des Gegen&#x017F;tandes. Aber<lb/>
&#x017F;icherlich i&#x017F;t keine Kritik &#x017F;cha&#x0364;rfer und &#x2014; nieder&#x017F;chlagender (fu&#x0364;r<lb/>
den, der es weiß, worauf daraus zu &#x017F;chließen i&#x017F;t, und daß<lb/>
die pa&#x0364;dagogi&#x017F;che Wirkung eines Men&#x017F;chen auf einen Andern<lb/>
von der Achtung abha&#x0364;ngt, in der er bei ihm &#x017F;teht) als die der<lb/>
Studenten u&#x0364;ber die Lehrer. Ohne Scheu wird da in o&#x0364;ffentli-<lb/>
cher Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft und an Wirthstafeln erza&#x0364;hlt, wie der und<lb/>
der &#x017F;ein altes Heft bereits &#x017F;eit zwei und mehreren Jahrzehnten<lb/>
ablie&#x017F;et und an be&#x017F;timmten Stellen Witze reißet; wie ein An-<lb/>
derer bei der Bitte um Erla&#x017F;&#x017F;ung oder Stundung des Hono-<lb/>
rars &#x017F;ich &#x017F;chmutzig knickerig zeigt; was Frau Fama von dem<lb/>
Privatleben eines Dritten zu erza&#x0364;hlen weiß. Nein, es i&#x017F;t<lb/>
mir oft weh um&#x2019;s Herz geworden, wenn &#x017F;ich mir bei &#x017F;olchen<lb/>
Er&#x017F;cheinungen die Betrachtung aufdra&#x0364;ngte, was fu&#x0364;r un&#x017F;elige<lb/>
Folgen die&#x017F;e von einzelnen Erfahrungen nur zu leicht auf die<lb/>
Ge&#x017F;ammtheit gerichtete An&#x017F;icht von dem gei&#x017F;tigen Streben, der<lb/>
Ge&#x017F;innung und dem Leben der Profe&#x017F;&#x017F;oren auf die Richtung<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0074] Nacht gewoͤhnt, und durch die Raketen und Leuchtkugeln ge- blendet, die Faͤhigkeit, das reine Sonnenlicht der Wahrheit und die Einfachheit des Gedankens hochzuſchaͤtzen, und das Wohlgefallen an einfacher, ſchmuckloſer Darſtellung. Darum ſollte jeder Profeſſor dieſe verderbliche Darſtellungsweiſe den Neu-Romantikern und den Novelliſten uͤberlaſſen. Eine Univerſitaͤt iſt um der Studirenden willen da. Ihr Werth beruht auf der Wirkung auf dieſelben. Dieſe laͤßt ſich erkennen aus dem Verhaͤltniß der Geſinnung der Studirenden gegen die Lehrer. Und dieſe geht hervor aus den Aeußerungen jener uͤber dieſe. Wer weiß es nicht, wie oft ſie ohne Ach- tung, meiſt ohne Dankbarkeit, ohne Pietaͤt, ohne Vertrauen, an den Profeſſoren eine bittere Kritik uͤben, Witz und Spott uͤber ſie ergehen laſſen. Manches Anekdoͤtchen waͤre davon zu erzaͤhlen, paßte es zu dem Ernſte des Gegenſtandes. Aber ſicherlich iſt keine Kritik ſchaͤrfer und — niederſchlagender (fuͤr den, der es weiß, worauf daraus zu ſchließen iſt, und daß die paͤdagogiſche Wirkung eines Menſchen auf einen Andern von der Achtung abhaͤngt, in der er bei ihm ſteht) als die der Studenten uͤber die Lehrer. Ohne Scheu wird da in oͤffentli- cher Geſellſchaft und an Wirthstafeln erzaͤhlt, wie der und der ſein altes Heft bereits ſeit zwei und mehreren Jahrzehnten ablieſet und an beſtimmten Stellen Witze reißet; wie ein An- derer bei der Bitte um Erlaſſung oder Stundung des Hono- rars ſich ſchmutzig knickerig zeigt; was Frau Fama von dem Privatleben eines Dritten zu erzaͤhlen weiß. Nein, es iſt mir oft weh um’s Herz geworden, wenn ſich mir bei ſolchen Erſcheinungen die Betrachtung aufdraͤngte, was fuͤr unſelige Folgen dieſe von einzelnen Erfahrungen nur zu leicht auf die Geſammtheit gerichtete Anſicht von dem geiſtigen Streben, der Geſinnung und dem Leben der Profeſſoren auf die Richtung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/74
Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/74>, abgerufen am 15.05.2024.