Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Hunde hatten ihn bis auf die Knochen gefressen. An den beigelegenen Scheermessern und Lanzetten erkannt man, daß es der verlorne Barbiergeselle gewesen.

Als es unterwegens ganz finster geworden, ließ ich meinem Pferd freien Gang, der ihm bekannt war, und ich ohngefähr an den Ort des Gerichts kam. Stund mein Pferd mit eins, brausete und wollte stracks umbkehren. Ich erschrak und wußte nicht, was das war? Ich sporete das Pferd wieder auf den rechten Weg. Aber nein, es wollte nicht fort. Ich zog eine Pistole raus und gab Feuer, nach Soldaten-Gebrauch, und da sahe ich im Dämmrigen, als wenn etliche Kerl in der Luft sich regeten. Ich sahe genauer zu. Da war ich bei dem Galgen. Da kam mir ein Grauen an und ritt linker Hand einen andern Weg zu meinem Quartier.

Des andern Tages erfuhr ich: daß diese Nacht die Diebe vom Galgen gestohlen wären. - Also soll man sich warnen lassen, des Abends nicht auszureisen, sondern lieber bleiben, wo man ist; denn die Nacht ist niemands Freund.

Ich erinnere mich hiebei zum Preise meines GOttes nicht zu verschweigen, daß, als ich noch in der Veste Crempe lag, und einiger Verrichtung halber zu Fuße nach Glückstadt zwei Meiln gegangen, ich mich auch in die Nacht verspätet hatte. Und da ich vor die Festung kame, war sie schon zu und die Brücken aufgezogen. Da kein Mensch mehr herein- und rauskonnte, mußte ich in finsterer Nacht herumwandern. Und weil es da voll Wassergräben ist, wo die Bauren mit ihren Springestöcken (als in den Marschländern daselbst gebräuchlich) überspringen, konnte ich nicht nüber. Zurückgehen wollte ich nicht. Sahe ich von ferne ein Licht auf dem Berge, wozu ich kommen konnte. Meinete: es müßte ein Dorf da sein. Aber es

Die Hunde hatten ihn bis auf die Knochen gefressen. An den beigelegenen Scheermessern und Lanzetten erkannt man, daß es der verlorne Barbiergeselle gewesen.

Als es unterwegens ganz finster geworden, ließ ich meinem Pferd freien Gang, der ihm bekannt war, und ich ohngefähr an den Ort des Gerichts kam. Stund mein Pferd mit eins, brausete und wollte stracks umbkehren. Ich erschrak und wußte nicht, was das war? Ich sporete das Pferd wieder auf den rechten Weg. Aber nein, es wollte nicht fort. Ich zog eine Pistole raus und gab Feuer, nach Soldaten-Gebrauch, und da sahe ich im Dämmrigen, als wenn etliche Kerl in der Luft sich regeten. Ich sahe genauer zu. Da war ich bei dem Galgen. Da kam mir ein Grauen an und ritt linker Hand einen andern Weg zu meinem Quartier.

Des andern Tages erfuhr ich: daß diese Nacht die Diebe vom Galgen gestohlen wären. – Also soll man sich warnen lassen, des Abends nicht auszureisen, sondern lieber bleiben, wo man ist; denn die Nacht ist niemands Freund.

