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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Und ihr Problem a. d. Grundlegung d. Geisteswissenschaften einschränken.
wie sie uns gegeben sind, und die Evidenz, die ihnen zukommt, allein
wirkliche Methodenlehre der Geisteswissenschaften begründen kann.

So tritt zwischen die erkenntnißtheoretische Grundlegung und
die Einzelwissenschaften die Logik als Mittelglied; damit entsteht
derjenige innere Zusammenhang der modernen Wissen-
schaft
, welcher an die Stelle des alten metaphysischen Zusammen-
hangs unserer Erkenntniß treten muß.

Die zweite Eigenthümlichkeit in Bestimmung der Aufgabe
dieser Einleitung liegt in der Einschränkung derselben auf
die Grundlegung der Geisteswissenschaften
1). -- Wären
die Bedingungen, unter denen das Erkennen der Natur steht, in
demselben Sinn grundlegend für den Aufbau der Geisteswissen-
schaften, wären alle Verfahrungsweisen, vermittelst deren unter
diesen Bedingungen Naturerkennen erreicht wird, auf das Studium
des Geistes anwendbar, und zwar keine als sie, wäre endlich
die Art von Abhängigkeit der Wahrheiten von einander sowie
von Beziehung der Wissenschaften aufeinander dieselbe hier wie
dort: alsdann wäre die Sonderung der Grundlegung der Geistes-
wissenschaften von der für die Wissenschaften der Natur ohne
Nutzen. -- In Wirklichkeit sind gerade die am meisten umstrittenen
von den Bedingungen, unter denen naturwissenschaftliches Erkennen
steht, nämlich räumliche Anordnung und die Bewegung in der
Außenwelt, auf die Evidenz der Geisteswissenschaften ohne Ein-
fluß, da2) die bloße Thatsache, daß solche Phänomene bestehen
und Zeichen eines Realen sind, für die Konstruktion ihrer Sätze
ausreicht. Tritt man also auf diese engere Grundlage, so eröffnet
sich die Möglichkeit, für den Zusammenhang der Wahrheiten in
den Wissenschaften vom Menschen, der Gesellschaft und Geschichte
eine Sicherheit zu gewinnen, zu welcher die Naturwissenschaften,
sofern sie mehr als Beschreibung von Phänomenen sein wollen,
niemals gelangen können. -- In Wirklichkeit sind ferner die Ver-
fahrungsweisen der Geisteswissenschaften, als in denen ihr Objekt

1) S. 25.
2) S. 25.

Und ihr Problem a. d. Grundlegung d. Geiſteswiſſenſchaften einſchränken.
wie ſie uns gegeben ſind, und die Evidenz, die ihnen zukommt, allein
wirkliche Methodenlehre der Geiſteswiſſenſchaften begründen kann.

So tritt zwiſchen die erkenntnißtheoretiſche Grundlegung und
die Einzelwiſſenſchaften die Logik als Mittelglied; damit entſteht
derjenige innere Zuſammenhang der modernen Wiſſen-
ſchaft
, welcher an die Stelle des alten metaphyſiſchen Zuſammen-
hangs unſerer Erkenntniß treten muß.

