Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Erstes einleitendes Buch. Bewußtsein seiner Provenienz in sich enthält; nur derjenige Satzbesitzt Sicherheit, dessen Begründung in ein unanfechtbares Wissen zurückreicht. Die logischen Anforderungen an den Begriff sind vom kritischen Standpunkt aus erst dann erfüllt, wenn im Zu- sammenhang der Erkenntniß, in welchem er auftritt, ein Bewußt- sein des Erkenntnißvorganges selber, durch den er gebildet wird, vorhanden, und ihm durch dieses sein Ort in dem System der Zeichen, welche sich auf die Wirklichkeit beziehen, eindeutig bestimmt ist. Den logischen Anforderungen an ein Urtheil ist erst dann entsprochen, wenn das Bewußtsein seines logischen Grundes in dem Zusammenhang der Erkenntniß, in welchem es auftritt, die erkenntnißtheoretische Klarheit über Gültigkeit und Tragweite des ganzen Zusammenhangs psychischer Akte einschließt, welche diesen Grund ausmachen. Daher führen die Anforderungen der Logik an Begriffe und Sätze bis in das Hauptproblem aller Erkenntnißtheorie zurück: Natur des unmittelbaren Wissens um die Thatsachen des Bewußtseins und Verhältniß desselben zu dem nach dem Satze vom Grunde fortschreitenden Erkennen. Diese Erweiterung des Gesichtskreises der Logik ist in Erſtes einleitendes Buch. Bewußtſein ſeiner Provenienz in ſich enthält; nur derjenige Satzbeſitzt Sicherheit, deſſen Begründung in ein unanfechtbares Wiſſen zurückreicht. Die logiſchen Anforderungen an den Begriff ſind vom kritiſchen Standpunkt aus erſt dann erfüllt, wenn im Zu- ſammenhang der Erkenntniß, in welchem er auftritt, ein Bewußt- ſein des Erkenntnißvorganges ſelber, durch den er gebildet wird, vorhanden, und ihm durch dieſes ſein Ort in dem Syſtem der Zeichen, welche ſich auf die Wirklichkeit beziehen, eindeutig beſtimmt iſt. Den logiſchen Anforderungen an ein Urtheil iſt erſt dann entſprochen, wenn das Bewußtſein ſeines logiſchen Grundes in dem Zuſammenhang der Erkenntniß, in welchem es auftritt, die erkenntnißtheoretiſche Klarheit über Gültigkeit und Tragweite des ganzen Zuſammenhangs pſychiſcher Akte einſchließt, welche dieſen Grund ausmachen. Daher führen die Anforderungen der Logik an Begriffe und Sätze bis in das Hauptproblem aller Erkenntnißtheorie zurück: Natur des unmittelbaren Wiſſens um die Thatſachen des Bewußtſeins und Verhältniß deſſelben zu dem nach dem Satze vom Grunde fortſchreitenden Erkennen. 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Erſtes einleitendes Buch.
Bewußtſein ſeiner Provenienz in ſich enthält; nur derjenige Satz
beſitzt Sicherheit, deſſen Begründung in ein unanfechtbares Wiſſen
zurückreicht. Die logiſchen Anforderungen an den Begriff ſind
vom kritiſchen Standpunkt aus erſt dann erfüllt, wenn im Zu-
ſammenhang der Erkenntniß, in welchem er auftritt, ein Bewußt-
ſein des Erkenntnißvorganges ſelber, durch den er gebildet wird,
vorhanden, und ihm durch dieſes ſein Ort in dem Syſtem
der Zeichen, welche ſich auf die Wirklichkeit beziehen, eindeutig
beſtimmt iſt. Den logiſchen Anforderungen an ein Urtheil iſt
erſt dann entſprochen, wenn das Bewußtſein ſeines logiſchen
Grundes in dem Zuſammenhang der Erkenntniß, in welchem es
auftritt, die erkenntnißtheoretiſche Klarheit über Gültigkeit und
Tragweite des ganzen Zuſammenhangs pſychiſcher Akte einſchließt,
welche dieſen Grund ausmachen. Daher führen die Anforderungen
der Logik an Begriffe und Sätze bis in das Hauptproblem aller
Erkenntnißtheorie zurück: Natur des unmittelbaren Wiſſens um
die Thatſachen des Bewußtſeins und Verhältniß deſſelben zu dem
nach dem Satze vom Grunde fortſchreitenden Erkennen.
Dieſe Erweiterung des Geſichtskreiſes der Logik iſt in
Uebereinſtimmung mit der Richtung der poſitiven Wiſſenſchaften
ſelber. Indem das naturwiſſenſchaftliche Denken über die natür-
liche Beziehung unſerer Empfindungen auf Einzeldinge in Raum
und Zeit hinausgeht, findet es ſich überall auf die genaue Be-
ſtimmung dieſer Empfindungen ſelber zurückgeführt, ſonach auf die
Beſtimmung ihrer Abfolge nach einem allgemeingültigen Zeitmaß,
auf allgemeingültige Orts- und Größenbeſtimmungen ſowie Elimi-
nirung der Beobachtungsfehler, kurz auf Methoden, durch welche die
Bildung der Wahrnehmungsurtheile ſelber zu logiſcher Vollkommen-
heit geführt werden kann. In Bezug auf die Geiſteswiſſenſchaften
aber zeigte ſich uns, daß pſychiſche und pſychophyſiſche Thatſachen
die Grundlage der Theorie nicht nur vom Individuum, ſondern
ebenſo von den Syſtemen der Kultur ſowie von der äußeren Or-
ganiſation der Geſellſchaft bilden, und daß dieſelben der hiſtoriſchen
Anſchauung und Analyſis in jedem ihrer Stadien zu Grunde
liegen. Daher die erkenntnißtheoretiſche Unterſuchung über die Art,
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