Ich erinnere mich hiebei zum Preise meines GOttes nicht zu verschweigen, daß, als ich noch in der Veste Crempe lag, und einiger Verrichtung halber zu Fuße nach Glückstadt zwei Meiln gegangen, ich mich auch in die Nacht verspätet hatte. Und da ich vor die Festung kame, war sie schon zu und die Brücken aufgezogen. Da kein Mensch mehr herein- und rauskonnte, mußte ich in finsterer Nacht herumwandern. Und weil es da voll Wassergräben ist, wo die Bauren mit ihren Springestöcken (als in den Marschländern daselbst gebräuchlich) überspringen, konnte ich nicht nüber. Zurückgehen wollte ich nicht. Sahe ich von ferne ein Licht auf dem Berge, wozu ich kommen konnte. Meinete: es müßte ein Dorf da sein. Aber es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0187"/>
Die Hunde hatten ihn bis auf die Knochen gefressen. An den beigelegenen Scheermessern und Lanzetten erkannt man, daß es der verlorne Barbiergeselle gewesen.</p>
          <p>Als es unterwegens ganz finster geworden, ließ ich meinem Pferd freien Gang, der ihm bekannt war, und ich ohngefähr an den Ort des Gerichts kam. Stund mein Pferd mit eins, brausete und wollte stracks umbkehren. Ich erschrak und wußte nicht, was das war? Ich sporete das Pferd wieder auf den rechten Weg. Aber nein, es wollte nicht fort. Ich zog eine Pistole raus und gab Feuer, nach Soldaten-Gebrauch, und da sahe ich im Dämmrigen, als wenn etliche Kerl in der Luft sich regeten. Ich sahe genauer zu. Da war ich bei dem Galgen. Da kam mir ein Grauen an und ritt linker Hand einen andern Weg zu meinem Quartier.</p>
          <p>Des andern Tages erfuhr ich: daß diese Nacht die Diebe vom Galgen gestohlen wären. &#x2013; Also soll man sich warnen lassen, des Abends nicht auszureisen, sondern lieber bleiben, wo man ist; denn die Nacht ist niemands Freund.</p>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>ch erinnere mich hiebei zum Preise meines GOttes nicht zu verschweigen, daß, als ich noch in der Veste Crempe lag, und einiger Verrichtung halber zu Fuße nach Glückstadt zwei Meiln gegangen, ich mich auch in die Nacht verspätet hatte. Und da ich vor die Festung kame, war sie schon zu und die Brücken aufgezogen. Da kein Mensch mehr herein- und rauskonnte, mußte ich in finsterer Nacht herumwandern. Und weil es da voll Wassergräben ist, wo die Bauren mit ihren Springestöcken (als in den Marschländern daselbst gebräuchlich) überspringen, konnte ich nicht nüber. Zurückgehen wollte ich nicht. Sahe ich von ferne ein Licht auf dem Berge, wozu ich kommen konnte. Meinete: es müßte ein Dorf da sein. Aber es
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0187] Die Hunde hatten ihn bis auf die Knochen gefressen. An den beigelegenen Scheermessern und Lanzetten erkannt man, daß es der verlorne Barbiergeselle gewesen. Als es unterwegens ganz finster geworden, ließ ich meinem Pferd freien Gang, der ihm bekannt war, und ich ohngefähr an den Ort des Gerichts kam. Stund mein Pferd mit eins, brausete und wollte stracks umbkehren. Ich erschrak und wußte nicht, was das war? Ich sporete das Pferd wieder auf den rechten Weg. Aber nein, es wollte nicht fort. Ich zog eine Pistole raus und gab Feuer, nach Soldaten-Gebrauch, und da sahe ich im Dämmrigen, als wenn etliche Kerl in der Luft sich regeten. Ich sahe genauer zu. Da war ich bei dem Galgen. Da kam mir ein Grauen an und ritt linker Hand einen andern Weg zu meinem Quartier. Des andern Tages erfuhr ich: daß diese Nacht die Diebe vom Galgen gestohlen wären. – Also soll man sich warnen lassen, des Abends nicht auszureisen, sondern lieber bleiben, wo man ist; denn die Nacht ist niemands Freund. Ich erinnere mich hiebei zum Preise meines GOttes nicht zu verschweigen, daß, als ich noch in der Veste Crempe lag, und einiger Verrichtung halber zu Fuße nach Glückstadt zwei Meiln gegangen, ich mich auch in die Nacht verspätet hatte. Und da ich vor die Festung kame, war sie schon zu und die Brücken aufgezogen. Da kein Mensch mehr herein- und rauskonnte, mußte ich in finsterer Nacht herumwandern. Und weil es da voll Wassergräben ist, wo die Bauren mit ihren Springestöcken (als in den Marschländern daselbst gebräuchlich) überspringen, konnte ich nicht nüber. Zurückgehen wollte ich nicht. Sahe ich von ferne ein Licht auf dem Berge, wozu ich kommen konnte. Meinete: es müßte ein Dorf da sein. Aber es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Projekt Gutenberg-DE: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-06-28T07:11:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frank Wiegand: Bearbeitung der digitalen Edition (2012-09-04T07:11:29Z)
Frederike Neuber: Überarbeitung der digitalen Edition (2014-01-10T14:11:29Z)
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-06-28T07:11:29Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Rundes r (ꝛ) wird als normales r (r) wiedergegeben bzw. in der Kombination ꝛc. als et (etc.) aufgelöst.
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/187
Zitationshilfe: Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/187>, abgerufen am 23.11.2024.