Die zweite Eigenthümlichkeit in Beſtimmung der Aufgabe
dieſer Einleitung liegt in der Einſchränkung derſelben auf
die Grundlegung der Geiſteswiſſenſchaften
1). — Wären
die Bedingungen, unter denen das Erkennen der Natur ſteht, in
demſelben Sinn grundlegend für den Aufbau der Geiſteswiſſen-
ſchaften, wären alle Verfahrungsweiſen, vermittelſt deren unter
dieſen Bedingungen Naturerkennen erreicht wird, auf das Studium
des Geiſtes anwendbar, und zwar keine als ſie, wäre endlich
die Art von Abhängigkeit der Wahrheiten von einander ſowie
von Beziehung der Wiſſenſchaften aufeinander dieſelbe hier wie
dort: alsdann wäre die Sonderung der Grundlegung der Geiſtes-
wiſſenſchaften von der für die Wiſſenſchaften der Natur ohne
Nutzen. — In Wirklichkeit ſind gerade die am meiſten umſtrittenen
von den Bedingungen, unter denen naturwiſſenſchaftliches Erkennen
ſteht, nämlich räumliche Anordnung und die Bewegung in der
Außenwelt, auf die Evidenz der Geiſteswiſſenſchaften ohne Ein-
fluß, da2) die bloße Thatſache, daß ſolche Phänomene beſtehen
und Zeichen eines Realen ſind, für die Konſtruktion ihrer Sätze
ausreicht. Tritt man alſo auf dieſe engere Grundlage, ſo eröffnet
ſich die Möglichkeit, für den Zuſammenhang der Wahrheiten in
den Wiſſenſchaften vom Menſchen, der Geſellſchaft und Geſchichte
eine Sicherheit zu gewinnen, zu welcher die Naturwiſſenſchaften,
ſofern ſie mehr als Beſchreibung von Phänomenen ſein wollen,
niemals gelangen können. — In Wirklichkeit ſind ferner die Ver-
fahrungsweiſen der Geiſteswiſſenſchaften, als in denen ihr Objekt

1) S. 25.
2) S. 25.
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[149/0172] Und ihr Problem a. d. Grundlegung d. Geiſteswiſſenſchaften einſchränken. wie ſie uns gegeben ſind, und die Evidenz, die ihnen zukommt, allein wirkliche Methodenlehre der Geiſteswiſſenſchaften begründen kann. So tritt zwiſchen die erkenntnißtheoretiſche Grundlegung und die Einzelwiſſenſchaften die Logik als Mittelglied; damit entſteht derjenige innere Zuſammenhang der modernen Wiſſen- ſchaft, welcher an die Stelle des alten metaphyſiſchen Zuſammen- hangs unſerer Erkenntniß treten muß. Die zweite Eigenthümlichkeit in Beſtimmung der Aufgabe dieſer Einleitung liegt in der Einſchränkung derſelben auf die Grundlegung der Geiſteswiſſenſchaften 1). — Wären die Bedingungen, unter denen das Erkennen der Natur ſteht, in demſelben Sinn grundlegend für den Aufbau der Geiſteswiſſen- ſchaften, wären alle Verfahrungsweiſen, vermittelſt deren unter dieſen Bedingungen Naturerkennen erreicht wird, auf das Studium des Geiſtes anwendbar, und zwar keine als ſie, wäre endlich die Art von Abhängigkeit der Wahrheiten von einander ſowie von Beziehung der Wiſſenſchaften aufeinander dieſelbe hier wie dort: alsdann wäre die Sonderung der Grundlegung der Geiſtes- wiſſenſchaften von der für die Wiſſenſchaften der Natur ohne Nutzen. — In Wirklichkeit ſind gerade die am meiſten umſtrittenen von den Bedingungen, unter denen naturwiſſenſchaftliches Erkennen ſteht, nämlich räumliche Anordnung und die Bewegung in der Außenwelt, auf die Evidenz der Geiſteswiſſenſchaften ohne Ein- fluß, da 2) die bloße Thatſache, daß ſolche Phänomene beſtehen und Zeichen eines Realen ſind, für die Konſtruktion ihrer Sätze ausreicht. Tritt man alſo auf dieſe engere Grundlage, ſo eröffnet ſich die Möglichkeit, für den Zuſammenhang der Wahrheiten in den Wiſſenſchaften vom Menſchen, der Geſellſchaft und Geſchichte eine Sicherheit zu gewinnen, zu welcher die Naturwiſſenſchaften, ſofern ſie mehr als Beſchreibung von Phänomenen ſein wollen, niemals gelangen können. — In Wirklichkeit ſind ferner die Ver- fahrungsweiſen der Geiſteswiſſenſchaften, als in denen ihr Objekt 1) S. 25. 2) S. 25.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/172>, abgerufen am 21.11.2024.