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Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

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ist ein Nagel, der seine Sittlichkeit befestigt. In kleineren
Städten findet er dieses Bedürfniß leicht befriedigt, nicht in
den großen oder größten. Hier stehen die Menschen einander
überhaupt fern; in den großen Häusern wohnen oft Hunderte
zusammen -- der Mensch fällt in seinem Preise; enges An-
schließen, genaues Kennenlernen ist nicht mehr möglich; Jeder
läßt den Andern gehen; der Jüngling ist sich selbst überlassen;
die Bande, die ihn an den Bürger anschließen, werden locke-
rer, die Möglichkeit zum leichten Leben, zum Libertinismus
größer.

Es ist Sitte geworden, daß der Student sein Quartier
monatweise miethe. Ehemals geschah es auf Semester,
als noch die akademischen Uhren ganze halbe Jahre liefen.
Seitdem sie aber oft schon in drei oder vier Monaten abge-
laufen sind, findet der Student seinen Vortheil bei kürzeren
Terminen. Gefällt es ihm nicht, gefällt er nicht, er zieht
weiter. Natürlich ist unter solchen Conjuncturen an ein ge-
genseitiges Anschließen von Student und Bürger gar nicht zu
denken. Jener macht unbedingte Forderungen, dieser sucht
von der kurzen Frist des Zusammenlebens möglichst hohen Ge-
winn zu ziehen. Egoismus hier, Egoismus da, natürlich am
potenzirtesten in großen Städten. Eine zweite Quelle des Li-
bertinismus.

Nachdem er sich eingemiethet, sucht er sich eine Restau-
ration. In den besten Fällen tritt er mit einer Gesellschaft
von Studenten zusammen, die regelmäßig zusammen essen.
Denn dadurch entsteht ein gegenseitiges Anschließen, eine Zu-
sammengehörigkeit. Aber in vielen Fällen fehlt es den Einzel-
nen dazu an Bekanntschaft, Gelegenheit. Mancher liebt auch
die Willkür. Heute möchte er um Zwölf, morgen um Drei,
übermorgen gar nicht essen. Auch ist das Auswählen der

iſt ein Nagel, der ſeine Sittlichkeit befeſtigt. In kleineren
Staͤdten findet er dieſes Beduͤrfniß leicht befriedigt, nicht in
den großen oder groͤßten. Hier ſtehen die Menſchen einander
uͤberhaupt fern; in den großen Haͤuſern wohnen oft Hunderte
zuſammen — der Menſch faͤllt in ſeinem Preiſe; enges An-
ſchließen, genaues Kennenlernen iſt nicht mehr moͤglich; Jeder
laͤßt den Andern gehen; der Juͤngling iſt ſich ſelbſt uͤberlaſſen;
die Bande, die ihn an den Buͤrger anſchließen, werden locke-
rer, die Moͤglichkeit zum leichten Leben, zum Libertinismus
groͤßer.

Es iſt Sitte geworden, daß der Student ſein Quartier
monatweiſe miethe. Ehemals geſchah es auf Semeſter,
als noch die akademiſchen Uhren ganze halbe Jahre liefen.
Seitdem ſie aber oft ſchon in drei oder vier Monaten abge-
laufen ſind, findet der Student ſeinen Vortheil bei kuͤrzeren
Terminen. Gefaͤllt es ihm nicht, gefaͤllt er nicht, er zieht
weiter. Natuͤrlich iſt unter ſolchen Conjuncturen an ein ge-
genſeitiges Anſchließen von Student und Buͤrger gar nicht zu
denken. Jener macht unbedingte Forderungen, dieſer ſucht
von der kurzen Friſt des Zuſammenlebens moͤglichſt hohen Ge-
winn zu ziehen. Egoismus hier, Egoismus da, natuͤrlich am
potenzirteſten in großen Staͤdten. Eine zweite Quelle des Li-
bertinismus.

Nachdem er ſich eingemiethet, ſucht er ſich eine Reſtau-
ration. In den beſten Faͤllen tritt er mit einer Geſellſchaft
von Studenten zuſammen, die regelmaͤßig zuſammen eſſen.
Denn dadurch entſteht ein gegenſeitiges Anſchließen, eine Zu-
ſammengehoͤrigkeit. Aber in vielen Faͤllen fehlt es den Einzel-
nen dazu an Bekanntſchaft, Gelegenheit. Mancher liebt auch
die Willkuͤr. Heute moͤchte er um Zwoͤlf, morgen um Drei,
uͤbermorgen gar nicht eſſen. Auch iſt das Auswaͤhlen der

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[63/0081] iſt ein Nagel, der ſeine Sittlichkeit befeſtigt. In kleineren Staͤdten findet er dieſes Beduͤrfniß leicht befriedigt, nicht in den großen oder groͤßten. Hier ſtehen die Menſchen einander uͤberhaupt fern; in den großen Haͤuſern wohnen oft Hunderte zuſammen — der Menſch faͤllt in ſeinem Preiſe; enges An- ſchließen, genaues Kennenlernen iſt nicht mehr moͤglich; Jeder laͤßt den Andern gehen; der Juͤngling iſt ſich ſelbſt uͤberlaſſen; die Bande, die ihn an den Buͤrger anſchließen, werden locke- rer, die Moͤglichkeit zum leichten Leben, zum Libertinismus groͤßer. Es iſt Sitte geworden, daß der Student ſein Quartier monatweiſe miethe. Ehemals geſchah es auf Semeſter, als noch die akademiſchen Uhren ganze halbe Jahre liefen. Seitdem ſie aber oft ſchon in drei oder vier Monaten abge- laufen ſind, findet der Student ſeinen Vortheil bei kuͤrzeren Terminen. Gefaͤllt es ihm nicht, gefaͤllt er nicht, er zieht weiter. Natuͤrlich iſt unter ſolchen Conjuncturen an ein ge- genſeitiges Anſchließen von Student und Buͤrger gar nicht zu denken. Jener macht unbedingte Forderungen, dieſer ſucht von der kurzen Friſt des Zuſammenlebens moͤglichſt hohen Ge- winn zu ziehen. Egoismus hier, Egoismus da, natuͤrlich am potenzirteſten in großen Staͤdten. Eine zweite Quelle des Li- bertinismus. Nachdem er ſich eingemiethet, ſucht er ſich eine Reſtau- ration. In den beſten Faͤllen tritt er mit einer Geſellſchaft von Studenten zuſammen, die regelmaͤßig zuſammen eſſen. Denn dadurch entſteht ein gegenſeitiges Anſchließen, eine Zu- ſammengehoͤrigkeit. Aber in vielen Faͤllen fehlt es den Einzel- nen dazu an Bekanntſchaft, Gelegenheit. Mancher liebt auch die Willkuͤr. Heute moͤchte er um Zwoͤlf, morgen um Drei, uͤbermorgen gar nicht eſſen. Auch iſt das Auswaͤhlen der

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Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/81>, abgerufen am 21.11.2024.