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Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

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Entfernung von den Professoren, wozu sie sich, besonders in
großen Städten, genöthigt sehen! Mit welcher Freude wür-
den sie eine Einrichtung begrüßen, die nur dem Museum in
Tübingen gliche, was doch gewiß nicht viel sagen will! Aber
es ist Zeit! Oder soll das Land noch einmal den Schmerz
erleben, verbrecherische Verbindungen und deren Folgen ent-
stehen zu sehen, falls es dem gallischen Hahne einfallen sollte,
zum dritten Male zu krähen? Ist es schon verderblich, in
den ruhigsten Zeiten die Kraft der deutschen Jünglinge nicht
in jeder Weise zu erregen und zu üben, so erreicht solches
Verderben den Gipfel in Zeiten, in welchen die Wogen der
Völkerbewegungen an die Gränzen des deutschen Landes an-
schlagen, wenn die Winde neuer Ansichten aus allen Welt-
gegenden blasen, wenn die Sterne des Himmels zu erblassen
anfangen, eine neue Sonne aufgeht, und die Pole der Welt-
geschichte sich ändern! Nur gebe man -- es ist nicht genug
zu wiederholen -- sich dem Wahne nicht hin, als könne man
den bewegten Strom durch bloße Machtgebote und Befehle,
durch Verbote aller Art oder durch kleinliche Bevormundung
in sein Bett wieder hineinlenken! Man braucht unsere Jugend
nicht zu kennen, man braucht nur zu sehen und zu hören,
um sich von der Gefahr, die dieser Wahn herbeiführen könnte,
zu überzeugen. Doch der Eintritt dieser Gefahr ist nicht zu
besorgen. An den Universitätslehrern selbst findet das Gegen-
theil seine Vertheidiger. Denn eine streng pädagogische Beauf-
sichtigung der Studenten würde doch -- das fühlen sie -- zu-
letzt von ihnen selbst gefordert werden. Vor nichts aber haben
sie eine größere Scheu, als vor positiven Leistungen. Sie lie-
ben das Dociren über die Maßen; alles Andere ist ihnen ein
Greuel. Auch wir verabscheuen die Knechtung freier Männer
durch Aufladung von kleinlicher Controlle und Anfertigung von

Entfernung von den Profeſſoren, wozu ſie ſich, beſonders in
großen Staͤdten, genoͤthigt ſehen! Mit welcher Freude wuͤr-
den ſie eine Einrichtung begruͤßen, die nur dem Muſeum in
Tuͤbingen gliche, was doch gewiß nicht viel ſagen will! Aber
es iſt Zeit! Oder ſoll das Land noch einmal den Schmerz
erleben, verbrecheriſche Verbindungen und deren Folgen ent-
ſtehen zu ſehen, falls es dem galliſchen Hahne einfallen ſollte,
zum dritten Male zu kraͤhen? Iſt es ſchon verderblich, in
den ruhigſten Zeiten die Kraft der deutſchen Juͤnglinge nicht
in jeder Weiſe zu erregen und zu uͤben, ſo erreicht ſolches
Verderben den Gipfel in Zeiten, in welchen die Wogen der
Voͤlkerbewegungen an die Graͤnzen des deutſchen Landes an-
ſchlagen, wenn die Winde neuer Anſichten aus allen Welt-
gegenden blaſen, wenn die Sterne des Himmels zu erblaſſen
anfangen, eine neue Sonne aufgeht, und die Pole der Welt-
geſchichte ſich aͤndern! Nur gebe man — es iſt nicht genug
zu wiederholen — ſich dem Wahne nicht hin, als koͤnne man
den bewegten Strom durch bloße Machtgebote und Befehle,
durch Verbote aller Art oder durch kleinliche Bevormundung
in ſein Bett wieder hineinlenken! Man braucht unſere Jugend
nicht zu kennen, man braucht nur zu ſehen und zu hoͤren,
um ſich von der Gefahr, die dieſer Wahn herbeifuͤhren koͤnnte,
zu uͤberzeugen. Doch der Eintritt dieſer Gefahr iſt nicht zu
beſorgen. An den Univerſitaͤtslehrern ſelbſt findet das Gegen-
theil ſeine Vertheidiger. Denn eine ſtreng paͤdagogiſche Beauf-
ſichtigung der Studenten wuͤrde doch — das fuͤhlen ſie — zu-
letzt von ihnen ſelbſt gefordert werden. Vor nichts aber haben
ſie eine groͤßere Scheu, als vor poſitiven Leiſtungen. Sie lie-
ben das Dociren uͤber die Maßen; alles Andere iſt ihnen ein
Greuel. Auch wir verabſcheuen die Knechtung freier Maͤnner
durch Aufladung von kleinlicher Controlle und Anfertigung von

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[60/0078] Entfernung von den Profeſſoren, wozu ſie ſich, beſonders in großen Staͤdten, genoͤthigt ſehen! Mit welcher Freude wuͤr- den ſie eine Einrichtung begruͤßen, die nur dem Muſeum in Tuͤbingen gliche, was doch gewiß nicht viel ſagen will! Aber es iſt Zeit! Oder ſoll das Land noch einmal den Schmerz erleben, verbrecheriſche Verbindungen und deren Folgen ent- ſtehen zu ſehen, falls es dem galliſchen Hahne einfallen ſollte, zum dritten Male zu kraͤhen? Iſt es ſchon verderblich, in den ruhigſten Zeiten die Kraft der deutſchen Juͤnglinge nicht in jeder Weiſe zu erregen und zu uͤben, ſo erreicht ſolches Verderben den Gipfel in Zeiten, in welchen die Wogen der Voͤlkerbewegungen an die Graͤnzen des deutſchen Landes an- ſchlagen, wenn die Winde neuer Anſichten aus allen Welt- gegenden blaſen, wenn die Sterne des Himmels zu erblaſſen anfangen, eine neue Sonne aufgeht, und die Pole der Welt- geſchichte ſich aͤndern! Nur gebe man — es iſt nicht genug zu wiederholen — ſich dem Wahne nicht hin, als koͤnne man den bewegten Strom durch bloße Machtgebote und Befehle, durch Verbote aller Art oder durch kleinliche Bevormundung in ſein Bett wieder hineinlenken! Man braucht unſere Jugend nicht zu kennen, man braucht nur zu ſehen und zu hoͤren, um ſich von der Gefahr, die dieſer Wahn herbeifuͤhren koͤnnte, zu uͤberzeugen. Doch der Eintritt dieſer Gefahr iſt nicht zu beſorgen. An den Univerſitaͤtslehrern ſelbſt findet das Gegen- theil ſeine Vertheidiger. Denn eine ſtreng paͤdagogiſche Beauf- ſichtigung der Studenten wuͤrde doch — das fuͤhlen ſie — zu- letzt von ihnen ſelbſt gefordert werden. Vor nichts aber haben ſie eine groͤßere Scheu, als vor poſitiven Leiſtungen. Sie lie- ben das Dociren uͤber die Maßen; alles Andere iſt ihnen ein Greuel. Auch wir verabſcheuen die Knechtung freier Maͤnner durch Aufladung von kleinlicher Controlle und Anfertigung von

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Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/78>, abgerufen am 21.11.2024.